Seine materialreichen, luxuriös ausgestatteten Bände über Liszt, Chopin und Schumann genießen unter Musikfreunden und Liebhabern guter Bücher beinahe schon Kultstatus. Nun hat der Münchener Pianist und Autor Ernst Burger in einem ähnlich aufwändigen Band dem populärsten Jazzpianisten seiner Generation, Erroll Garner, ein Denkmal gesetzt. Andreas Kolb sprach mit Ernst Burger über Garner, über das Sammeln und das Büchermachen.
neue musikzeitung: Herr Burger, Sie sind Pianist und Autor und in gewisser Weise auch Sammler und Archivar. Wie sind Sie zum Garner-Biografen geworden?
Ernst Burger: Mein erstes Buch galt Franz Liszt und da waren die Beweggründe eigentlich die gleichen wie bei Erroll Garner. Liszt wird immer ungerecht behandelt, wird verurteilt und wird falsch eingeschätzt, von Leuten, die sich eigentlich kaum mit ihm befassen. Das war die Motivation, das Liszt-Buch zu machen. Eigentlich trifft das auch auf Erroll Garner zu. Garner war ein unglaublich begabter Musiker, er wurde auch von seinen Kollegen und sogar von seinen Konkurrenten wie Peterson, Monk, Shearing, Brubeck hoch geschätzt, und heute ist er fast vergessen. Die ältere Generation kennt ihn natürlich noch, die jungen Leute aber kennen seinen Namen nicht mehr, und dies, obwohl Garner zum Beispiel von Dan Morgenstern als der erfolgreichste Jazzmusiker seiner Generation bezeichnet wird.
neue musikzeitung: Sie kennen Garner, Chopin, Schumann und Liszt nicht nur aus der Theorie. Denn Sie sind Pianist. Welche Rolle spielt das für Ihre Arbeit als Autor?
Ernst Burger : Ich komme vom Klavier her und da ist es natürlich nahe liegend, dass man sich mit Klavierkomponisten beschäftigt. Und wenn man die Musik dieser Komponisten oft spielt, dann interessiert man sich natürlich für ihr Leben und für deren ganze Epoche. Dann sprachen Sie meine Tätigkeit als Sammler an. Ich bin kein Sammler, der sammelt, um Dinge zu besitzen, sondern der Impuls zu sammeln kam daher, dass ich diese Sachen im Buch abbilden wollte.
neue musikzeitung: Dem Buch ist eine CD beigelegt, die mit Sicherheit den Wert eines historischen Dokuments hat.
Ernst Burger : Aus der Zeit von 1946 bis 1955 habe ich 18 Aufnahmen ausgewählt. Manfred Scheffner hat dann aus meiner Liste die CD gemacht. Es ist ja so: Nicht alles, was die Jazzpianisten gespielt haben, muss man unbedingt hören. Und auch Garner hat oft im Stil eines Cocktail-Pianisten gespielt … Aber manche Stücke sind eben toll, wie die aus der ersten Epoche, in der er noch überwiegend Stride-Piano spielte, bis zu „Concert by the sea“, dieser fast schon legendären Aufnahme von 1955.
neue musikzeitung: Was zeichnet Garners Spiel aus, was fasziniert so an ihm?
Ernst Burger : Es ist zunächst zu sagen, dass Garner ein großer Melodiker war. Er hat immer schön gespielt, sein Spiel ist immer melodiös. Das ist der eigentliche Grund, weshalb er so beliebt war, auch bei einem Publikum, das sich sonst nicht so für Jazz interessiert hat: Die schönen Melodien, seine melodiösen Chorusse. Dann gehört zu den besonderen Merkmalen seine linke Hand, die er immer als Rhythmusinstrument gebraucht, das ist fast seine Erfindung. Zudem dieses merkwürdige Rubato, das es im Piano-Jazz nur bei Garner gibt: Die rechte Hand spielt selten mit der linken genau zusammen, was eine unglaubliche Spannung erzeugt. Die rechte Hand hängt sozusagen hinterher und komischerweise macht das den ganzen Beat noch spannender, weil die linke Hand eisern im Takt bleibt. Außerdem die Akzente, die Garner immer während des Spiels setzt, meistens mit der linken Hand, nach vier oder acht Takten. Das kann man ungefähr mit einem Schlagzeuger vergleichen, der mittendrin einen besonderen Schlag macht. Ein weiteres Garner-Kennzeichen sind seine Einleitungen, die ganz unterschiedlich sind. Manchmal haben sie mit dem Stück, das anschließend kommt, überhaupt nichts zu tun. Niemand käme dabei auf die Idee, welches Stück sich da anbahnt. Auch der begleitende Bassist wusste meistens nicht, was jetzt kommt, wahrscheinlich wusste es Garner selber nicht.
neue musikzeitung: Wie gehen Sie an so ein Buch heran?
Ernst Burger : Bei den klassischen Komponisten, von denen wir vorher sprachen, Chopin, Liszt oder Schumann, da gibt es ja Briefe, da gibt es zeitgenössische Urteile. Das heißt, über das Leben der Komponisten ist relativ viel bekannt. Bei Jazz-Pianisten spielt sich das Leben nachts ab und ihr Privatleben ist ziemlich unbekannt. Ich bin so vorgegangen: Die Jazz-Zeitschriften damals, Down Beat oder Metronome zum Beispiel, haben immer Notizen gebracht ab den 1940er-Jahren. Was die Materialsammlung angeht, so muss ich wirklich ein Loblied auf das Jazzinstitut in Darmstadt singen! Darin habe ich alles gesucht, was über Garner geschrieben wurde, wobei mir ein Index behilflich war.
neue musikzeitung: Neben Ihrem Text prägen ja die vielen Fotos das Buch ganz entscheidend.
Ernst Burger : Garner ist sehr oft fotografiert worden, gerade auch in der Konzertsituation. Das größte Kontingent im Buch stammt übrigens aus der Sammlung Ludwig Binder des Bayerischen Jazzinstituts in Regensburg, das sehr entgegenkommend war. Bis auf zwei, drei Fotos sind das Bilder, die noch nie veröffentlicht worden sind.
neue musikzeitung: Und wie entsteht das Zusammenwirken von Text und Bildern?
Ernst Burger : Da muss ich zunächst sagen, dass ich ganz altmodisch bin, dass ich meine Texte noch mit der Schreibmaschine schreibe. Das ist die erste Stufe: Ich mache mir ein Konzept dazu, wie das Buch aufgebaut ist, und schreibe die Texte. Diese verkleinere ich dann, klebe sie in das Buch und kombiniere sie mit Bildern. Das heißt, ich mache das Layout selbst. Das hat den großen Vorteil, dass ich beim Schreiben und wenn ich das Ganze montiere einen Mords-Spaß habe, weil ich sehe – anders als mit einem Karton voller Texte und einem voller Fotos: Es entsteht etwas.
neue musikzeitung: Sie haben lange an diesem Buch gearbeitet; Zeit für ein neues?
Ernst Burger : Nachdem sich 2010 Chopins Geburtstag zum 200. Mal jährt, habe ich mir überlegt, ob ich wieder zu meiner großen Liebe Chopin zurückkomme. Was mir zum Beispiel seit langem vorschwebt, ist ein zweites Buch über Chopin. Dann vielleicht etwas über Art Tatum, auch hierzu gibt es nichts Vernünftiges. Und was ich auf alle Fälle mache, was eine kleinere Arbeit sein könnte, ist das Thema „Franz Liszt in Rom“. Dazu werde ich einmal einige Monate in Rom leben.