Bis zum Beginn des letzten Jahrhunderts kam dem Verleger mit dem Notendruck eine wesentliche Bedeutung für die Verbreitung von Musik zu, die sich in einer engen Bindung von Urheber und Verleger in der GEMA ausprägte und in einer fruchtbaren Arbeitsteilung und Produktivität mündete. Eine Bindung, die mehr als fragwürdig erscheint, denn wer druckt heute noch Noten außerhalb der ernsten Musiksparte?
Im Gegensatz zum Urheber, der im Regelfall einen großen Teil seiner Rechte dem Verlag bis viele Jahrzehnte nach seinem Ableben anvertraut, sind die Gegenleistungen von Musikverlegern abseits des Notendrucks heute sehr vage und bisweilen kaum nachvollziehbar irgendwo zwischen Promotion, Werbekopplung und Synchronisationsvermittlung formuliert. Sie unterscheiden sich dabei sehr stark von den Leistungen der Buchverlage, die auch heute noch alle Arbeiten wie Lektorat, Layout bis Marketing und Vertrieb organisieren; Leistungen, die mittlerweile Plattenfirmen oder, immer häufiger, der sich selbst vermarktende Urheber wahrnimmt.
Die historisch scheinbar zementierte Musikverlegerpraxis, Rechte in die GEMA einzubringen, unterschlägt aber den wesentlichen Schwachpunkt der Beziehung zwischen Urheber und Verleger, den wir zur Durchsetzung unserer Forderung nach einer Neujustierung der so engen Dreiecksbeziehung zwischen Verwertungsgesellschaft, Verleger und Urheber jetzt einklagen konnten. Der Urheber hat seine Rechte treuhänderisch bereits der GEMA übertragen und der Verleger kann dies nicht ein zweites Mal tun. So hat der Urheber durch unsere Klage jetzt endlich die Möglichkeit, die Arbeit seines Verlegers kritisch zu bewerten, gegebenenfalls neu zu verhandeln oder gar zu kündigen. Bei Neuverhandlung kann das neben der Laufdauer auch die prozentuale Beteiligung und eine neue Vorschussverhandlung umfassen. Wer mit der Arbeit seines Verlegers zufrieden ist, kann das jetzt auch zum Ausdruck bringen.
Die Praxis zwischen Verlegern und Urhebern scheint in der Realität eine andere zu sein. Wenige Tage nach Bekanntwerden unserer erfolgreichen Klage durch das Teilurteil, das nicht nur Vergütungsansprüche, sondern sogar die heilige Kuh der Nutzungsrechte umfasst, haben uns bereits Hunderte von Urhebern aller Genres kontaktiert, um in Erfahrung zu bringen, wie sie die Rückforderung jetzt geltend machen können. Leider ist damit zu rechnen, dass die größtenteils den Verwertern sehr nahen Verbände der Musikbranche, ähnlich wie im Fall der VG Wort, mit Falschinformation und Verunsicherung ihre Urheber zum schnellen Unterzeichnen einer neuen, wasserdichten Abtretung bewegen.
Hier gilt es, als Urheber wachsam zu sein und den Gerüchten zu angeblichen Schadensersatzklagen nicht zu viel Glauben zu schenken. Und auch die GEMA hat in ihrem aktuellen Mitgliederschreiben unmissverständlich klargemacht, dass sie primär das Interesse der Verleger vertritt. Das Rechtsverständnis des GEMA-Vorstandes ist allemal zweifelhaft, wenn, wie jetzt offen, nach dem Gesetzgeber gerufen wird. Statt endlich in selbstkritischer Reflexion die seit Jahren kritisierte Praxis der Verlegerbeteiligung zu hinterfragen und im Sinne der Urheber ausschließlich dessen Rechte wahrzunehmen, drängen die GEMA-Lobbyisten im Rechtsausschuss des Bundestages auf eine Änderung des VG-Gesetzes. Als Kläger haben wir deshalb das DPMA, das die Aufsichtspflicht über die Verwertungsgesellschaften innehat, aufgefordert, den Vorstand der GEMA zu entlassen.
Da sich das Jahr 2016 dem Ende zuneigt, ist für Urheber Eile geboten, die ihre Rückforderung ab 2013 geltend machen wollen.
Auf dem Weg der Reform der GEMA zu einer Institution, die ausschließlich im Sinne des Schöpfers und seines Werkes agiert, ist der erste Schritt getan. Künstlerische Werke, ihre Vermittlung und die schwierige Existenzgrundlage von Künstlern stellen heute mannigfaltige neue Anforderungen an die Verwertungsgesellschaften. Es ist an den Urhebern, das entstandene Vakuum mit neuen Ideen zu füllen, damit die GEMA endlich erfolgreich den Schritt ins digitale Jahrhundert macht und Musikverleger als Dienstleiter gegenüber den Urhebern nicht nur umfassend Rechenschaft leisten, sondern auch endlich auf Augenhöhe verhandeln. Denn im Zentrum steht das Werk und sein Schöpfer. Ganz im Sinne unserer Klage.
Abwartend bis schockiert
Ein missglücktes Meinungsbild bei Verlagen und Verwertern
Die neue musikzeitung fragte bei mehreren Verlagen sowie bei VG Musikedition und GEMA um erste Stellungnahmen zum Urteil des Berliner Kammergerichts an. Leider wollte sich vor Bekanntgabe der schriftlichen Urteilsbegründung niemand gegenüber der nmz äußern. In einer ersten Pressemitteilung der Verwertungsgesellschaft GEMA sagte Vorstandsvorsitzender Harald Heker: „Wir halten die Entscheidung für falsch.“ Die deutschen Musikverleger sind laut Pressemitteilung des DMV „von dem Urteil schockiert, in höchster Alarmbereitschaft und fürchten um ihre Existenz“.