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Organisatorin Ingeborg Krause. Foto: ARD Musikwettbewerb
Organisatorin Ingeborg Krause. Foto: ARD Musikwettbewerb
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Die Fäden auffangen und weiterspinnen

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Gespräch mit Ingeborg Krause und Christoph Poppen, ARD Musikwettbewerb
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Zum 53. Mal versammelt der Internationale Musikwettbewerb der ARD den musikalischen Nachwuchs aus aller Welt in München, und wie schon in den Jahren zuvor war der Andrang groß: 342 Bewerber aus 43 Ländern und fünf Kontinenten hatten sich angemeldet, was sicherlich nicht allein auf den Umstand zurückzuführen ist, dass die Preise in den vergangenen Jahren um einen erklecklichen Betrag angehoben werden konnten. Auch ansonsten hat sich vieles verändert, seit der Wettbewerb im Jahr 2001 eine neue Leitung gefunden hat. Christoph Poppen, der als Dirigent, Solist und Kammermusiker gleichermaßen Maßstäbe gesetzt hat, will den Wettbewerb als künstlerischer Leiter vermehrt zu einem Zentrum der musikalischen Begegnung machen. Unterstützt wird er dabei von Ingeborg Krause, die nach langjähriger Tätigkeit für „Jugend musiziert“ die Organisation übernommen hat. Thomas Koppelt sprach mit den beiden über die Erfahrungen der letzten Jahre und die wichtigsten Neuerungen des Wettbewerbs.

Viele Menschen machen ihre Leidenschaft zum Beruf. Bei ihnen, Frau Krause, verhält es sich umgekehrt.
: So kann man es sagen. Die Musik ist für mich erst im Laufe meiner beruflichen Tätigkeit sehr wichtig geworden.

: Sie stand jedenfalls nicht am Anfang ihres beruflichen Werdegangs. Nach dem Schulabschluss haben sie eine kaufmännische Ausbildung absolviert und waren fünf Jahre bei der Industrie- und Handelskammer tätig. Nun sind sie die organisatorische Leiterin eines bedeutenden internationalen Musikwettbewerbs. Was ist passiert?
: Ich habe Glück gehabt. Im richtigen Moment kam das richtige Angebot und ich habe zugesagt. 1966 ging ich von Regensburg nach München, von der Industrie- und Handelskammer zur Bundesgeschäftsstelle des Wettbewerbs „Jugend musiziert“. Und nach 35 Berufsjahren kam das Angebot, zusammen mit Herrn Poppen als künstlerischer Leiter den Internationalen ARD-Wettbewerb zu organisieren, als Bonbon am Ende eines beruflichen Lebens, das ich gerne angenommen habe. Wer isst nicht gerne Süßigkeiten? : Was hat Sie daran gereizt, die Organisation des ARD-Wettbewerbs zu übernehmen?
: Seine Bedeutung auf der internationalen Ebene. Nach wie vor ist er wohl weltweit der größte Musikwettbewerb mit den meisten Kategorien und wird als einer der wichtigsten Wettbewerbe angesehen.
: Insofern, als es keinen Wettbewerb auf diesem hohen Niveau auf der ganzen Welt gibt, der so viele Instrumente abdeckt. Wir haben zurzeit 18 verschiedene Kategorien. Daraus ergeben sich nicht nur logistische Probleme, sondern auch ein Identitätsproblem. Die meisten anderen großen Wettbewerbe können sich auf wenige Aspekte und Instrumente konzentrieren. Es liegt aber ein besonderer Reiz darin, Brücken zwischen den diversen Disziplinen zu schlagen. So besitzt dieser Wettbewerb ein Potenzial, wie kein anderer auf der ganzen Welt.

Erfahrung Nachwuchsarbeit

: Auch Sie, Herr Poppen, haben langjährige Erfahrungen in der musikalischen Nachwuchsarbeit gesammelt. Sie hatten Professuren für Violine und Kammermusik in Detmold und Berlin inne, waren von 1996 bis 2000 Rektor der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin und lehren seit vergangenem Jahr an der Hochschule für Musik und Theater in München. Inwieweit können Sie diese Erfahrungen als künstlerischer Leiter in den Wettbewerb einbringen?
: Mein künstlerisches Leben findet eigentlich auf der Bühne statt. Ich habe jahrelang als Geiger gewirkt und bin jetzt hauptsächlich als Dirigent tätig, darin sehe ich meine Hauptaufgabe, das ist meine Leidenschaft. Wenn ich darüber hinaus einen entscheidenden Anteil meiner Zeit immer wieder pädagogischen Aspekten widme, so tue ich dies deswegen, weil ich der festen Meinung bin: Wir aktiven Musiker müssen Verantwortung für die Zukunft der Musik übernehmen. Und das ist letztlich das, was ein Wettbewerb in mehr oder weniger direkter Weise leisten kann. Wir müssen uns überlegen, welche Künstler wir fördern wollen, welcher Typus des Musikers uns für die nächsten Jahrzehnte wichtig zu sein scheint.
Diese Auswahl können wir indirekt stark beeinflussen. : Wie sieht der Musiker der Zukunft aus, den Sie zu fördern versuchen?
: Ich glaube, dass der Typus des „Virtuosen“, des mit Selbstdarstellung behafteten Künstlers, der lange Zeit gepflegt wurde, keine große Zukunft hat. Diesen Typ, dem es auch darum geht, sich die Musik selber zunutze zu machen, um sich durch sie zu präsentieren, stellen Wettbewerbe leicht in den Vordergrund, da man Virtuosität wohl noch am ehesten messen oder vergleichen kann. Es gibt heute glücklicherweise viele hochbegabte und weit entwickelte junge Instrumentalisten und Sänger auf der ganzen Welt. Wenn man sich aber ansieht, wer sich im Beruf längerfristig durchsetzt, so sind dies stets Musiker, die einen weiten Überblick über die Möglichkeiten eines Künstlers und über das Leben an sich besitzen. Wir brauchen heute Musiker, die in einer Weise mit Musik umgehen, die weit über Entertainment auch im höchsten Sinne hinausgeht. Wir brauchen Künstler, die die Welt so erkennen wie sie ist, mit all ihren Problemen, und die die Musik als ein Medium verstehen, das die Menschen auf der ganzen Welt zusammenführen kann. Dazu gehört eine große Offenheit und Kommunikationsfähigkeit. Ich glaube, dass ein junger Musiker, der heute Karriere machen will, im äußeren, aber vor allem auch im inneren Sinne ein Künstler sein muss, der kommunikativ ausgebildet wird. Und deswegen ist alles, was dieser Kommunikation dient, hilfreich für seine weitere Entwicklung. : Deshalb haben sie einige Neuerungen innerhalb des Wettbewerbs eingeführt, die darauf hin zielen, Gemeinschaftsgefühl und Kommunikationsbereitschaft unter den Teilnehmern zu stärken. : Ja, dazu zählt beispielsweise unsere Idee, die meisten Instrumente im Semifinale in Kammerorchestern ohne Dirigenten spielen zu lassen. Eine weitere entscheidende Neuerung ist, dass wir versuchen, mit den Künstlern über den Wettbewerb hinaus Kontakt zu halten, zum Beispiel im Rahmen von Kammermusikfesten, bei denen wir Künstler unterschiedlicher Disziplinen zusammenführen. Zu diesen Kammermusikfesten, die in Elmau stattfinden und dann in verschiedene Städte weiter wandern, namentlich auch nach München und Berlin, laden wir auch Musiker und Juroren früherer Wettbewerbe ein, sodass sich dort verschiedene Künstlergenerationen begegnen. Die jungen Musiker nehmen diese Impulse sehr aktiv auf, aber jeder macht etwas anderes daraus: Manche erleben diese Erfahrung als vorübergehende Beglückung, andere greifen die Fäden, die ihnen in die Hände fallen, auf und spinnen sie weiter.

Moderate Reformen

: Dies sind nur einige der Innovationen, die Sie einmal als „moderate Reformen“ umschrieben haben, die aber doch weitreichende Auswirkungen auf den Charakter des Wettbewerbs haben.
: Ja, wir haben die gesamte Struktur des Wettbewerbs verändert. Wir sind von einer Gesamtanzahl von fünf Disziplinen pro Jahr auf vier Disziplinen herab gegangen, weil wir der Meinung waren, damit quasi 25 Prozent Qualitätssteigerung bieten zu können. Das hatte zur Folge, dass wir bestimmte langjährige Rhythmen für verschiedene Instrumente ausgearbeitet haben, die zwischen drei und sechs Jahren variieren. Wir haben in allen Disziplinen Tonbandvorrunden eingeführt, sodass sich das Publikum darauf verlassen kann, dass der Wettbewerb vom ersten Tag an auf einem sehr hohen Konzertniveau stattfindet. Außerdem versuchen wir alles, um die Kreativität der jungen Künstler zu stimulieren. Seit mehreren Jahren vergeben wir für den Wettbewerb Auftragskompositionen an bedeutende Komponisten, in diesem Jahr beispielsweise an Heinz Holliger und Wolfgang Rihm. So fordern wir die jungen Künstler dazu heraus, sich in kreativer Weise mit der Musik unserer Zeit auseinanderzusetzen. Dies betrifft auch die gesamte Repertoireauswahl, durch die wir weniger eine „gedrillte Virtuosität“, sondern vielmehr die künstlerische Ausdrucksfähigkeit in den Vordergrund stellen wollen.

Karrieresprungbrett

: Für viele heute weltberühmte Musiker wirkte eine Auszeichnung beim ARD-Wettbewerb als Karrieresprungbrett. Dennoch warnen Sie davor, die Bedeutung eines Wettbewerbs für die Entwicklung junger Künstler zu überschätzen.
: Wir machen immer wieder die gleiche Beobachtung: Ein Wettbewerb kann für junge Musiker eine Chance sein, aber letztlich liegt es in der Hand des Einzelnen, was er daraus macht. Dies gilt sowohl für die Preisträger, als auch für diejenigen, die leer ausgehen. Ich glaube, man kann allein durch die Teilnahme an einem Wettbewerb sehr viel lernen und erreichen, selbst wenn man nicht ins Finale vordringt.
: Das Wesentliche für junge Menschen, die an einem Wettbewerb teilnehmen, ist es, sich selbst kennen zu lernen und sich zu fragen: Wo stehe ich? Bin ich gut genug? Kann ich den Anforderungen standhalten? Manche Teilnehmer überschätzen sich, was allzu menschlich ist. Auf der anderen Seite erlebt man immer wieder, dass junge Menschen mit einem Preis nach Hause fahren und selbst völlig überrascht darüber sind. Beides ist möglich. Ein Preis kann für die Karriere sehr hilfreich sein. Aber ich denke, dass junge Musiker, die das entsprechende Potenzial haben, sich auch ohne Preis durchsetzen werden.

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