Django Reinhardt etablierte die Gitarre als Soloinstrument und ist Vater jener Kunstform, die man mit dem politisch unkorrekten, doch weitverbreiteten Etikett Zigeunerjazz versehen hat. Heute ist diese unter dem englischen Begriff Gipsy Swing oder Gypsy Jazz bekannt, obwohl diese Musizierweise nicht aus Amerika stammt.
Stilprägender Ausgangspunkt des Jazz Manouche (so der französische Begriff) war das Quintette du Hot Club de France in dem Django und sein Partner, der Geiger Stéphane Grappelly (damals noch mit y!) sich in den 1930er-Jahren von einer Rhythmusgruppe aus zwei Gitarren und Kontrabass begleiten ließen, die alle Zählzeiten durchgängig markierten. Diese Musik war eine authentische Weiterführung der afroamerikanischen Hot-Tradition. Sie klang noch so amerikanisch, dass sie auch in Amerika einflussreich war. Sie enthielt zugleich so viel vom musikantischen Geist der Manouches, dass sie den Sinti und Roma eine neue Art Volksmusik wurde. Die Musik, die von Anbeginn ethnische und nationale Gegensätze überbrückte, wurde der erste und wichtigste Beitrag Europas zur Jazz-Entwicklung. Wie gehen Sinti und Roma heute mit diesem Erbe um? Sechs aktuelle Alben geben Antwort.
Der orthodoxeste Beitrag stammt von einem Gitarristen, der es auch unorthodox kann. Wawau Adler hält sich in „Happy Birthday Django 110“ so getreulich an den Originalsound, dass er eine Gitarre aus den 40er-Jahren und Mikrophone, die den damaligen nachempfunden sind, verwendete. Fast alle Stücke stammen aus Djangos Repertoire. Hauptunterschied sind eine Begleitgitarre weniger und dass der Geiger als Solist etwas weniger im Zentrum steht. Der glänzende Alexandre Cavaliere orientiert sich am Sound des jungen Grappelli. Django wurde im Studio zum ständigen Begleiter im Geiste. Adler stellte sich immer die Frage: „Wie hätte er es wohl gemacht?“. Und doch ist das Ergebnis keine sklavische Imitation. Mit seelenvoll herausschwingendem Ton und inspirierten Soli gelingt ihm eine bewegende Hommage! (GLM)
Die virtuos zugespitzte Spielart des Genres vertritt das Gismo Graf Trio mit Vater Joschi an der Rhythmusgitarre und dem hervorragenden Bassisten, der auch das vorige und das folgende Album ziert: Joel Locher, einer der angesagten Tieftöner des Genres. Graf setzt auf den traditionellen Sound, doch auf behutsame Erweiterung des Repertoires um Pop-Titel von Michael Jackson und Amy Winehouse. (GLM)
Bei Stochelo Rosenberg & Jermaine Landsberger ist der Titel „Gypsy Today“ Programm. Landsberger ist eine Ausnahmeerscheinung unter den Sinti-Musikern. Er spielt nämlich virtuos Instrumente, die im Gipsy Jazz bislang so gut wie nichts zu vermelden hatten: Klavier in einem gemäßigt modernen Stil und auf anderen Alben Hammondorgel. Die Wahl des Klaviers an Stelle der Gitarre hat stilistisch-rhythmische Konsequenzen: Eine Begleitung etwa in der Art von Oscar Peterson ist etwas ganz anderes als die typische „Pompe“, wie man sie auch vom Rosenberg Trio kennt. (Allenfalls könnte man sie am Klavier durch eine „four to the bar“-Begleitung à la Erroll Garner ersetzen). Landsberger reißt hier den eher konservativen Rosenberg, längst eine Ikone des Genres, in modernere Gefilde mit. Auf drei Stücken gibt es ein Wiederhören mit dem großen Geiger und Grappelli-Nachfolger Didier Lockwood, dessen Tod vor zwei Jahren dazu führte, dass das Album erst einmal auf Eis gelegt wurde. (GLM)
„The New Gipsy Sound“ der Brüder David (Akkordeon) und Danino Weiss (Klavier) besteht in einer im Gipsy Jazz unüblichen Frontline. Mit Exzellenten Gästen wie Wolfgang Lackerschmid (Vibraphon) und wahlweise Biréli Lagrène oder Stochelo Rosenberg an der Gitarre klingt ihre angenehm swingende, unterhaltsame Musik wie eine moderne Fortsetzung jener von Art Van Damme vor 50 Jahren. (GLM)
„Psycho Guitar“ ist ein irrer Jazzrock-Trip des wahrhaft wild entfesselten Gitarristen Harri Stojka, der hier auch Bass und Keyboards spielt – eine explosive Fast-One-Man-Show mit wechselnden Drummern, wobei man „fast“ auch auf die Highspeed-Tempi beziehen kann. Man würde das Album schwerlich in diesem Zusammenhang erwähnen, wäre der Wiener Roma nicht früher mit traditionellem Gipsy Swing hervorgetreten. (Lotus Records)
Im Gegensatz dazu akustisch ist „Live at Neidecks No. 3“, ein Kabinettstückchen des bestens eingespielten Gitarren-Duos Daniel Stelter und Lulo Reinhardt. Wie fast immer bei diesem Vertreter der Reinhardt-Familie verbinden sich die Gipsy Roots mit Elementen brasilianischer Musik, Latin und Flamenco. Die Stücke bilden mit unterschiedlichsten geografischen Bezugspunkten wie Norwegen und Persien eine reizvolle Reise um die Welt. (DMG )