Seit 2011 dokumentiert die Ernst von Siemens Musikstiftung die Arbeit ihrer Förderpreisträger in einer eigenen CD-Reihe mit namhaften Interpreten. Die aktuellen Preisträger heißen Milica Djordjevic, David Hudry und Gordon Kampe. Für stilistische Vielfalt ist also gesorgt, für die traditionell hohe Qualität der Auswahl ebenfalls:
David Hudry schreibt eine bemerkenswert farben- und gestenreiche Instrumentalmusik, deren komplex wuchernde Organik nicht selten von den Nachbarkünsten inspiriert ist. Elementare Klanggewalten entladen sich in „The Forgotten City“ (2015/16). Mossolows „Eisengießerei“ wirkt wie eine Hinterhofwerkstatt verglichen mit Hudrys Transformationen ehemaliger Stätten der Schwerindustrie, derartige Energien werden hier im Ächzen, Stampfen und Kreischen des „Kraftwerks“ namens Ensemble intercontemporain freigesetzt. (col legno)
Die Qualitäten der Musik von Milica Djordjevíc, die sich in den Kammermusikformaten ihrer Debut-CD bei der „Edition Zeitgenössische Musik“ schon angedeutet hatten, finden im Siemens-Portrait eindrucksvolle Potenzierung in größeren Besetzungen. Nicht selten erinnert das organische Wuchern und Wimmeln, abrupte Ändern und Zusammenbrechen klanglicher Aggregatzustände an Xenakis’ Kunst orchestraler Massenbewegungen. Das gilt insbesondere für die Klangphysik von „Quicksilver“ (2016) mit seinen mächtigen Glissandi, katastrophischen Trommel-Impulsen und wirr ineinander verhakten Loops. Es spricht für die Exklusivität der Siemens-Reihe, dass keine bereits vorhandenen Aufnahmen „aufgewärmt“ werden: So gibt es das Streichquartett „The Death of the Star-Knower, petrified echoes of an epitaph in a kicked crystal of time I“ (2008/09) in einer Neuaufnahme mit dem Armida Quartett, die der Arditti-Premiere in nichts nachsteht. (col legno)
Dass Gordon Kampe genauso wenig ein stromlinienförmiger Erfüllungsgehilfe ästhetischer Trends ist wie ein Verfechter handwerklicher Gediegenheit, macht seine Siemens-Veröffentlichung mit brandaktuellem Material deutlich. Kampes erfrischend unkonventionelle Transformationen vielfältiger Einflüsse aus Musiktradition und Alltagskultur finden oft zu wunderbar schrägen Kombinationen des vermeintlich Unvereinbaren. Eine ins Absurde gesteigerte Expressivität gehört zum festen Inventar von Kampes Poesie der Übertreibung. Die „Moritaten und Sentimentales“ bilden in dieser Hinsicht selbsterfundene Katastrophengeschichten, wo Komponisten auf der Suche nach Adorno-Bänden tödlich verunglücken oder Menschen auf Kommentarspalten von Welt-online einen Herzinfarkt erleiden. Die volle Orchesterpranke gibt es in den „Drei Stücken für Orchester“ aufs Ohr, während uns im Herzen von „Knapp“ „Frau Czybulka“ ein rührendes Kirchenlied im Wohnzimmer singt. (col legno)
Eine Art Vorstudie zu den existentiellen Extremzuständen ihres Musiktheaters „Infinite Now“ bildet Chaya Czernowins Vokalzyklus „Adiantum Capillus-Veneris“ (2015/16), eine Lautperformance, die von der israelischen Mezzo-Sopranistin Inbal Hever hier mit kalligrafischer Schärfe und virtuoser Zerbrechlichkeit gleichermaßen präsentiert wird. Die Spannung von Stimmgebung und Atem avanciert zum wesentlichen Gestaltungsmittel. Eine dünnhäutige Zwischenwelt aus Ton und Geräusch, Laut und Luft. Kaum weniger fragil ‚zeigt’ sich das Streichquartett „HIDDEN“ (2013/14) mit im Pariser IRCAM entwickelter Elektronik. Trotz aufwendiger Apparatur mit drei verschiedenen Lautsprecherebenen ist der Name Programm: Die 45-minütige Klangreise führt durch Extrembereiche der Wahrnehmung, deren mysteriöse Ereignisse sich eher entziehen als aufdrängen. Das Jack Quartett bewegt sich auf ganz leisen Sohlen durch diese ortlose Klangwelt, wo klare Zuordnungen kaum herzustellen sind. Das liegt auch an einer Aufnahmetechnik, die die akustische Vielschichtigkeit dieser Raumkomposition gut zu transportieren versteht. (Wergo)