Stets war das deutsche Stadttheater in seiner Summe wie in herausragenden Einzelleistungen ein ästhetisches Orientierungsfeld. Zumal die sechziger und siebziger Jahre überaus fruchtbar waren gerade in der Reibung zwischen deutschem Bildungsbürgertum mit einem leidlich intakten Wertgefüge, der Vorstellung von der „moralischen Anstalt” der Nation, und dem Auf- und Umbruchselan der Achtundsechziger. Wer an neuem Theater interessiert war, der fuhr nach Bremen und Bochum, der Opern-Neugierige nach Kassel, Nürnberg oder Wuppertal. Dort, in der protestantischen Sekten-Kapitale, inmitten eines katholischen Umfelds, wurde zwischen 1964 und 1975 spannendes Musiktheater gemacht, avanciert, nicht unbedingt experimentell. Kurt Horres, aus Lübeck gekommen, prägte als Oberspielleiter der Oper einen Stil, in dem sich realistische Präzision mit oft surrealer Überhöhung verband und in dem „Botschaft” keine geringe Rolle spielte. Oper, sonst gern Reich schönen Scheins par excellence, war für Horres in erster Linie Ort komplexer Gefühle im Sinne eines tua res agitur. Dass er die „Literaturoper” bevorzugte, war konsequent: Den großen Stoffen und Texten waren die Gestalten zu entnehmen, an denen sich schmerzliche Schicksale am suggestivsten belegen ließen. Fortner, Klebe, Udo Zimmermann, Gunther Schuller, sie alle profitierten von Horres‘ engagierter Handschrift, oft in den Bühnenbildern Hanna Jordans. Dass in die Spätphase von Horres auch der Aufstieg von Pina Bausch fiel, war bezeichnend.
Stets war er mehr als nur Regisseur: ihm war Theater „moralische Anstalt”, die Moderne stetiger Anlass, die Menschen über Menschen wachzurütteln. Dabei spielte er nicht den „Softie”, sondern setzte auf die Rolle eines verantwortungsvollen Prinzipals, der, skeptisch gegenüber Mitbestimmung, Arbeitsethos und Disziplin forderte. Konservativ in der Haltung, progressiv in der Sache, hat er manche Zerreißprozesse aushalten müssen. 1975 ging er als Intendant ans Staatstheater Darmstadt, wo sich sein Bildstil noch einmal weitete.
nszenierungen wie die von Brittens „Tod in Venedig” sind bis heute in Erinnerung. Es folgte der Ruf nach Hamburg. Das Intermezzo währte nur kurz: Horres legte nach nur drei Monaten seinen Vertrag zurück. Vieles kam da wohl zusammen, um ihm die Arbeit zu verleiden. In Düsseldorf an der Rheinoper fühlte er sich dann wie befreit, auch wenn Etatkürzungen ihn bekümmerten, er die Akzeptanz der Kunst im Schwinden sah. Horres‘ Ideal von Moderne gewann immer mehr historische Züge – der Lauf der Zeit, dem alle schöpferischen Kräfte sich zu beugen haben. Immerhin gehörte Horres zu den Entdeckern eines Herbert Wernicke oder Günter Krämer, die die „Fackel” weitertrugen. Wernickes früher Tod hat Horres besonders schwer getroffen. Als Regisseur ist er immer noch aktiv – gerade hat er in Bonn die „Ariadne auf Naxos” in Szene gesetzt, die geniale Reflexion von Hofmannsthal und Strauss über das Operntheater, an der sich auch Kurt Horres ein Künstlerleben lang erfolgreich beteiligt hat.