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Rihm und Schönberg: Das Trio Gringolts/Power/Altstaedt. Foto: F. Schellhorn
Rihm und Schönberg: Das Trio Gringolts/Power/Altstaedt. Foto: F. Schellhorn
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Gäste aus westlichen Metropolen und aus Odessa

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Neuheiten und Wiederentdeckungen beim Musikfest Berlin
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Nachdem die Pandemie auch das Musikfest Berlin beeinträchtigt hatte, konnten in diesem Jahr endlich Gastspiele internationaler Orchester nachgeholt werden. Auch der 85. Geburtstag Aribert Reimanns wurde unter Leitung von Christoph Eschenbach mit dem Konzerthausorchester Berlin nachgefeiert.

Der vor allem durch Opern und Vokalmusik bekannte Berliner Komponist hat den 2. Weltkrieg noch als Kind miterlebt – eine Erfahrung, die ihn nicht mehr losließ. Dies spürte man auch in dem ihm gewidmeten Porträtkonzert. Es begann mit „Spiralat Halim“ (Traumspiralen) für großes Orchester, ausgelöst während des Irakkrieges 2002 durch einen Angsttraum von brennenden Ölfeldern. Dunkle Klangbänder von Kontrabässen, Bass- und Kontrabassklarinette hellen sich hier erst allmählich auf und verwandeln sich ins Melodische. „Cantus“ für Klarinette und Orchester bevorzugt ebenfalls tiefe Klangregister und spart die hohen Streicher aus. Auf eine bewegliche Solokadenz antworten hier gespenstisch-fahle Klänge, die der Komponist mit Schatten aus einem Grab verglich. Reimanns fortwährende Auseinandersetzung mit den kryptischen Dichtungen Paul Celans verbindet das Kriegserlebnis mit dem Schock über Auschwitz. Der elfteilige Celan-Zyklus „Eingedunkelt“ für Alt solo, von Ursula Hesse von den Steinen eindrucksvoll vorgetragen, artikuliert Angst vor der Gewalt. Aus diesem solistischen Werk gingen ein Jahr später die „Neun Stücke für Orchester“ hervor, 1994 durch Eschenbach in Houston uraufgeführt, die angesichts der Dichte der dissonanten Klangschichten hohe Ansprüche an die Hörer stellten.

Zwei Konzerte würdigten Wolfgang Rihm zum siebzigsten Geburtstag. Seine „Musik für 3 Streicher“, die er 1977 als 25-Jähriger schrieb, wurde mit dem Streichtrio des 72-jährigen Arnold Schönberg kombiniert – eine passende Gegenüberstellung. Denn schon der junge Rihm riskierte, vermittelt über Beethoven, den Tonfall des Spätwerks. Die Extreme des Ausdrucks, bei Schönberg durch eine Herzoperation bewirkt, waren ihm bereits historisches Tonmaterial. Oder hatte Rihm damals schon existentielle Grenzerfahrungen zwischen Leben und Tod durchgemacht? Sein Streichtrio ist wild zerklüftet, einige ruhige Inseln kontrastieren zu maßloser Aggressivität, wobei die achtteilige Form kaum nachvollziehbar war. Umso eindrucksvoller wirkte dann der zunächst krachend einsetzende Schlusston, der nach mehrfacher Wiederholung im pianissimo verklang. Von Ilya Gringolts, Lawrence Power und Nicolas Altstaedt wurde dies beispiellos intensiv dargeboten. Im Vergleich dazu waren die dreißig Jahre später entstandenen Orchesterwerke „Verwandlungen“ Nr. 2 und 3, welche mit dem Cleveland Orchestra unter Franz Welser-Möst zu hören waren, geradezu altmeisterlich gediegen, in der Vielfalt der Anspielungen aber überraschender. Der späte Rihm ist vielsprachiger geworden, wirkt jedoch immer noch spontan und sperrt sich gegen analytische Einordnungen. Die 2007 geschriebene „Verwandlung 3“ ist in ihrem ständigen Wechsel von Tutti und Soli fast ein Konzert für Orchester mit großen Melodielinien, Unisonobildungen und Dur-Akkorden, wie man sie bei diesem Komponisten nicht erwartet. Leider gab es sogar beim Auftritt dieses berühmten Orchesters in der Philharmonie viele leere Plätze. Rihm ist offenbar kein Besuchermagnet.

Mit Iannis Xenakis wurde einer der großen Komponisten des 20. Jahrhunderts zu seinem 100. Geburtstag in vier Konzerten geehrt. Aus Architektur und Mathematik hat er eine neue und doch unmittelbare Musiksprache entwickelt. Bei „Jalons“ mit dem Ensemblekollektiv Berlin hörte man Klangbänder, aus denen die Harfe mit schnellen Tonwiederholungen und später motivischen Figuren herausragte. Das Rundfunksinfonieorchester Berlin bot unter Vladimir Jurowski die Totenklage „Aïs“ für Bariton, Schlagzeug und Orches­ter, wobei der Sänger Georg Nigl bravourös zwischen tiefer Lage und hoher Kopfstimme, zwischen Rezitation und Schrei wechselte. Bei der Erwähnung des Todes ergänzten Perkussionisten des Orchesters den Schlagzeuger Dirk Rothbrust. Das US-amerikanische Jack Quartet, das bereits eine maßstäbliche Gesamtaufnahme der Xenakis-Streichquartette vorlegte, wurde bei „Tetras“ zum einheitlichen Klangkörper, mit Glissandi als wichtigem Gestaltungsmittel. Ein besonders beziehungsreiches Programm boten die Berliner Philharmoniker. Unter Leitung von Kirill Petrenko verbanden sie das formklare Orchesterwerk „Empreintes“ von Xenakis mit Kompositionen zweier weiterer Antifaschisten: der „Sinfonie in einem Satz“ von Bernd Alois Zimmermann und dem selten gespielten Einakter „Il prigioniero“ von Luigi Dallapiccola. Dies war jedenfalls attraktiver als das ungebremst laute Dirigierdebüt von Thomas Adès mit eigenen Werken.

Neue Werke von Arnulf Herrmann und Enno Poppe, zwei etwa gleichaltrigen Schülern Friedrich Goldmanns, waren mit dem Ensemble Modern zu hören. Herrmanns „Hard Boiled Variations“ für Ensemble und Tanz sind ein auskomponierter Countdown, eine deutlich gegliederte Beschleunigung. In Zeitlupe beginnend dominierte dabei in Musik und Bewegung (CocoonDance Company) der Eindruck des Mechanisch-Maschinenhaften. Enno Poppe verwandelte in „Körper“ das Ensemble in eine eigenwillige Bigband. Der Rhythmus von drei vorne platzierten Schlagzeuggruppen, vom Komponisten unerbittlich im Viervierteltakt dirigiert, ging an Komplexität allerdings weit über Jazzrhythmen hinaus. Ergänzt durch einen umfangreichen Bläsersatz, mehrere Orgeln und elektrische Streichinstrumente ergab sich ein faszinierender Klang, der futuristisch und zugleich nostalgisch wirkte.

Neben Novitäten (darunter Sofia Gubaidulina und Liza Lim) und klassischen Meisterwerken brachten die 27 Konzerte auch wenig Bekanntes der Vergangenheit zu Gehör. So setzte sich das großartige Philadelphia Orchestra unter Yannik Nézet-Séguin für die 1. Symphonie e-Moll von Florence Price ein. Als das erste Werk einer Schwarzen wurde sie 1933 vom Chicago Symphony Orchestra unter Leitung des im Rheinland geborenen Frederick Stock uraufgeführt. Die Komponistin war politisch mutig und avantgardistisch, musikalisch jedoch eher konservativ. In ihrer Symphonie knüpfte sie an Dvoráks Neunte an, aber auch an das Call-and-Response-Prinzip und den afroamerikanischen Juba-Tanz. Im Philadelphia Orchestra gibt es heute nur einen einzigen Schwarzen, obwohl diese in der Stadt die Mehrheit darstellen. Das Rotterdams Philharmonisch Orkest spielte unter Lahav Shani die vor 100 Jahren uraufgeführte Symphonie Nr. 2 von Willem Pijper. Trotz origineller Farbwirkungen kam die Riesenbesetzung – unter anderem acht Hörner, vier Harfen und sechs Mandolinen – kaum je zum Tragen. Igor Levit interpretierte in einem Konzert der Accademia Nazionale di Santa Cecilia mit großem Einsatz Ferruccio Busonis gigantisches Klavierkonzert – eine wirkliche Wiederentdeckung und ein Triumph für den Pianisten.

Kurzfristig eingeschoben wurde ein bewegendes Gastspiel des Odessa Philharmonic Orchestra, also aus der Heimatstadt solcher Größen wie David Oistrach, Nathan Milstein, Emil Gilels und Swjatoslaw Richter, die heute in ihrer Existenz bedroht ist. Das 1937 gegründete Orchester durfte in der Zeit der Sowjetunion nicht im Ausland gas­tieren. Unter der Leitung von Hobart Earle konnte es seit 1992 bereits 21 Auslandstourneen unternehmen. Beim Musikfest präsentierte es Werke dreier ukrainischer Komponisten, unter ihnen der 1934 auf der Krim geborene Alemdar Karamanov. Schon während seiner Ausbildung in Moskau hatte er sieben Symphonien geschrieben, dem noch 17 weitere folgten. Jetzt spielte Tamara Stefanovich sein eigenartiges Klavierkonzert Nr. 3 „Ave Maria“ (1968), das richtungslos in sich kreiste, in der tonalen Tonsprache zwischen Skrjabin und Rachmaninow changierend. Der Stadt Odessa ist eine zielstrebigere Entwicklung zu wünschen.

 

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