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Handel und Handlung. Foto: Hufner
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Grundrechte versus Ökonomisierung

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Wozu gibt sich ein demokratisches Staatswesen einen Kulturauftrag?
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Auch wenn die Proteste gegen TTIP, TISA und CETA mit Recht den Bereich der Kultur und der Musik auf den Plan gerufen haben, sind die Debatten doch bisher vor allem über Symptome geführt worden. Die grundlegende, auch staatsrechtlich nicht triviale Bedeutung der dahinter verborgenen Ökonomisierung des Gemeinwesens und damit auch der kulturellen Infrastruktur ist dagegen kaum zur Sprache gekommen: Alle Träger kultureller Einrichtungen scheinen alternativlos zu Teilnehmern an einem globalen Markt zu werden – andere Möglichkeiten, Kultur und Gesellschaft global zu denken, treten dahinter zurück.

Nicht selten geraten sie überdies in Gefahr, den populistischen Plädoyers für ökonomische wie kulturelle Abgrenzung das Wort zu reden – Konzepte wie Heimat oder Identität haben in ihrer Tendenz zum Essenziellen heutzutage etwas Janusköpfiges. Gerade vor diesem Hintergrund muss man offensiv die Frage stellen nach den verfassungsmäßig verankerten Verhandlungsräumen, die einer sich wandelnden Gesellschaft die Aushandlung der kulturellen Grundlagen ihres Staatswesens unter den Bedingungen einer globalen Welt erlauben – denn hier wird nicht „einfach nur“ über Kultur verhandelt, sondern am Ende über die Legitimation dieses Staatswesens als eines demokratischen.

Die internationalen Handels-Abkommen sind spät ins breitere Bewusstsein gerückt, weil solcher Ökonomisierung im Bewusstsein Vieler schon länger der Weg bereitet wurde – von der Presse, aber auch von der öffentlichen Hand selbst, sei es in den Verwaltungsstrukturen oder sei es unmittelbar in den gesetzlichen Grundlagen, die der Öffnung staatlicher Infrastrukturen für private Anbieter Rechnung trugen. Die mittlerweile verbreitete journalistische Rede von der Kultursubvention, die in Wahrheit in sehr vielen der so benannten Fälle eine öffentliche Trägerschaft betrifft, hat eine ökonomische Konkurrenzlogik für die Verteilung von staatlichen Finanzierungen ins Spiel gebracht, die genau solche Dienstleis­tungsmodelle heranzieht. Auf dieser Basis entstand ein unseliger Wettbewerb zwischen staatlichen Trägerschaften, öffentlich geförderten freien Initiativen und privaten Unternehmen, in dem sich ökonomische und ideelle Begriffe von Wertschöpfung verquicken. Dass man diese Dienstleister-Logik in der öffentlichen Debatte in solcher Konsequenz übernommen hat, ohne darüber zu diskutieren, was das im Grundsatz für das Verhältnis von Kultur und Gesellschaft sowie Kultur und Staat eigentlich bedeutet, müssen wir aufmerksam betrachten. Es ist möglicherweise ein Indiz dafür, dass sich auch das Verhältnis der Bürger zum Staat verändert hat. Im Misstrauen gegenüber staatlichen Trägerschaften in der Kultur, die nach 1918 eigentlich einmal zu den Errungenschaften des demokratischen Kulturstaates gehört hatten, findet sich nicht selten eine unheimliche Allianz von Vertretern neoliberaler und marktradikaler Standpunkte mit Alt-68ern ebenso wie mit post-sozialistischen Institutionenskeptikern. Dabei hängt alles davon ab, wie man das Gemeinwesen und die staatlichen Aufgaben unter den Bedingungen einer parlamentarischen Demokratie fasst. Viele sehen heute im Staat offenbar nicht mehr ihre mandatierte Vertretung, sondern in der Tat einen Dienstleister. Ob wir das nun begrüßen oder bedauern – man muss es jedenfalls diskutieren, denn es verändert die Rolle und die Bedeutung der Kultur in diesem Staat, der sich (in der Tradition der Weimarer Verfassung stehend) mit einem Kulturauftrag versehen hat, grundlegend.

Paradigmenwechsel

Der Blick in Grundgesetz, die bundesdeutschen Landesverfassungen sowie den Vertrag von Lissabon und CETA gibt einen Eindruck von den aktuellen Perspektivverschiebungen. Beginnen wir aus aktuellem Anlass bei CETA: Wie weit die Dienstleistungslogik in diesem Abkommen reicht, sieht man an den Aussagen über den Geltungsbereich. Die Europäische Union nimmt nur  „in Ausübung hoheitlicher Gewalt ausgeübte Dienstleistungen“ und „audiovisuelle Dienstleitungen“ aus, der Vertragspartner Kanada dagegen ausdrücklich die „Kulturwirtschaft“. Beunruhigend dabei ist nicht allein die Asymmetrie der Ausnahmen im Bereich der Kultur, sondern vielmehr die Subsumierung der „Ausübung hoheitlicher Gewalt“ unter die Dienstleistungen, denn an dieser Stelle findet fast unbemerkt der eigentliche Paradigmenwechsel statt, dessen Symptome wir im Bereich der Wissenschaft, Kunst und Kultur so sorgenvoll beobachten. Auch wenn der Vertrag den Staaten explizit das Recht zubilligt, „ihre Kulturpolitik beizubehalten“ und „ihre Kulturwirtschaft zwecks Stärkung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen zu fördern [...], unter anderem durch Regulierungsmaßnahmen und finanzielle Unterstützung“, so unterliegt dies alles doch am Ende der Marktlogik – staatliches Engagement wird also faktisch und formell zur Subvention, das heißt  zum Eingriff in einen Markt, sogar im „ausgenommenen Bereich“ des hoheitlichen Handelns.

CETA und Verfassungsauftrag

Anders als der Vertrag von Lissabon, der in seiner Präambel die Wahrung der kulturellen Vielfalt als zentrales Ziel der Europäischen Union formuliert, ist CETA nicht rückgebunden an eine Staatsauffassung, in der die Kultur eine grundlegende Funktion hat. Kultur als Auftrag eines staatlichen Gemeinwesens zu begreifen, gehört jedoch seit Weimar zu den Säulen unserer demokratischen Verfasstheit, und zwar so sehr, dass es – wie der Staatsrechtler Dieter Grimm bereits 1984 eindrucksvoll herausstellte – im Grundgesetz wie in einigen Landesverfassungen gar nicht mehr ausdrücklich verankert werden musste, um als verfassungsrechtlich begründete Bedingung gelten zu können. Allein die Verfassung des Landes Bayern formuliert derzeit die aktive Rolle explizit unter Verwendung des aus der Weimarer Staatsauffassung entlehnten Begriffs des Kulturstaates: „Bayern ist ein Rechts-, Kultur- und Sozialstaat. Er dient dem Gemeinwohl.“ Bremen übernimmt nahezu wörtlich die das Kulturstaatkonzept spezifizierende Formulierung der Weimarer Verfassung: „Kunst, Wissenschaft und ihre Lehre sind frei. Der Staat gewährt ihnen Schutz und nimmt an ihrer Pflege teil. Der Staat schützt und fördert das kulturelle Leben.“

Auch in Nordrhein-Westfalen gibt es einen Verfassungsauftrag an den Staat: „Kultur, Kunst und Wissenschaft sind durch Land und Gemeinden zu pflegen und zu fördern.“ Ebenso statuiert das Land Berlin einen solchen Auftrag: „Das Land schützt und fördert das kulturelle Leben.“ Die Freiheit von Kunst, Wissenschaft in Lehre und Forschung wird in einem darauf folgenden eigenen Paragraphen geregelt. Gleichsam im toten Winkel der so nur noch implizit vorhandenen Überzeugungen aber erodiert die grundlegende Verknüpfung der verfassungsmäßig garantierten Kunst- und Wissenschaftsfreiheit mit dem staatlichen Auftrag zu Schutz und Förderung der Kultur, wie sich beispielsweise zeigt, wenn die Zuständigkeit für die Wissenschaft in Sachsen-Anhalt oder Thüringen ins Ressort Wirtschaft wandert, oder das Land Berlin während der letzten Legislaturperiode Wissenschaft und Forschung trennte und das eine Bildung und Kultur, das andere der Wirtschaft zuordnete – was die neue Ressortaufteilung der rot-rot-grünen Landesregierung in Berlin, die Bildung, Wissenschaft und Kultur je eigenen Ressorts zuweist, für den Zusammenhang von Kultur, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit bedeutet, wird man genau beobachten müssen.

Warum ist dieser Zusammenhang so wichtig? Als Grimm 1984 aus Anlass der Aufhebung des öffentlich-rechtlichen Rundfunkmonopols und der Zulassung privater Sender über die Notwendigkeit der expliziten Verankerung eines Kulturauftrags auch im Grundgesetz nachdachte, leitete er seine Argumentation nicht nur verfassungssystematisch, sondern auch his­torisch und mit vergleichendem Blick nach Europa und in die USA her aus der kulturellen Autonomie des Bürgertums als Voraussetzung für ein demokratisches Staatswesen. Grimm schlug damals vor, „die Funktion von Kultur in der ideellen Reproduktion der Gesellschaft zu sehen. Zur Kultur wäre dann alles zu zählen, was sich auf Weltdeutung, Sinnstiftung, Wertgründung, -tradierung und -kritik sowie deren symbolischen Ausdruck bezieht, sogenannte Gegen- und Subkulturen eingeschlossen.“ 

Über den Aushandlungsraum

Das liest sich heute höchst aktuell: Kultur wäre demnach ein gesellschaftlicher Aushandlungsraum eines demokratischen Gemeinwesens über gesellschaftliche Grundlagen und eben keine essentialistische Entität. Grimm siedelte gerade angesichts der Öffnung eines zentralen Bereichs öffentlicher Infrastruktur für private Unternehmer die Funktion der Kultur auf der grundsätzlichsten Ebene der demokratischen Verfasstheit an. Er sah in ihr aus verfassungsrechtlicher Perspektive die Basis für eine Legitimation staatlicher Aufgaben. Ein demokratischer Staat ist existenziell auf einen solchen Aushandlungsraum angewiesen, kann er doch anders als ein autokratischer solche Legitimation nicht selbst erzeugen oder setzen, sondern muss sie kulturell konsti­tuieren – genau das wird in Kunst, Wissenschaft, Bildung und Kultur verhandelt, deshalb müssen sie frei sein – autonom, nicht autark, das heißt nicht unabhängig vom Staat, sondern auf dessen Fundament. Als Leitsatz formuliert Grimm am Ende: „Da der oberste verfassungsrechtliche Zielwert der Menschenwürde und die auf ihn bezogene demokratische Herrschaft nur unter bestimmten kulturellen Voraussetzungen realisierbar sind, erteilt das Grundgesetz dem Staat auch ohne ausdrückliche Kulturstaatsklausel einen Kulturauftrag.“ Fügte man sie eigens hinzu, habe das lediglich appellativen Charakter.

Das sah Grimm 1984 noch nicht als nötig an. Heute scheint mir das anders zu sein. Jedenfalls sollten wir darüber diskutieren, ob wir in Kunst, Wissenschaft und Bildung diese verfassungsmäßige Funktion der Kultur noch annehmen wollen – und ob das unter den Bedingungen einer Dienstleistungslogik überhaupt möglich ist. Oder ob wir diesen Schritt in die ökonomisierte Logik in der Konsequenz auch als einen aus dem durch die Demokratie gesetzten Verhältnis von Staat und Bürger sehen müssen. Das allerdings würde den Rahmen für jedes kulturelle Engagement auch jenseits staatlicher Trägerschaften und öffentlicher Förderungen substanziell verändern.

Wenn wir über die Frage der konkreten Auswirkungen auf das Musikleben nachdenken, sollten wir das im Blick haben. Damit ließe sich im Übrigen auch differenzieren, worin die politischen Unterschiede der verschiedenen Einwände gegen die Freihandelsverträge bestehen.

Dörte Schmidt ist Vizepräsidentin des Landesmusikrats Berlin und Präsidiumsmitglied des Deutschen Musikrates.

„Grundrechte versus Ökonomisierung“ ist ein Impulsvortrag, den Dörte ­Schmidt für die Podiumsdiskussion mit Hella Dunger-Löper (bis Anfang Dezember 2016 Bevollmächtigte beim Bund und Europabeauftragte des Landes Berlin), Klaus Mindrup (MdB) und Sarah Zalfen (Büroleiterin im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur Brandenburg) und Christian Höppner (Präsident des Deutschen Kulturrats) im Rahmen der Generalversammlung des Landesmusikrats am 9. Dezember 2016 hielt.

Der Landesmusikrats stellt auf seiner Homepage einen Überblick über die Regelungen zu Kultur, Kunst und Bildung im Grundgesetz und in den bundesdeutschen Länderverfassungen, sowie im Vertrag von Lissabon und in CETA zur Verfügung: www.landesmusikrat-berlin.de/fileadmin/Kulturauftrag.pdf

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