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Lust am Dialog: Peter Michael Hamel (geb. am 15. Juli 1947). Foto: Martin Hufner
Lust am Dialog: Peter Michael Hamel (geb. am 15. Juli 1947). Foto: Martin Hufner
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Kreativkraftwerk in personam

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Peter Michael Hamel zum Siebzigsten
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Was den Trend zur Gehaltsästhetik in der Musik unserer Tage angeht: Peter Michael Hamel war und ist schon immer diesseitig gewesen mit seiner Kunst. Das ging los mit seinem Militärdienst beim Lufttransportgeschwader in Neubiberg. Vier Semester Kompositionsstudium hat ihn das gekostet, da kann er sich fünf Jahrzehnte später noch darüber echauffieren, und schon damals sang er „Eine Armee ohne Kultur ist eine unwissende Armee“. Als Vertreter der 68er-Generation versuchte der 1947 in München geborene Musiker den Spagat zwischen der Hochkultur und den Worten des Vorsitzenden Mao Zedong. Das ging nicht immer ohne Reibungs- und Materialverluste: Stets gab es aber auch musikalischen Materialgewinn als Ergebnis dieser Konflikte.

Diesseitig und gehaltsästhetisch orientiert war Hamel auch mit seiner nie versiegenden Lust am ost-westlichen Dialog. Eurozentrismus passt nicht in sein künstlerisches Weltbild. Er konzertiert und komponiert schon immer in dem Wissen, dass die mitteleuropäische Kunstmusik letztlich ein Tropfen im weltweiten Klangstrom ist, der uns in seinen Dimensionen erst in den vergangenen 100 Jahren annähernd bekannt wurde – um gleich darauf als Rohstoff der Kulturindustrie unerbittlich ausgebeutet und vermarktet zu werden.

Umso wertvoller ist ein Künstler wie Hamel, der die Musik der ganzen Welt aus erster Hand kennenlernen wollte. Und der die Musik anderer Kulturen nie vereinnahmte, sondern stets den Dialog mit ihr und ihren Interpreten suchte. Das wird in der Begegnung mit dem modal improvisierenden südafrikanischen Pianisten Abdullah Ibrahim im schweizerischen Boswil genauso deutlich wie in Hamels integrativem Musikkonzept bei der von ihm 1970 mitgegründeten Gruppe „Between“. Da spielten Musiker ganz unterschiedlicher kultureller Herkunft auf ihren jeweiligen Instrumenten miteinander, als ob es das Natürlichste auf der Welt sei. Ideell verwandt auch das Konzept der ehemaligen Krautrockgruppe Embryo, mit der Hamel als Gast­improvisator bis heute auftritt.

Greift man die aktuellen Schlagworte kultureller Bildung auf – kulturelle Integration, Inklusion, Transkulturalität und so weiter –, dann frappiert, dass Peter Michael Hamel diese inter- und transkulturellen Konzepte des Musikmachens in seiner integrativen Musik bereits in den 70er-Jahren umsetzte.¹ Die Bandbreite von Peter Michael Hamels Materialstand reicht von mystischen Einflüssen bei westlichen Komponisten bis zu Praktiken indischer, tibetanischer und ostasiatischer Tonsysteme. Gruppenimprovisation, Musiktherapie, Living Theatre, Pop und Jazz, Psychedelisches  und Politisches – alles fließt ein ins Schaffen von Peter Michael Hamel.

Auch wenn Hamel Multiinstrumentalist von Anfang an ist, alles begann mit dem Klavier. Seit seinem fünften Lebensjahr erhielt Hamel Klavierunterricht bei seiner Großtante Amalie Jensen-Pletsch, danach lernte er Violine, Violoncello und Horn und studierte Komposition bei Fritz Büchtger und Günter Bialas an der Musikhochschule in München. Er studierte Musikwissenschaft und als Kind seiner Zeit beschäftigte er sich in den 60er-Jahren mit Freejazz, politischem Kabarett und Musique concrète. Nicht zu vergessen sind seine Schauspiel- und Fernsehspielmusiken für Inszenierungen seines Vaters Kurt Peter Hamel (1911–1979), später schrieb er auch Bühnenmusik für Peter Stein und Dieter Dorn.

Als Kind von Schauspielern war Hamel früh mit dem Theater und der Oper in Berührung gekommen. Sein erstes abendfüllendes Bühnenwerk „Ein Menschentraum“, zu dem sein Vater kurz vor seinem Tode noch das Libretto verfasst hatte, schrieb Hamel 1979/80 als Stipendiat der Villa Massimo in Rom. Es wurde 1981 am Staatstheater Kassel von Dieter Dorn uraufgeführt.

Die Arbeit mit dem Living Theatre in Westberlin führte dazu, dass Judith Malina 1987 bei den Frankfurt Festen Hamels „Kassandra“ inszenierte. Hamels radikalstes Musiktheater war 1996 „Die Endlösung“ zum Thema Judenvernichtung, uraufgeführt auf der Festung Ehrenbreitstein bei Koblenz. In der Realisation von Heinz von Cramer entstand daraus die Radiokomposition „SHOAH“ mit dem Schauspieler Rolf Boysen.

1979 hatte Sergiu Celibidache seine dirigentische Arbeit mit den Münchner Philharmonikern begonnen. Da der Dirigent seit den gemeinsamen Berliner Kriegsjahren mit Hamels Lehrer Günter Bialas befreundet war, kam es bald zu einer folgenreichen Begegnung Hamels mit dem Maestro, welche dann zur kompositorischen Beschäftigung mit dem klassischen Orchester führte. Hamels erste Sinfonie in sechs Teilen, „Die Lichtung“ studierte Celibidache auswendig für die Uraufführung am Ende der ersten Münchner Biennale 1988 ein. Auf seine Anregung hin konnte Hamel 1995 dann auch die abendfüllende „MISSA“ als Auftragswerk zum 100. Geburtstag der Münchner Philharmoniker schreiben.

Neben der 1997 folgenden „PASSION“ mit Dietrich Fischer-Dieskau, der 2. Sinfonie „Die Auflösung“ und neben den Konzerten für Klavier, Violine und Orgel, entstanden in jener Zeit auch viele Chor- und Kammermusiken, etwa für den Münchner Via Nova Chor, oder die vier Streichquartette für das Auryn- und das Kronos-Quartett. Dank des Between-Produzenten, dem Tonmeister und späteren Hochschulprofessor Ulrich Kraus, und durch die Zusammenarbeit mit dem wichtigsten Münchner Avantgardisten seiner Zeit, Josef Anton Riedl, war Hamel auch mit allen analogen live-elektronischen und frühen Computer-Technologien in Berührung gekommen. Sie kamen bei ihm vor allem im sogenannten angewandten Musikbereich zum Einsatz: im Hörspielstudio, im Sprechtheater, bei experimentellen Installationen, für Stummfilm-Neuvertonungen und live bei den Auftritten als Self Performing Artist, die er, oft mit dem Goethe-Institut, in Indien, Japan, Südkorea, USA, Kanada und in den meisten europäischen Großstädten durchführen konnte.

Mit diesem „Erfahrungsschatz“ begann für Hamel 1993 die Zeit als Lehrender, zunächst als Composer in residence im Westen der irischen Republik, dann als Hochschulprofessur für Komposition in Graz, und schließlich kam der Ruf nach Hamburg. Im Herbst 1997 wurde Hamel auf eine C4-Stelle in der Nachfolge von György Ligeti an die Hamburger Hochschule für Musik und Theater berufen. Seinen inzwischen erfolgreichen Meisterschülern wie Jörn Arnecke, Minas Borboudakis, Martin von Frantzius, Gediminas Gelgotas, Sascha Lino Lemke, Eunyoung Kim oder Yijie Wang ist Hamel als umtriebiger und reformfreudiger Professor in Erinnerung: Man denke etwa an seine Vorlesung „Neue Musik ohne Eurozentrismus“, die Einrichtung eines bundesweit ersten Masterstudiengangs für multimediale Komposition sowie zahlreiche interkulturelle Seminare („Ethnotrans“). Die Nachklänge an die von Hamel kreierten Klang­nächte der Hamburger Hochschule sind vielen Konzertbesuchern bis heute präsent.

Seit 2016 ist Peter Michael Hamel Direktor der Musikabteilung der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Auch hier blickt Hamel über den Tellerrand des täglichen Konzertbetriebs hinaus. So will die Akademie zukünftig im Bereich der schulischen Nachwuchsförderung aktiv werden. Gedacht wird unter anderem an ein Wahlfach Komponieren in der Oberstufe.

Innerhalb der Akademie sollen abteilungsübergreifende Projekte und neue Veranstaltungsformate entstehen, die auf die Förderung interkultureller Kompetenz zielen. In Verbindung mit dem Freien Musikzentrum München – auch dies ein Kind Hamels, allerdings bereits aus dem Jahr 1979 – sind Begegnungen mit afrikanischer, arabischer und persischer Musik geplant. Peter Michael Hamel wird am 15. Juli 70 Jahre alt.


1     Der Artikel beruht auch auf einem Beitrag des Autors „Peter Michael Hamel als konzertierender Künstler“, in: Theresa Henkel, Franzpeter Messmer (Hrsg.): „Peter Michael Hamel, Komponisten in Bayern“, Bd. 61, München 2017, S. 28–34. Die Monografie samt einer Begleit-CD erscheint im Juli 2017.


Hinweise auf Veranstaltungen
70. Geburtstag von Peter Michael Hamel

14.7.2017
Freies Musikzentrum
Ismaningerstrasse, München, 20 Uhr
"Musik zwischen den Welten"
mit Njamy Sitson, Johnny u. Peter M Hamel

14.7.2017
BR Klassik 22:05-23.00 Uhr
"Coincidence" Orgelpfeifen und Dudelsack
PMH mit Thomas Gundermann, Sackpfeifen

16.7.2017
ARD Alpha Fernsehen
Forum der Gegenwartsmusik, 21:30 Uhr
"Last Minute", Musica Viva 2009

17./18.7.2017
BR 2 Concerto bavarese 00.10-02:00 Uhr
3. Streichquartett, "Die Auflösung", Klavierquintett, "tief stummen wir" u.a.

18.7.2017
Orffzentrum
Kaulbachstrasse, München, 20 h
Zum 70sten Präsentation der Monographie
"Komponisten in Bayern" Band 61
Volker Banfield spielt die UA der 3 Klavierfantasien

18.7.2017
BR Klassik 22.05-23.00 Uhr
"Unermüdlicher Weltenwanderer": PMH wird 70
Eine Sendung von Kristin Amme

19./20.7.2017
BR 2 Concerto Bavarese 00:11-01:15 Uhr
"Vom Klang des Lebens" mit Roger Woodward, Klavier.
CD Celestial Harmonies

21.7.2017
Kintai Musikfestival in Litauen
Let it play Pianoperformance vor dem Sonnenuntergang in der Ostsee
Aufführung Arrow of Time / Violinkonzert

26.7.2017
Karl Amadeus Hartmann Gesellschaft
Franz Joseph Strasse 20, München, 19.30 Uhr
Pianoperformance. Übermalung künstlich-künstlerischer Paradiese

28.7.2017
Kath.Pfarrkirche Aschau im Chiemgau, 19.30 h
Musik für die Seele
"Saecula saeculorum"
PMH an der Pemmerorgel

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