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Melos und Klarheit

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Ein Plädoyer für den Wiener Josef Hauer
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Herbert Henck: Fürsprache für Hauer. Hermann Heiß und die Hintergründe eines Briefes von Thomas Mann an Ellie Bommersheim im Jahre 1949. Kompost-Verlag, Deinstedt 1998, ISBN 3-9802341-3-4; 114 Seiten. Neu ist sie nicht, die Prioritätenfrage um die Urheberschaftan der Zwölftontechnik zwischen Josef Matthias Hauer und Arnold Schönberg. Seit den zwanziger Jahren buhlen beide Kontrahenten um den Anspruch an der Moderne, um die Autorschaft an jener Kompositionsmethodik, die das Tonsystem neuordnen und revolutionieren sollte. Und was sie zu Lebzeiten nicht zu klären vermochten, lieferte noch der Nachwelt reichlich Streit und Gesprächsstoff. Der Wiener Komponist Hauer (1883–1959) hatte noch vor Schönberg (1874–1951) selbständig eine eigene individuelle Zwölftontechnik entwickelt, die sich erstmals 1919 in dem Klavierstück „Nomos“ op. 10 manifestierte, bei Schönberg in der September 1921 bis April 1923 komponierten „Suite“ für Klavier op. 25. Ein Umstand, der vom Schönberg-Kreis wie von der Musikgeschichte gerne bagatellisiert wird. Wegbahner Tatsache jedenfalls ist, dass beide Komponisten zeitgleich an ähnlichen Ideen arbeiteten und Schönberg von Hauers Zwölftonmusik Kenntnis besaß, wenn nicht gar Impulse erhielt. In einem Brief vom 1. Dezember 1923 an Hauer sieht Schönberg daher „den Ruf meiner Originalität gefährdet“ und bekennt seine Furcht, als „Plagiator“ Hauers zu gelten. Schönberg regt ein gemeinsam zu schreibendes Buch an, in dem beide die Unterschiede ihrer nur auf den ersten Blick ähnlichen Ansätze herausarbeiten sollten. Das Buch ist nie entstanden, doch Hauer, in zunehmendem Maß als der andere Wegbahner der Zwölftonmusik totgeschwiegen, kontert 1937 mit einem eigens angefertigten Stempel, der seine Manifeste und Briefe beschloß: „Der geistige Urheber und (trotz vielen Nachahmern!) immer noch der einzige Kenner und Könner der Zwölftonmusik“. Leicht hatte es der eigenwillige Hauer nie, und lebendig geblieben ist er weniger mit seiner Musik als durch Schönbergs Streit um die Darstellung des Adrian Leverkühn in Thomas Manns „Doktor Faustus“. Eine engagierte und detailreiche „Fürsprache für Hauer“ vorgelegt hat Herbert Henck, als Pianist ohnehin ein Kenner und flammender Verfechter Hauers: „Das Melos, die Klarheit und Unaufdringlichkeit seiner Musik, die sich mit keiner anderen Zwölftonmusik vergleichen ließ, gefielen mir außerordentlich, und nicht minder aufregend erschien mir eine Modernität des Denkens, das deutlich andere Wege nahm als jenes der Zweiten Wiener Schule.“ Akribische Studie In seinem Plädoyer für den vernachlässigten Komponisten hat Henck eine immense Fülle an Datenmaterial rund um Hauer zusammengetragen samt einem reichen Anmerkungsapparat. Ausgangspunkt seiner akribischen Studie bildet zweierlei: Die vielfältigen Bemühungen von Hauers Schüler Hermann Heiß (1897–1966), seinem Lehrer durch Aufsätze, Vorträge und Rundfunksendungen die angemessene Beachtung und Anerkennung zukommen zu lassen, und, sehr speziell, die Hintergründe eines Antwortschreibens Thomas Manns an die deutsche Pianistin, Klavier- und Gymnastik-pädagogin Ellie Bommersheim (1893–1986). In diesem Brief von 1949 um die Gewichtung der Prioritätenfrage der Dodekaphonie in seinem „Die Entstehung des Doktor Faustus“ gestand Thomas Mann, dass Hauer mehr Gewicht zugestanden hätte, er mit Rücksicht auf den kranken Schönberg, immerhin sein Nachbar im kalifornischen Exil, den Namen aber unterschlagen habe. „Ich wusste ueber Hauer und seine urspruengliche Autorschaft an dem Zwoelf-Ton-System ganz gut Bescheid, als ich meine Antwort an Schoenberg schrieb. Aber ich habe den Namen absichtlich unterdrueckt, um den leidenden Mann nicht noch mehr zu reizen.“ Hermann Heiß indes wertete den gesamten Prioritätenstreit ein Jahr später als „Afferei“ und gelobte 1950 in einem Brief an Hauer, „der Hintansetzung Deiner Person“ Abhilfe zu leisten. 1959 dann hielt Heiß im Nachruf auf Josef Matthias Hauer den Prioritätenstreit schlichtweg für müßig, galten ihm Termini wie „Konstellation“ oder „Grundgestalt“ schließlich in mehrfachem Sinne deutbar. Und heute ist der Personenpoker um die Begründung der Dodekaphonik längst um weitere Namen bereichert wie Fritz Heinrich Klein, die Russen Arthur Lourié und Nikolai Roslavetz und den Italiener Domenico Alaleona.

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