Diplom-Gesangspädagoge, Opernsänger, Medienpädagoge, Studienrat (Lehramt), Physiker und Appmusiker – Matthias Krebs ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität der Künste Berlin und forscht zu ästhetischen Erfahrungsmöglichkeiten und Lernen mit digitalen Musiktechnologien. Er ist darüber hinaus Lehrbeauftragter im Fachbereich Musikpädagogik an mehreren Musikhochschulen (aktuell in Graz, Detmold, Frankfurt) und als Dozent in der Fort- und Weiterbildung aktiv.
neue musikzeitung: Herr Krebs, Sie haben eine ziemlich breit gefächerte Vita vorzuweisen. Vom Opernsänger über den Physiker bis hin zum Appmusiker. Wie kam es letztlich zu der Spezialisierung im Bereich Appmusik?
Matthias Krebs: Mein Großvater war Physiker und hat mich in meiner Kindheit für verschiedene Naturphänomene sowie die Astronomie begeistert. Er hat mich auch früh mit Computern, Videoschnitt und digitaler Fotografie in Berührung gebracht. Diese Erfahrungen habe ich dann mit meinem Musikmachen verbunden. Ich habe mein Cello- und Klavierspiel aufgezeichnet, am Computer komponiert und mich mit Trainingssoftware auf die Aufnahmeprüfung vorbereitet. Später habe ich auch in verschiedenen Bands Bass und Schlagzeug gespielt, da habe ich mich in die digitale Tonstudio-Technik eingearbeitet. Parallel zum Musikpädagogikstudium war ich fasziniert von den Kommunikationsmöglichkeiten im „social web“ und habe mich intensiv mit dem Thema ‚Netzmusik‘ auseinander gesetzt. Als mir dann in einem Forschungsprojekt ein iPhone in die Hände fiel, habe ich damit vor allem musikalisch experimentiert, wobei sich schon 2009 schnell herausstellte, dass diese Technologie zum Musikmachen leistungsfähig und vielseitig ist. Zusammen mit Studierenden führte ich erste Schulprojekte durch, in die Musikapps integriert waren und gründete das iEnsemble – ein Vorläufer des DigiEnsemble Berlin.
Im DigiEnsemble Berlin spielen seit 2011 Profimusiker*innen Konzerte, darunter im Gewandhaus Leipzig oder bei Veranstaltungen in Kairo oder München. Parallel zu dem Projekt „app2music“ haben Marc Godau und ich uns auch wissenschaftlich dafür interessiert, wie Musikmachen und Musiklernen mit digitalen Technologien gelingt und welche Besonderheiten dabei zu Tage treten.
nmz: Sie sind Leiter der „Forschungsstelle Appmusik – Institut für digitale Musiktechnologien in Forschung und Praxis“, die an der UdK Berlin ansässig ist. Was können wir uns darunter vorstellen?
Krebs: Die Forschungsstelle Appmusik – Institut für digitale Musiktechnologien in Forschung und Praxis ist eine Einrichtung der Universität der Künste Berlin, angesiedelt am ZIW/ UdK Berlin Career College und wurde 2014 gegründet. Ziel der Forschungsstelle ist es, das bisher wenig erforschte Feld – Formen musikalischer Praxis mit Apps – zu systematisieren, Verbindungen mit neueren Strömungen im Kunst- und Musikfeld aufzuzeigen und die gesellschaftliche Dimension sowie musikpädagogische Implikationen herauszuarbeiten. Interessierte Forscher und Studierende aus verschiedensten Wissenschaftskontexten sowie Lehrer, Medienpädagogen, Sozialarbeiter und auch Künstler sowie Programmierer, die sich musikbezogen mit mobilen Digitalgeräten beschäftigen, sollen hier ein Forum erhalten.
nmz: Als Musikpädagoge ist Ihnen auch der sinnvolle Einsatz von Apps im Lehrbetrieb wichtig. In diesem Zusammenhang entwickelten Sie das Projekt ‚app2music‘ in Berlin. Was haben Sie an den Schulen genau gemacht? Ist es auf Berlin beschränkt? Sicher interessieren sich auch andere Bundesländer für das Projekt?
Krebs: Im Rahmen von Lehrveranstaltungen an der UdK Berlin sowie als Lehrbeauftragter an der Universität Potsdam hatte ich schon einige Erfahrung mit Musikapps im schulischen Kontext gesammelt. Gemeinsam mit Marc Godau habe ich dann Ende 2013 damit begonnen, an Berliner Schulen im Nachmittagsbereich regelmäßige Angebote für interessierte Schüler*innen zu realisieren. Die erfolgreich eingeworbenen Fördergelder haben wir dann dazu verwendet, um Musiker*innen aus Berlin in unser Projekt einzubeziehen. Unsere Überzeugung war es, dass wir gemeinsam mit anderen die interessanten Möglichkeiten zum Musikmachen mit Apps besser verstehen. Uns ist wichtig, dass Kinder und Jugendliche selbst auf eine musikalische Reise gehen und nicht von uns irgendwo hingebracht werden. Es geht um IHRE Interessen, IHRE Idee und schließlich um IHRE Musik. Sie bekommen die Möglichkeit, mit vorhandenen Instrumenten sowie mit Smartphones und Tablets gemeinsam kleine Bands zu gründen, um zusammen zu musizieren. Unser Bestreben ist es, app2music als Lerngemeinschaft zu etablieren, in der Künstler*innen Erfahrungen aus der musikalischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen untereinander austauschen. Herausbilden soll sich in der Folge ein Profil, das sich aus der musikvermittelnden Praxis der Mitglieder speist, dadurch Synergieeffekte anregt und innerhalb gemeinsamer Interaktion stetig weiterentwickelt wird.Seit Januar 2018 gibt es das Projekt app2music nun auch deutschlandweit! Mit der Initiative „app2music_DE“ bauen wir seit Januar 2018 ein erweitertes kulturelles Bildungsangebot in Zusammenarbeit mit starken regionalen Bündnispartnern auf: Kinder und Jugendliche musizieren gemeinsam mit professionellen Musiker*innen im Nachmittagsbereich. app2music_DE wird gefördert im Rahmen von »Kultur macht Stark. Bündnisse für Bildung« des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Innerhalb von fünf Jahren werden wir für bildungsbenachteiligte Kinder und Jugendliche im gesamten Bundesgebiet ein auf digitale Musiktechnologien spezialisiertes kulturelles Bildungsangebot aufbauen. Das pädagogische Konzept und die wissenschaftliche Begleitung verantwortet die Forschungsstelle Appmusik der Universität der Künste Berlin. An insgesamt 20 Standorten in Deutschland wurden in Zusammenarbeit mit unseren Bündnispartnern sogenannte „app2music-Studios“ eingerichtet. Bündnispartner*innen sind beispielsweise das Gewandhausorchester Leipzig, das Staatstheater Nürnberg und die Bayerische Staatsoper. In 20 Städten (zum Beispiel in Halle, Rostock, München, Kaiserslautern, Berlin, Hannover) gibt es aktuell Teams von Musiker*innen, die im Rahmen von app2music_DE mit interessierten Kindern und Jugendlichen zwischen vier und 18 Jahren Musik machen. Ergebnisse können bei Auftritten in Schulen und regionalen Festen, oder in Form von Song- und Musikvideo-Produktionen präsentiert werden.
Informationen und Kontakt finden sich unter www.app2music.de/kulturmachtstark
nmz: Nun hat auch der DTKV Sie engagiert, um in einem Workshop von Ihrem Wissen zu profitieren. Der derzeitigen Situation durch Covid-19 ist es geschuldet, dass dieser nicht wie geplant in einer Gruppe stattfinden wird, sondern, was dem gesamten Thema sogar eher nahe kommt, in einer Art „Video-Konferenz“, live per digitaler Endgeräte. Sehen Sie generell die Vermittlung von Musik auf diese Art als Bereicherung oder gar als gleichwertigen Ersatz? Und ist „Corona“ vielleicht sogar eine Art Wegbereiter für neue Methoden?
Krebs: Ich unterhalte mich in den letzten Tagen mit unterschiedlichen Personen (Schüler*innen, Lehrkräften, Politiker*innen, Schulleiter*innen etcetera) und mir wird regelmäßig die Frage gestellt, ob Online-Konferenzen einen Ersatz für Treffen oder Präsenzunterricht darstellen. Ich habe bisher noch niemanden kennengelernt, der behauptet, dass es ein Ersatz wäre – dagegen habe ich gefühlt 1000mal vernommen, dass es kein Ersatz wäre. Ich bin nun dabei zu untersuchen, warum diese Frage überhaupt gestellt wird, und welche Gründe es dafür gibt, dass sich viele Musiker*innen von Online-Unterricht bedroht fühlen. Mein Gefühl ist, dass Online-Konferenzen sich deutlich von Treffen und Präsenzunterricht unterscheiden. Es gibt einige Punkte, die ich bei Online-Konferenzen als effektiv erlebe. So sitzen nun plötzlich Kolleg*innen regelmäßig im Meeting, die sich sonst nur einmal im Jahr austauschen. Auch genieße ich es, dass bei Online-Konferenzen häufig mehr zugehört und weniger ins Wort gefallen wird. Bei Treffen am selben Ort genieße ich dagegen die Möglichkeiten, sich miteinander leichter koordinieren zu können. Das unterstützt besonders musikalische Interaktionen. Durch die Einschränkung durch Covid-19, dass wir uns nicht in Essen treffen können, wird nun die Erfahrung der Digitalisierung im Online-Workshop um so deutlicher, da sie zur Grundbedingung wird. Sicher wird es Lehrkräfte geben, die nach den Maßnahmen zur Verhinderung der unkontrollierten Covid-19-Ausbreitung wieder auf ihre „sichere“ Unterrichtsführung zurückgehen. Ich schätze aber, dass das in Zukunft bei einigen auch zu Konflikten führt, da sich in den letzten Wochen doch so viel verändert hat. So konnten sich zum Beispiel viele Menschen nun Online-Angebote nicht nur zur privaten Kommunikation, sondern auch zur produktiven Interaktion erschließen.
Auf der anderen Seite erlebe ich auch unter den Lehrkräften, die bisher keinen Zugang zu digitalen Handlungsmöglichkeiten gefunden haben, große Freude daran, digitale Technologien zum Unterrichten zu verwenden und damit neue Wege zum Musizieren eröffnen zu können. Meine Hoffnung und Wunsch ist es, dass wir in Zukunft weniger Kraft in die Diskussion stecken müssen, ob digitale Technologien in den Unterricht integriert werden (müssen), sondern dass sich in Zukunft ein breiter Austausch darüber entwickelt, wie mit digitalen Technologien Schüler*innen lernen können. Schließlich soll nicht mehr die Technik im Fokus stehen, sondern die Entwicklung von Methoden einen breiten Raum einnehmen. Dazu gehört, dass wir auch Verantwortung abgeben: an die Schüler*innen. Die Diskussionen zu den methodischen Veränderungen werden aber dabei intensiv geführt werden, denn es geht dabei auch um Machtverschiebungen.
nmz: Für Ihre Arbeit weiterhin alles Gute und herzlichen Dank für dieses Interview.