Instrumentenbauer dürften sich freuen: „Jedem Kind ein Instrument“ ist eine Initiative, die deren Handwerkskünsten dauerhaft Absatz bescheren könnte. Wenn da nicht die Frage stünde, wie das Kind zum Instrument beziehungsweise das Instrument zum Kinde kommt. Und richtig, es geht ja nicht darum, nur Kinder und Musikinstrumente zusammenzubringen, sondern Kinder an die Musik heranzuführen.
Überall auf der Welt gibt es unterschiedlichste Projekte, um das musikalische Interesse von Kindern zu wecken, den Nachwuchs zum Singen, zum Musizieren, zum Zuhören und Mitmachen zu bringen. Was etwa in Südamerika durch José Antonio Abreu mit „El Sistema“ angestoßen worden ist und inzwischen Hunderttausende von Kindern erreicht hat, scheint in Deutschland undenkbar.
Und gar nicht notwendig? Schließlich haben wir hier ein System gut funktionierender Musikschulen, die selbst das Manko des im staatlichen Schulsystem allzu oft entfallenden Musik- und Kunstunterrichts ausgleichen können. Sollte man denken. Doch erstens ist die Vielfalt dieser Musikschulen längst kein Garant für flächendeckende Gesangs- oder Instrumentalausbildung und zweitens hatten sich im Osten und Westen des Landes doch recht unterschiedliche Strukturen entwickelt, die möglicherweise auch dreißig Jahre nach dem Ende der deutsch-deutschen Teilung noch Auswirkungen haben. Höchste Zeit also für eine Stippvisite in ein paar Ausbildungsstätten in den noch immer so genannten „neuen“ Bundesländern.
Auftakt in Dresden, der selbsternannten Kulturstadt, die im Bewerb um die Kulturhauptstadt längst aus dem Rennen ist, sich aber stolz auf ihre Traditionen beruft. Beim Heinrich-Schütz-Konservatorium gibt es derzeit offenbar so viel zu tun, dass die Schulleiterin gleich gar keine Zeit für ein Gespräch findet. Ihr Haus ist bis 1989 eine Spezialschule für Musik gewesen, die der Dresdner Musikhochschule Carl Maria von Weber zwecks orchestraler Nachwuchsgewinnung angegliedert war. Ähnliche Verbindungen gab es in Berlin und Rostock; nur an der nach ihrem Gründer Felix Mendelssohn Bartholdy benannten Musikhochschule in Leipzig hat es keine Spezialschule gegeben. Die befand sich in der Nachbarstadt Halle/Saale, nach der Wiedereinführung historischer Länderstrukturen also außerhalb Sachsens und somit aufgrund politischer Gegebenheiten der Neuzeit für eine weitere Kooperation nicht mehr erreichbar.
Umso größer wurde die Verantwortung an der Leipziger Musikschule „Johann Sebastian Bach“. Dort nimmt sich Matthias Wiedemann, Musikschulleiter seit 2015, Zeit für ein ausführliches Gespräch. Er hat Posaune studiert, sowie „richtiger- und klugerweise“, wie er betont, auch Pädagogik. „Denn ich habe die problematische Entwicklung der ostdeutschen Orchesterlandschaft miterlebt – da wurde viel abgewickelt, gab es bald wesentlich weniger Stellen, für die aber Bewerber aus nunmehr der ganzen Welt, also eine völlig neue Wettbewerbssituation.“
Wiedemann war Substitut beim MDR-Sinfonieorchester, engagierte sich in Sachen Alter Musik, musizierte in Blechbläser-Ensembles, betrieb Kammermusik und übernahm immer mehr Aufgaben in Pädagogik und Orchesterleitung, wurde Fachbereichsleiter und Fachberater: „Das hat sich organisch entwickelt und ist ein gesunder Prozess gewesen, für mich hat das sehr gut gepasst.“ Von 1999 an ist er Lehrer für Tuba, Posaune und Tenorhorn an „seiner“ Musikschule, die er gerne als „das System Musikschule“ bezeichnet. Da geht es schon längst nicht mehr „nur“ um die Nachwuchsgewinnung für Orchester; bei derzeit rund 8.000 Schülerinnen und Schülern wäre das ohnehin unrealistisch.
Seine Einrichtung habe viele Aufgaben: Ganz wichtig seien die musische Bildung, die Musikvermittlung, um Kernkompetenzen von Heranwachsenden zu entwickeln und Gemeinschaftsgefühle zu stärken. „Hochbegabtenförderung für die Orchester ist heute nur ein kleiner Teil unserer Arbeit, dieses Ziel war in der DDR wesentlich stärker, schließlich gab es damals 88 Kulturorchester im Land! Das kann man als Luxus sehen, das kostet viel Geld, aber für mich kann es gar nicht genug Orchester geben, auch wenn man heute natürlich die Perspektive wechseln und das alles auch wirtschaftlich sehen muss.“
Aus seiner Sicht sei es bedauerlich, dass so viel abgewickelt wurde, denn „die Versorgung in der Fläche war schon toll.“ Zum Glück aber gebe es nach wie vor einen großen gesellschaftlichen Bedarf an musikalischer Ausbildung, zumeist, weil viele Eltern das wollen.
„Unsere Palette ist groß, vom Babyalter über Kita- und Vorschulausbildung bieten wir alles an, um das Gemeinschaftserlebnis Musik zu fördern.“ Musische Angebote hält Matthias Wiedemann für wichtig, weil beim Musizieren Sekundärtugenden geschult würden: Konzentrationsfähigkeit, das Trainieren von Ausdauer, die tägliche Pflicht zum Üben, selbst Freude an Disziplin.
Hinsichtlich aktueller Aufgaben von Musikschulen plädiert Wiedemann für eine kluge Ausgewogenheit, die sowohl den gesellschaftlichen Bedarf als auch die angespannte Stellensituation in den Orchestern berücksichtigt. Dennoch habe man natürlich die Aufgabe, besonders begabten Jugendlichen den Weg an die Musikhochschule zu zeigen. Doch nicht jedes Kind, das ein Instrument erlernt, verbindet damit einen Berufswunsch. Der Markt für Musikvermittlung sei zwar größer geworden, weiß Wiedemann, es gehe ihm jedoch im „System Musikschule“ um das fächerübergreifende Gemeinschaftserlebnis Musik. „Das ist auch eine Schule für Demokratie, Teil eines Klangkörpers zu sein, man muss das Ergebnis dieser Gemeinschaft im Kopf haben.“
Instrumenten-Karussell-Kurse zum Ausprobieren
Trotz bestehender Wartelisten für einige Instrumente hat man in Leipzig auch „aufsuchende Angebote“ entwickelt – ein wichtiger Unterschied zur DDR-Zeit –, „denn wir können nicht nur auf Musikerkinder warten“. Im Elementarbereich können bereits Babys ab einem Alter von sechs Monaten an die Musik herangeführt werden, das gehe dann bis zum Schuleintritt und beinhalte Eltern-Kind-Kurse sowie musische Früherziehung. Man starte mit „Instrumenten-Karussell-Kursen zum Ausprobieren“, um Eltern das Gefühl dafür zu geben, wie gut Musik für eine ganzheitliche Entwicklung ihrer Kinder sein kann. Besonders stolz ist man hier auf das Projekt „Singt euch ein!“, das in immerhin 32 von insgesamt mehr als 60 Leipziger Grundschulen den Musikunterricht der 3. Klassen durch Gesangspädagogen der Musikschule mit vertiefter Stimmbildung ergänzt. „Pro Schuljahr erreichen wir durchschnittlich 2.000 Kinder, aber als Ergänzung und Bereicherung, nicht um den Musikunterricht an den Schulen zu ersetzen,“ so Matthias Wiedemann. Damit würden in allen Stadtteilen und sozialen Schichten Türen geöffnet, auch weil dieser Schritt für Menschen, die weniger nah am kulturellen Geschehen sind, nicht so einfach sei. Ursprünglich von der Drosos-Stiftung Zürich finanziert, sehe sich die Stadt inzwischen dafür in der Pflicht und betrachte diese elementarste, weil von Instrumenten völlig abgekoppelte Form des Musizierens als Erfolgsgeschichte.
Matthias Wiedemann klingt zufrieden, ohne sich aber auf Erfolgen ausruhen zu wollen. Große Aufgaben seien gelöst worden, die Finanzausstattung der Musikschule Leipzig bezeichnet er als solide. Problematisch sieht er die Honorarlehrkräfte im Bildungsbereich: „Wer zu DDR-Zeiten nebenberuflich tätig war, hatte einen Hauptberuf, meist im Orchester. Bei den Selbstständigen heute sehe ich rechtliche Probleme, da sie nicht weisungsgebunden sind, und vor allem hinsichtlich der Honorarhöhe.“ Verlässliche Musikschularbeit, so Wiedemann, könne nur mit Festangestellten erfolgen, lediglich bei ganz besonderen Instrumenten sei eine Honorarbasis akzeptabel. Dass derzeit vierzig Prozent der Lehrkräfte im Honorarbereich tätig sind, sei kein Verhältnis, wie er es sich wünsche.
In dieses Horn stößt auch Christian Scheibler, der Geschäftsführer vom Deutschen Tonkünstlerverband Sachsen – Berufsverband Musik (DTKV). Als ehemaliger Thomaner, späteres Mitglied semiprofessioneller Chöre, ausgebildeter Naturwissenschaftler und geübter Moderator am Runden Tisch sowie in der kirchlichen Umweltbewegung, verfügt er über ein breites Portfolio in Sachen musischer Demokratieausübung. „Ich liebe Musik, das ist meine Neigung, daher ist es verletzend für mich, wahrzunehmen, in was für einer unsicheren Situation Musiker heute sind. Wie wenig sie lernen, sich zu solidarisieren und ihre Interessen zu vertreten.“
Gemeinsam mit der Pianistin Stephanie Dathe findet Scheibler deutliche Worte: „Ich sehe da ein Systemproblem, das wir nun schon über Jahrzehnte weiterschleppen. Es werden scharenweise Honorarkräfte ohne Vertragssicherheit und mit unsäglichen Honorierungen beschäftigt. Ob es vor diesem Hintergrund überhaupt realistisch ist, Begabungen zu entdecken und zu fördern, muss man in Frage stellen.“
Die beiden Experten halten die vorhandenen Strukturen für „in Kernbereichen krank,“ was Christian Scheibler so begründet: „Für mich sind das unhaltbare Arbeitszustände, teilweise schlimmer als die Zeitarbeitsverhältnisse in der Autoindustrie.“ Die Ursachen dafür liegen seiner Meinung nach drei Jahrzehnte zurück. „Damals gab es einen starken Druck, das System der Musikschulen nach westdeutschem Vorbild aufzubauen, das hätten wir so vielleicht nicht gemacht.“ Denn dadurch sei diese Zweiklassengesellschaft von Festangestellten und Honorarkräften entstanden – allein in Sachsen soll es Scheibler zufolge etwa 5.000 nebenberufliche Musiklehrer geben. Was zur Folge habe, „dass die musikalische Bildung hier auf dem Fundament der Selbstausbeutung und Unterbezahlung steht – das ist besonders ein Problem der neuen Länder.“ Noch heute fehle eine Solidarisierung der Musikerinnen und Musiker, sie würden oft nicht erkennen, dass sie eine Organisation wie den Tonkünstlerverband bräuchten.
Dabei habe dieser Berufsverband die Lebenssituationen vieler Musikpädagogen beleuchten und ihnen damit ganz aktuell helfen können. Es sei folglich ihr Hauptanspruch, so Dathe und Scheibler, mehr an Information und Solidarisierung zu organisieren, auch um die Politik auf ein Wissensdefizit aufmerksam zu machen, das seit Jahren besteht. Neben dem System Musikschule müsse musikalische und kulturelle Bildung auch von anderen Trägern betrieben werden, was aber mit den bestehenden Förderstrukturen kaum möglich sei. Empfehlenswert wären beispielsweise eine Bedürftigkeitsförderung auch an Musikschulen, Bildungsgutscheine für musikalischen Unterricht sowie ein Paradigmenwechsel in der bestehenden „Gießkannenförderung“. Ferner regen die Gesprächspartner an, dass von jenen, die sich das leisten können, auskömmliche Elternentgelte gezahlt werden sollten, was die Situation für Privatlehrer ausgleichen könne. Denn es sei erkennbar, dass die Musikschüler in den größeren Städten mehrheitlich nicht aus prekären Verhältnissen stammen.
An dortigen Musikschulen gäbe es mitunter lange Wartelisten, die aber kaum geöffnet würden, kritisiert Christian Scheibler. Statt die Interessenten an freie Pädagogen zu vermitteln, würden Kinder daran gehindert, den gewünschten Unterricht zu bekommen. Dabei sei die musische Breitenbildung viel wichtiger als noch vor dreißig Jahren, „weil Schulen heute sehr auf die MINT-Fächer setzen, Musik ist aber für die kognitive Persönlichkeitsbildung wichtig.“
„Wie in Wanderarbeit“
Auch deswegen dürfe es nicht hingenommen werden, „dass gute Leute weggehen, weil sie ihre Familien nicht mehr ernähren können.“ Honorarlehrer haben keine gesetzlich geregelte Vertretungsstruktur, ihre Abhängigkeitssituation sei eine Katastrophe. Die klare Forderung des sächsischen DTKV an die Politik: „Wenn schon über Jahrzehnte hinweg solche Beschäftigungsstrukturen geschaffen und geduldet worden sind, muss es auch ein Recht auf Vertretung geben!“ Stephanie Dathe und Christian Scheibler meinen es gewiss nicht zynisch, wenn sie konstatieren, es sei zu lange gut gegangen, dürfe aber nicht so weitergehen, dass Honorarpädagogen nach wie vor als unterste Stufe der Hierarchie angesehen würden. Viele von ihnen ließen sich das gefallen, weil sie ihren Beruf lieben. Doch wenn sie gemeinsam mit den Musikschulen für höhere Zuschüsse eintreten, im Ergebnis jedoch wenig davon bei ihnen ankommt, müsse schon nach einem Wertekodex gefragt werden: „Was ist uns musikalische Bildung wert?“
Das gemeinsame Fazit: „Musikschulen sind unabdingbar, aber nicht die einzigen Anbieter. Wenn wir eine breite musische Bildung wollen, müssen wir alle unterstützen, die da etwas anbieten.“ Umso mehr, als die Corona-Krise „wie ein Brennglas“ deutlich gemacht habe, in welch angespannter Situation viele Honorarlehrer „wie in Wanderarbeit“ ohnehin leben.
„Praxisschock gibt’s überall“
Vor den Toren der Stadt, im Leipziger Landkreis, sieht die Gemengelage anders aus, weiß Klaus-Dieter Anders, der als Betriebsleiter eines kommunalen Eigenbetriebes Bildung und Kultur (so nüchtern werden Institutionen mit künstlerischem Profil heute benannt!) aber nicht nur die Region um Kleinstädte wie Borna, Markkleeberg und Wurzen im Blick hat, sondern als 1. Vorstandsvorsitzender im sächsischen Landesverband des VdM (Verband deutscher Musikschulen) auch koordinierend tätig ist. Zu seinem Verantwortungsbereich zählen 25 Musikschulen mit 907 Unterrichtsstätten, derzeit 63.691 Schülerinnen und Schüler sowie 328 Kooperationen.
Der studierte Musikwissenschaftler wechselte direkt von der Universität zur Musikschule und vermag aus seiner langen Berufserfahrung viel zu berichten. „Unsere Schule wurde immer wieder verändert, fusionierte mit Geithain, dem Leipziger Land, mit dem Muldental – sie ist heute ein Spiegelbild der regionalen Umstrukturierungen seit 1990.“ Sprich, eine gewachsene Struktur des Landkreises gibt es gar nicht. Im Speckgürtel der Stadt orientieren sich die Leute noch auf das Kulturleben von Leipzig, da schlägt sich eine kulturelle Affinität wie von selbst nieder. Aber: „Im eher ländlichen Raum versuchen wir, das zu kompensieren, weil die Eltern dort nicht von allein zu uns kommen.“
In Markkleeberg, das direkt an Leipzig grenzt, konnte die Musikschule ein komplettes Sinfonieorchester etablieren, im tieferen Südraum hingegen mehrere Blasorchester. Auf ländlichem Gebiet würden eher Gitarre (mit langer Warteliste), Klarinette, Klavier oder Schlagwerk gewählt, berichtet Klaus-Dieter Anders. „Der Unterricht ist hier komplizierter, weil längere Fahrwege vonnöten sind. Aber unser Konzept ist, fast überall zu unterrichten, wo Schulen sind, also auch in kleineren Orten.“
Dort sei ihm aufgefallen, dass es viele Familien gibt, in denen Kinder alles machen, von Musik bis zum Sport – daneben gäbe es Eltern, deren Kinder gar nichts tun. Interesse sei entweder stark ausgeprägt oder überhaupt nicht vorhanden.
Die komplett vom Freistaat finanzierte Initiative „Jedem Kind ein Instrument“ ist aus Sicht von Anders ein Erfolgsprojekt: „Das bedeutet für alle Kinder der 1. Klassen eine zusätzliche Stunde Musik, in der sämtliche Instrumente ausprobiert werden können, kombiniert mit Singen und Basteln, um Lust zu machen. In der 2. Klasse wird dann nach dem Lieblingsinstrument gefragt. Etwa 50 Prozent aller Kinder bleiben so bei der Sache, viele machen dann in Blasorchestern oder Kirchengemeinden weiter, das ist eine deutliche Änderung im Vergleich zu vor Wende.“
Damals sei schon der Musikschulunterricht sehr berufsorientiert gewesen. Wichtig sei aber, bei Kindern vor Ort ein musikalisches Interesse zu wecken. Wenn sie Spaß daran haben, sollten sie Möglichkeiten finden, das auszuüben. Und wer nach der Schulzeit mehr als nur Musik für den Hausgebrauch im Sinn hat, sollte bedenken, dass neben einer Orchestertätigkeit auch Instrumentenbau in Frage komme, Schulmusik, der Erzieherbereich, Musikjournalismus … Die Bandbreite, so Klaus-Dieter Anders, sei groß, nicht jeder müsse es zum Spitzenmusiker bringen. Nicht zuletzt sollten Musikschulen ja auch an ihre künftigen Lehrkräfte denken, um eine ausgeglichene Alterspyramide abzusichern.
Wenn aber genau dieser Beruf als nicht zukunftssicher gilt? Der Landesverbandschef bestätigt den nach 1990 aufkommenden Trend. „Viele feste, sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse wurden abgebaut und durch Honorarkräfte ersetzt. Wir brauchen aber deutlich mehr Lehrkräfte für Musikschulen, um ein breites Unterrichtsspektrum abzubilden.“ Letzteres habe sich im Laufe der Zeit stark entwickelt, beinhalte jetzt vom Baby- bis zum Musicalkurs diverse altersübergreifende Projekte. Kritisch sieht Anders allerdings die meist auf nur ein Fach orientierte Ausbildung an den Musikhochschulen: „Die hohe Spezialisierung des Studiums ist viel zu wenig auf unseren Bedarf abgestimmt, die Absolventen spielen zwar großartige Literatur, aber was nützt das beste Rachmaninov-Konzert, wenn im Unterricht ein Stück von Nirvana gewünscht wird? E-Piano, Liedbegleitung – das können viele Studienabsolventen nicht. Dann gibt’s fast überall den Praxisschock.“
Erschwerend komme für künftige Musikschullehrer hinzu, dass eine Stelle in Leipzig und Dresden natürlich reizvoll sei, auch wegen der dort höheren Honorare – „aber wer fährt nach Colditz, nach Geithain?“ Da fehle echter Anreiz, meint Klaus-Dieter Anders, das sei ein sächsisches Problem, über das der VdM mit der Politik, den Kommunen und den Hochschulen im Gespräch sei. „Wir brauchen einen Anreiz, damit junge Leute dort leben wollen, das hat was mit Sicherheit und Festanstellung zu tun.“
Viele Musikschulen hätten jedoch zu wenig Möglichkeiten, ein attraktiver Arbeitgeber zu sein. Allgemeinbildende Schulen würden anbieten, Absolventen von Hochschulen Zulagen zu zahlen; bei Musikschulen könnten die Kommunen das nicht finanzieren.
Das wirft ein Licht auf die Zukunft der kommunalen wie der privaten Haushalte. Schon jetzt gibt es Familien, die sich den Unterricht nicht mehr leisten können. „Um das auszugleichen, müssten die Musikschulen eigentlich jedes Jahr etwas mehr bekommen,“ sagt Klaus-Dieter Anders. Und resümiert: „Angesichts der aktuellen Haushaltslage müssen wir froh sein, wenn es so bleibt, wie es ist.“
Da aber in diesem so seltsamen Jahr scheinbar überhaupt nichts so bleibt, wie es ist, weil ein Virus die ganze Welt auf den Kopf stellt, muss auch im Landkreis Leipzig gebangt werden. Klaus-Dieter Anders lobt zwar „die unglaubliche Flexibilität und Kreativität meiner Kollegen, sowohl der Festangestellten als auch der Honorarkräfte, die den Unterricht alternativ in Video- und Telefonkonferenzen fortgeführt haben. Bei manchen Schülern sitzt jetzt die Frustration aber trotzdem tief, weil Orchestererfahrungen weg sind.
Auch die musikalische Früherziehung bleibt vorerst auf der Strecke.“ Allerdings werde zu Hause jetzt viel mehr geübt als vorher und es sei eine enorme Motivation festzustellen, endlich wieder gemeinsam zu musizieren. „Da warten wir von einer Corona-Verordnung auf die nächste. Aber schon jetzt gibt es weniger Musikschul-Anmeldungen für das kommende Jahr.“ Gewachsen ist hingegen die Zahl der offenen Fragen: „Wie halte ich alle bei Laune, wie haben sie Spaß dran, was mache ich mit Tänzern und Chören?“ Darauf hat Klaus-Dieter Anders – vorerst – keine Antwort. Und will dennoch die Freude am Musizieren auch weiterhin hochhalten.
Bei Matthias Wiedemann in Leipzig ist das kaum anders, er wünscht sich nichts sehnlicher als „ein Ende der Pandemie und wieder hundert Prozent Musikschulbetrieb“! Bitter sei, dass er Honorarkräfte jetzt nur bei stattfindender Leistung bezahlen kann, daher habe man alternative Unterrichtsformen gefunden. „Wir müssen die Schüler versorgen und unsere Lehrer beschäftigen, auch unter Auflagen und mit den geltenden Abstandsregeln.“ Für die Zeit irgendwann „danach“ müsse der Anteil festangestellter Lehrer dringend erhöht werden, brauche man zusätzliche Lehrerstellen und solle das Berufsbild des Musikschullehrers attraktiver gemacht werden.
Eine Erfolgsgeschichte? – Jein
Wünsche, wie man sie gewiss auch in der sächsischen Provinz teilen mag. Doch an der Musikschule in Hoyerswerda muss Klaus-Peter Haselbauer wesentlich kleinere Brötchen backen. Er ist dem Haus seit 1991 verbunden, hat Saxophon, Blockflöte und Querflöte unterrichtet, da er nach seinem Studium rasch feststellen musste, wie sich der Musikmarkt entwickeln werde. Nun geht er allmählich aufs Rentenalter zu und hat seine damalige Wahl nicht bereut. Neben dem Instrumentalunterricht konnte er an der Musikschule eine Bigband aufbauen, die zu Konzerten nach New York und Boston sowie zum Kulturaustausch in die finnische Partnerstadt Kuittinen eingeladen worden ist.
„Anfangs waren das alles Schüler“ erzählt Haselbauer, „dann kamen auch Lehrer in die Band.“ Also eine Erfolgsgeschichte! – Jein, denn nach jahrelanger Konzerttätigkeit musste die Band aufgelöst werden, weil es immer schwieriger wurde, die Musiker zusammenzuführen und gemeinsam zu proben.
Seit Anfang 2019 ist Klaus-Peter Haselbauer Künstlerischer Leiter der 1961 gegründeten Musikschule in Hoyerswerda, wo den Schülerinnen und Schülern momentan zehn hauptamtliche sowie 19 auf Honorarbasis tätige Lehrkräfte zur Verfügung stehen. Mit Corona kamen Unterrichtsausfall und zahlreiche Abmeldungen, Leidtragende sind die Honorarkräfte – und die Musik.
Da das Interesse der Kinder weitgehend konstant geblieben sei, hätten sich viele Pädagogen mit Privatunterricht sowie Ganztags-Angeboten an Grundschulen über Wasser gehalten, zwangsläufig auch an Außenstellen auf dem Lausitzer Land. Inzwischen gibt es auch hier Hygienekonzepte und finde der Unterricht wieder statt, nur Chorgesang sei noch immer nicht möglich. Die größte Sorge würde Klaus-Peter Haselbauer ein zweiter Lockdown bereiten. Auch wenn dies seine Liebe zur Musik nie in Frage stellen könnte. Mit dieser Haltung steht er gewiss nicht alleine da.
Keine freiberuflichen Lehrkräfte in Magdeburg
Auf ein Alleinstellungsmerkmal kann hingegen Stephan Schuh vom Magdeburger Konservatorium Georg Philipp Telemann verweisen: „Bei uns gibt es keine freiberuflichen Lehrkräfte, sämtliche 116 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind Festangestellte.“ Seit dem Jahr 2014 leitet Schuh als Direktor und Eigenbetriebsleiter diese Einrichtung, zuvor ist der Pianist in Coburg, Damstadt und Ulm tätig gewesen. Das Haus in der Hauptstadt von Sachsen-Anhalt habe er in einem guten Zustand vorgefunden, die Schule stand und stehe gut da, habe einen hervorragenden Ruf und sei von den Verantwortlichen in der Stadt Magdeburg nie angezweifelt worden. „Das war nicht mein Verdienst,“ räumt er ein, „ich habe dieses Niveau nur gehalten und versuche, es weiter auszubauen.“
Die komplette Festanstellung am Konservatorium sieht der Musiker als „besonderen Leistungs- und Qualitätsgarant, weil uns die Stadt und das Land entsprechend unterstützen.“ Das Musikschulgesetz von Sachsen-Anhalt sei in diesem Zusammenhang äußerst hilfreich und nicht zuletzt auch ein Kriterium für Stephan Schuh gewesen, sich auf diese Position zu bewerben. Bei seinem Abschied aus Ulm hat er 25 Festangestellte und 80 freie Mitarbeiter gehabt, wie er nicht ohne berechtigten Stolz erklärt. Im Lauf seiner Amtszeit sei das mit festen Verträgen versehene Personal um 800 Prozent erhöht worden. Doch einer seiner Hauptgründe, sich für Magdeburg zu bewerben, sei tatsächlich gewesen, „dass ich mir eine Verbesserung versprochen habe und nicht schon wieder mit einer Zweiklassengesellschaft arbeiten wollte. Lehrauftrag – nicht mit mir.“
Dieses Bekenntnis der Stadt und auch dessen Umsetzung am Telemann-Konservatorium empfindet der in Doppelfunktion als Direktor und Eigenbetriebsleiter Tätige als „fast mo-u udellhaft“, ein „bewahrenswerter Ausdruck dafür, dass in der ehemaligen DDR Musik sehr hoch gehalten wurde.“ Auf Unterschiede zwischen Ost und West angesprochen, betont er, dass es die auch zwischen Nord und Süd gebe. Darauf aber komme es nicht an, sondern auf die Leistungsfähigkeit innerhalb der Musikschulen. Magdeburg punktet regelmäßig bei Wettbewerben wie „Jugend musiziert“, sei für Bundesentscheide nominiert und pflege internationalen Jugend- und Kulturaustausch etwa mit Polen, Frankreich sowie neuerdings auch mit Sarajevo.
In diesem Zusammenhang spricht Schuh sinnbildlich von einer Pyramide: „Bei rund 2.700 Schülerinnen und Schülern ist unsere Spezialität selbstverständlich ein leistungsorientierter Unterricht, dennoch ist klar, dass nicht alle Absolventen zu Leistungsträgern werden können. Das zu erwarten, wäre ein falscher Ansatz, denn Musikschulen sind sowohl für die Breite als auch für die Spitze da - um die Breite breiter und die Spitze spitzer zu machen.“ Im Sport werde vorgemacht, dass Talente von unten nachwachsen müssen, in der Musik könne ein möglichst guter Früherziehungsunterricht von Kindern zumindest partiell das ausgleichen, was durch den Rückzug vieler Elternhäuser in Bezug auf Kunst und Kultur verloren geht. „Ich bin davon überzeugt, es gibt nichts Schöneres, als gemeinsam Musik zu machen.“
Der Erfolg gibt ihm Recht: Das Magdeburger Konservatorium hat seinen Angaben zufolge mehr als 30 Ensembles und Orchester, die in normalen Zeiten über 400 Veranstaltungen pro Jahr bestreiten. Und selbst in diesem schwierigen Ausnahmejahr konnten die Domfestspiele der Elbestadt mit einem Dozentenkonzert eröffnet werden. Mit dieser positiven Expertise würde Stephan Schuh die Schule gerne weiter ausbauen, sagt er, aber dafür sei unter den jetzigen Gegebenheiten kein zusätzliches Geld da. „Wir müssen die Musikausbildung modernisieren, denn die Gesellschaft wandelt sich permanent, da darf man nicht stehenbleiben. Um eine Schule der Zukunft zu machen, sollte man nicht in den Rückspiegel, sondern nach vorne schauen!“
Privatweg? „Das Problem ist der Markt!“
So oder so ähnlich mögen sich das vor knapp 30 Jahren auch Katrin Morgenstern und Andreas Bertheau von der 1997 in Potsdam gegründeten Musikschule Bertheau & Morgenstern gedacht haben. Einem reinen Privatunternehmen also. Beide haben damals als Wissenschaftlich-künstlerische Mitarbeiter an der Universität gearbeitet und sich entschlossen, nun selbstständig zu werden. „Nach der Wende war es an der Zeit für einen neuen Start, um die Möglichkeiten auszuschöpfen, die man plötzlich hatte,“ fasst es die Klavierlehrerin zusammen. „Wir sind Musiker und wollen weitergeben, was wir mal gelernt haben. Denn es ist wichtig, Kindern Kultur zu vermitteln. Das Unterrichten ging für mich schon an der Uni los, es macht einfach einen Riesenspaß, Kinder auf diesen Weg zu bringen.“
„Meine Motivation war ähnlich,“ ergänzt der Gitarre lehrende Partner, „mit dem Unterschied, dass ich wegen meines kirchlichen Hintergrunds keine staatliche Musikschule besuchen durfte. Insofern war ich also immer schon in Sachen Privatunterricht unterwegs und habe schon mit 16 Jahren angefangen, andere zu unterrichten.“ Ihm wurden von seiner Lehrerin jene Kinder weitergegeben, die ebenfalls nicht studieren durften. Für ihn war dies eine frühe Motivation, die Spaß am Unterrichten weckte, um auch breiteren Schichten die Möglichkeit zu geben, ein Instrument zu erlernen, auch wenn sie nicht unbedingt studieren wollten.
In der heute mit zwölf Filialen vorrangig in Potsdam, vereinzelt aber auch in Berlin aktiven Musikschule ist alles ein wenig anders als in kommunalen oder staatlichen Einrichtungen. Das beginnt mit der Entscheidung, Prüfungen nur auf Wunsch abzunehmen, aber dafür Konzertangebote von den Jüngsten bis hin zu Erwachsenen anzubieten, damit das Erlernte möglichst praxisnah unter Beweis gestellt werden kann. Bertheau und Morgenstern, zu denen inzwischen als dritter Leiter auch Martin Behm zählt, der Klavier unterrichtet und als Schatzmeister im Brandenburger Landesverband des Deutschen Tonkünstlerverbands schon lange die finanzielle Gleichstellung von privaten und staatlichen Musikschulen fordert, sind mitunter ganz erstaunt, was jeder einzelne Lernende auf seinem Niveau kann. „Wenn das Harmoniesystem beim Verlassen unserer Schule verstanden ist, haben wir viel erreicht, egal welchen Beruf die Absolventen später mal ergreifen,“ fasst Katrin Morgenstern das Herangehen zusammen.
Dafür stehen 166 Lehrkräfte zur Verfügung, die derzeit etwa 3.100 Schülerinnen und Schüler unterrichten – mehr als 1.000 davon übrigens am Klavier, dem hier mit Abstand beliebtesten Instrument. Flexibilität, Freundlichkeit und eine gute Ausstattung seien wichtige Kriterien der Privatschule, die sich Andreas Bertheau zufolge sowohl als Ergänzung, Konkurrenz und Bereicherung zu anderen Angeboten sieht. „Wir können nicht über den Preis konkurrieren, das geht nicht angesichts der hoch subventionierten staatlichen Einrichtungen. Dennoch sind wir nicht etwa nur für vermögende Haushalte da, in Bayern zum Beispiel liegen die staatlichen Honorare mitunter höher als bei uns, aber es gibt in Potsdam und Berlin ausreichend Leute mit guten Einkünften.“
Wer sich die Gebühren der Privatschule hingegen nicht leisten könne, finde über Bildungs- und Teilhabeprogramme durchaus die Möglichkeit einer Entlastung. Die beiden Namensgeber machen jedoch keinen Hehl daraus, dass sie für die Unterrichtsstunden gerne mehr Geld nehmen würden: „Und das in die Bezahlung unserer freien Mitarbeiter stecken.“ Hier nämlich liegt die Crux, mitunter werde „hart an der Grenze zur Wirtschaftlichkeit“ gearbeitet, da die Mieten in Berlin und Potsdam enorm gestiegen seien. Für eine leistungsgerechte Bezahlung der Lehrkräfte bleibt da kaum Spielraum. Sie sind überwiegend über freie Mitarbeiterverträge beschäftigt und können natürlich auch an anderen Einrichtungen unterrichten. „Wir versuchen, unsere Lehrer gut auszulasten, der Unterricht wird stundenweise gebündelt, viele Freiberufler sind ja froh, dass sie überhaupt noch unterrichten dürfen, weil in diesem Jahr fast alle Konzerte weggebrochen sind,“ meint Andreas Bertheau. Das Problem sei der Markt, denn der hat nur eine gewisse Aufnahmemöglichkeit. „Wenn ein Anbieter den Preis festlegt, hat der andere meist nicht die Möglichkeit, ihn höher zu setzen.“
Um schülerischen Nachwuchs muss man sich bei Morgenstern & Bertheau dennoch kaum Sorgen machen: „Wir brauchen wenig Werbung, die Empfehlung, da ist eine Musikschule, die gut funktioniert, ist der beste Schneeballeffekt für uns. Wenn wir gute Arbeit leisten, spricht sich das rum.“ Selbst in der Corona-Krise konnte die Schule schnell reagieren, rasch Kontakt mit allen Lehrern und Schülern aufnehmen, um in fast allen Fächern online zu unterrichten. „Wir waren erstaunt, wie gut und dankbar das angenommen wurde. Eine große Herausforderung war die musikalische Früherziehung, aber wir haben uns zusammentelefoniert und für 3- bis 6-jährige Kinder Videos erstellt, da sind wahre Meisterwerke entstanden, ganz tolle Sachen, die gut angenommen worden sind.“ Pandemie-bedingte Kündigungen habe es nur ganz wenige gegeben, so dass Katrin Morgenstern und Andreas Bertheau ein absolut positives Resümee ziehen. „Wir würden das immer wieder so machen.“
„Das ist es!“
Einen nochmal anderen Weg geht die Carl-Orff-Musikschule in Rostock, bei der man sich zuerst einmal fragt, wie die wohl zu ihrem Namen gekommen ist. Schließlich hatte der Münchner Orff mit Rostock und Ostsee nun wirklich überhaupt nichts zu tun. Aber er hat bekanntlich das nach ihm benannte Schulwerk geschaffen und vermittels der Orff-Instrumente ein musikpädagogisches Konzept von anhaltender Gültigkeit geschaffen. Darauf beruft sich auch heute noch Musikschulleiterin Franziska Pfaff, die daran erinnert, dass das Musikschulsystem der DDR sehr auf Leistung ausgerichtet gewesen sei, um musikalischen Nachwuchs für die opulente Orchesterlandschaft des kleinen Landes zu produzieren. In der Bevölkerung habe das aber für etwas Unmut gesorgt, weil es ja auch viele Menschen gab, die ein Instrument ganz ohne Berufswunsch erlernen wollten.
„In den 1970er-Jahren wurden dafür Musikunterrichtskabinette gegründet. Ich bin da gleich nach dem Studium wie ins Wasser geworfen worden, um das in Rostock zu etablieren. Ich sah es als Chance an, weil plötzlich ein sehr großer Gestaltungsraum gegeben war, vor allem hinsichtlich Methodik und Didaktik, womit ein ganz anderes Publikum requiriert werden konnte.“ Diese Art einer Musikschulreform sei quasi von oben gekommen, vom Kulturministerium, um verfestigte Strukturen aufzubrechen und auch Musiktherapie als sinnvolles Bindeglied mit einzubeziehen. Doch eben dieses Konzept musikalischer Elementarerziehung, der Verknüpfung von Sprache, Musik und Bewegung, geht auf das Orff-Instrumentarium zurück – und zwar ausdrücklich nicht, um hochkarätige Musiker heranzubilden, sondern um sich in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden musikalisch auszudrücken. Für Franziska Pfaff sei genau dies „auch eine Art von Persönlichkeitsbildung, egal, was die Leute sonst noch tun.“
Sie habe sofort gedacht, „das ist es!“, von staatlichen Musikschulen sei dieser Zweig freilich eher belächelt worden. „Und als das so richtig losging, kam die Wende mit all ihren Schwierigkeiten. Was für uns zunächst einmal Existenzangst bedeutet hat.“ Die meisten Kabinette seien bestehenden Musikschulen angegliedert worden. „Aber was wir da aufgebaut hatten, ist einfach nur weg, wenn das angegliedert wird. Wir haben es geschafft, selbstständig zu bleiben,“ freut sich Franziska Pfaff im Rückblick noch heute.
Die erste große Hürde sei Anfang der 1990er-Jahre dennoch gewesen, eigenständig zu bleiben. „Wir sind die Einzigen in einer ostdeutschen Großstadt, die das geschafft haben,“ resümiert die aus Berlin stammende Hanseatin. „Es war zunächst einmal schwierig, den Politikern klarzumachen, dass gerade in der Vielfalt auch eine Chance liegt. Es ging schließlich um Geld.“
Zu Wendezeiten war die Folgeeinrichtung des Musikunterrichtskabinetts noch kommunal. Als nächste Hürde war eine Anweisung der mecklenburgischen Landesregierung zu nehmen, die da beschloss, Rostock dürfe keine zwei kommunalen Musikschulen haben. Das brachte Franziska Pfaff auf den Plan, einen Verein zu gründen – „ohne Ahnung von gar nichts. Ich habe mich damals in Bayern und Hildesheim mit der Szene elementarer Musikpädagogik beschäftigt und konnte aus deren Fehlern viel lernen“.
Kein einfacher Weg, in Mecklenburg aber ein löblicher Ansatz, sei die Drittelfinanzierung von Eltern, Land und Kommune gewesen. Das habe gut funktioniert, als aber das Land seine Mittel weitgehend eingefroren hat, die Kommunen ihren Anteil etwas mehr angepasst hatten, bedeutete das immer mehr Ungleichgewicht für Vereinsmusikschulen. Ein solches Verhältnis ermöglicht es der Welt-Musik-Schule „Carl Orff“ auch nicht annähernd, Gehälter und Honorare von kommunalen Musikschulen zu zahlen. Dennoch sei die Anzahl fester Stellen tatsächlich auf- und nicht abgebaut worden, was real aber nur eine 100-Prozent-Stelle bedeute, alle anderen seien Teilzeitstellen. Etwa zehn davon gibt es laut Franziska Pfaff, die mitsamt Honorarkräften circa 50 Kollegen beschäftigt. „Viele wären auch über eine Drittelstelle sehr froh, die wir ihnen aber nicht geben können. Folglich gibt es bei uns eine hohe Pflichtstundenzahl pro Woche, offiziell sind das jetzt 34 Stunden.“
Dass Kinder von Kollegen kostenlos unterrichtet werden – „um ein paar Ungerechtigkeiten etwas auszugleichen“ –, sei kein Ersatz, auch wenn es ansonsten relativ große Freiräume für die Lehrenden gebe, die durchaus an unterschiedlichen Einrichtungen unterrichten. Wenig Orchestermusiker seien darunter, die meisten von ihnen seien am Rostocker Konservatorium tätig. Freiberufler aber dürften angesichts völlig weggebrochener Muggen froh, in der Vereinsschule tätig zu sein.
Ein sorgenvolles Dasein offenbar, bei dem es zumindest bis zum Beginn der Corona-Seuche keinerlei Schülermangel gab. „Das ist die einzige Sorge, die wir nie gehabt haben,“ meint Franziska Pfaff mit bitterem Unterton. Der Zulauf werde schwieriger, weil es sich herumgesprochen hat, dass der Musikerberuf nicht der sicherste ist. Hinzu komme die schwierige Wohnsituation in Rostock, die für Musiker kaum noch bezahlbar sei. „Allein dadurch haben wir zwei Kollegen verloren.“
Elementare Musikpädagogik unterrichtet Franziska Pfaff auch an der Hochschule: „Die Absolventen dort sind supergute Musiker, aber nicht unbedingt Pädagogen. Wer bei uns Erfahrungen gesammelt hat, ist natürlich gut aufgestellt.“ In der Vereinsschule wurden bislang etwa 1.300 Kinder zuzüglich 600 Projektschüler pro Jahr unterrichtet, doch nun würden die Leute wesentlich vorsichtiger. Gab es im Fach Klavier teilweise mehr als ein Jahr Wartezeit, könne jetzt schneller ein Platz gefunden werden. Diese Entwicklung solle verstetigt werden. Auf Corona wurde umgehend mit Videos für die musikalische Früherziehung reagiert, nach dem Lockdown am 13. Mai gab es bereits am 16. Mai Online-Unterricht, obwohl der Internetzugang bei „Carl Orff“ schwierig sei, wie Franziska Pfaff einräumen muss. Das Orff-Instrumentenkarussell sei via CD vermittelt worden, zudem wurde ein Hörbuch erstellt, was von Schüler- und Elternschaft durchaus gewürdigt wurde, daher habe es auch wenig Rückzahlungsforderungen gegeben.
Franziska Pfaff hat Zwölf-Stunden-Tage, strahlt aber eine relative Gelassenheit aus. „Wir haben schon alle möglichen Krisen überwunden, wir sind kreativ genug, auch das zu überleben. Wir kämpfen um eine gleichwertige Behandlung und Bezahlung der Lehrer von Vereinsmusikschulen, brauchen eine institutionelle Förderung, damit wir nicht nur als Projekt behandelt werden und uns jedes Jahr neu bewerben müssen.“
Das – schwindende? – Selbstverständnis, jedem Kind ein Instrument zu geben und die Gesamtgesellschaft künstlerisch-musikalisch zu sensibilisieren, kann mithin auf den unterschiedlichsten Wegen realisiert werden. Drei Jahrzehnte nach der deutschen Wiedervereinigung gibt es dazu verschiedenartige Konzepte und Herangehensweisen – nicht nur zwischen Ost und West, sondern auch innerhalb des so genannten Ostens. Diese Vielfalt muss nicht der schlechteste Weg in die ebenso reiche wie fortwährend bereichernde Welt der Musik sein.