Gundermann? War das nicht dieser Baggerfahrer, der nebenher Lieder geschrieben und in einer Band gespielt hat und sogar Bob Dylan getroffen hat? Haben sie den zu Ost-Zeiten nicht aus der Armee und später aus seiner Partei rausgeschmissen? Und hat der nicht nach der „Wende“ bei seinen Konzerten öffentlich gemacht, dass er jahrelang bei der Stasi war? Ja, das war Gundermann. Malocher und Poet, rücksichtslos gegen sich selbst, ungeduldig gegen alles und jeden, nassforsch und direkt, naiv und oberschlau – als er starb, war er gerade einmal 43 Jahre alt. Und jetzt gibt es einen großartigen Film über diesen Mann: GUNDERMANN. Andreas Dresen hat ihn gedreht, nach einem Drehbuch von Laila Stieler. Insgesamt zehn Jahre lang waren die beiden mit diesem Projekt beschäftigt.
Es ist, bei allem Hang zur Authentizität, bei aller Liebe zum historischen Detail, kein weiterer Dokumentarfilm über Gerhard Gundermann, wie sie der Berliner Regisseur Richard Engel bereits 1982 und 1999 gedreht hatte. GUNDERMANN ist ein Spielfilm, ein Liebesfilm und, mehr als das, ist es ein Musikfilm, der seine Wirkung nicht zuletzt aus den Liedern Gerhard Gundermanns bezieht.
Schon immer sog der den Stoff dafür aus allem, was ihn umgab: Arbeit, Freunde, Familie, Kindheit, Bücher, Briefe, Gespräche. Er versah die Welt damit wie mit Merkzetteln. Auf denen stand, wie er sie gerne hätte, die Welt mit ihm darin, und dazu, warum sie nicht so war und wo er seinen Platz darin sah. Und immer, wenn es ihm passend schien, sang er auch Songs von Leuten, denen er sich musikalisch nahe fühlte – mit eigenen Texten: Bruce Springsteen, die Beatles, Neil Young, Tori Amos, Tom Waits, Mick Jagger, Steeleye Span. Der Singeklub „Brigade Feuerstein“ in Hoyerswerda, seine Band „Die Seilschaft“, später die Zusammenarbeit mit „Silly“ und Tamara Danz, Texte für die Berliner Gruppe „Regenmacher“ – Gundermanns musikalische Baustellen waren vielfältig.
„GUNDERMANN“ ist keine bloße Ablichtung und Aneinanderreihung von Episoden eines musikbegeisterten Träumers zu Zeiten der DDR. Wie auch! Das Leben Gundermanns war geprägt durch zu viele und verschiedene Grunderfahrungen, zu denen die wechselvolle Geschichte der elterlichen Beziehung ebenso gehört, wie die Arbeit als Baggerführer im Braunkohletagebau, seine Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit der DDR als inoffizieller Mitarbeiter, ebenso wie das Schreiben und Singen. Die Drehbuchautorin Laila Steiler hatte also auszuwählen aus dem Überangebot an Geschichten und Strängen seiner Biografie. Welche mussten unbedingt erzählt werden, auf welche Aspekte konnte man verzichten? Und würde sie dabei der Gefahr entgehen, eine künstliche Kultfigur zu schaffen und ihr dabei zu nahe zu kommen und jene Dis-tanz zu verlieren, die es für einen Erzähler braucht!? Gundermann, sagt sie, sei eben nicht nur Baggerfahrer, Liedermacher und politischer Mensch gewesen. „Er war auch Geliebter und Abgewiesener und Hilfsarbeiter und Fachkraft und Belächelter und Held“, gibt sie in einem Interview mit Maxi Leinkauf zu bedenken. Über jede einzelne Facette ergäben sich prallvolle Geschichten – über jede davon hätte man einen Film drehen können.
Warum es am Ende dieser Film geworden ist, begreift man auch, wenn man das Buch zur Hand nimmt, das parallel zum Film im Christoph Links Verlag erschien: „GUNDERMANN – von jedem Tag will ich was haben, was ich nicht vergesse“. Interviews, Auszüge aus dem Drehbuch, Fotos von den Dreharbeiten und Dokumente – sein Herausgeber, Andreas Leusink, war darauf bedacht, der Filmfigur „Gundi“ jenen Background zu geben, der den realen Gundermann ausmachte. Ein klug und einfühlsam zusammengestelltes Kompendium, das den Film vorstellt, seine Protagonisten und ihre Darsteller, seine Schöpfer. Ausführlich kommen zum Beispiel die Drehbuchautorin Laila Stieler, der Regisseur Andreas Dresen und der grandiose GUNDERMANN-Darsteller Alexander Scheer zu Wort. Dresen zum Beispiel spricht über das Zurückgewinnen der Deutungshoheit der Biografien all jener, die genau wie Gundermann und er in einem Land großgeworden sind, das es nicht mehr gibt, über das aber oft von denen geredet wird, die es nie erlebt haben.
Die Dokumente und Interviews ermöglichen eine umfassende und zugleich behutsame Annäherung an den realen Gundermann, machen seine Ecken und Kanten deutlich und seine Verletzlichkeit. Etwa der Abdruck des Protokolls einer Parteiversammlung, bei der die Mehrheit der Anwesenden dem Genossen Gundermann bescheinigte „… nicht die politische Reife und die Charaktereigenschaften eines Kommunisten zu besitzen“. Es ist das Verdienst Leusinks, durch das Dokumentieren dieser offiziellen, kruden, oft abstoßenden Sprache den Kontrast zu Gundermanns lyrischer und bildgewaltiger Sprache in seinen Liedern sichtbar zu machen, die uns in diesem Film begegnen.
Auch Conny, die Frau Gundermanns kommt zu Wort – erhellender und einfühlsamer Bescheid aus nächs-ter Nähe! Am berührendsten jedoch sind die Briefe, die der Elfjährige in bemühter Schönschrift an den Vater schrieb, in der Hoffnung, er komme irgendwann zurück zur Familie. Man liest in jedem Buchstaben die Bürde, die der junge Gundermann trug, in der Meinung, die Schuld für das Scheitern elterlichen Glücks tilgen zu müssen.
Für den Film wurden etliche von Gundermanns Liedern bearbeitet und neu aufgenommen. Schon die Auswahl der Songs für den Film und den Soundtrack dürfte angesichts der Unmenge des vorhanden Materials schwierig gewesen sein. Am eindrucksvollsten sind mir die von Alexander Scheer „unplugged“ eingesungenen Stücke ohne Band, etwa der Tori-Amos-Song „Vater“ oder das „Traurige Lied vom sonst immer lachenden Flugzeug“. Sie sind unvorstellbar dicht an beiden Gundermanns, sowohl dem Original, als auch dem Protagonisten des Films. Wie Scheer sich nicht nur der Rolle des Gundermann, sondern auch dessen Liedern gestellt hat, wie er sie sich sprichwörtlich zu eigen machte, das verleiht dem Film eine ganz besondere Note. Nicht nur die Diktion der Texte, sondern auch das Spröde in Gundermanns Stimme, die bei manchen Textzeilen zugleich bodenlos weich und innig sein konnte, produziert Scheer frappierend ähnlich. Nicht ganz glücklich dagegen macht das Ergebnis der Produktion mit der Knyphausen-Band, die Alexander Scheer begleitet. Das Konzept, die Songs aus dem Sound der 90er-Jahre heraus und in das Jahr 2018 holen zu wollen, tut ihnen nicht gut. Die neuerlichen Bearbeitungen der ursprünglichen Arrangements sollten die Songs zeitgemäßer erscheinen lassen – sie rufen eher einen gefälligen Eindruck hervor. In dem so genau und detailversessen ausgestatteten und inszenierten Film sind die Bilder zu den optischen Erinnerungen an die DDR und die Jahre danach absolut stimmig. Die Diskrepanz zwischen den akustischen Lesezeichen von einst und dem Klang von heute hingegen drängt zu sehr in den Vordergrund.
In den 70er-Jahren erlangte ein Song der polnischen Band Anawa in der DDR Kultstatus: „Dni, których nie znamy“ – „Wichtig sind Tage, die unbekannt sind“. Gerhard Gundermann schrieb später eine eigene Fassung dieses Liedes: „Männer und Frauen“, dessen Refrain den Buchtitel ziert. Wer das Buch durchgeblättert hat, ist Gundermann noch ein Stück näher gerückt, seinem Anspruch an das Leben, das vor genau 20 Jahren so abrupt und plötzlich endete:
„Von jedem Tag will ich was haben Was ich nicht vergesse
Ein Lachen, ein Sieg, eine Träne
Ein Schlag in die Fresse“