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nmz vor 50 Jahren. „Tage der Neuen Musik“ in Hannover
nmz vor 50 Jahren. „Tage der Neuen Musik“ in Hannover
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„Tage der Neuen Musik“ in Hannover (1971/03)

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Rückblende: Vor 50 Jahren
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[…] Das, was der Titel dieser Revue versprach, nämlich ein Sichten, Ordnen und schlagkräftig agitatorisches Interpretieren von Wirklichkeit-Fragmenten, eine Interpretation mit bestimmter politischer Stoßrichtung zudem, wurde anschließend durch ein anderes Werk eingelöst: „So kann es nicht weitergehen, aber so geht es weiter“, eine „große Oper in fünf Akten“, des 27jährigen Hamburger Komponisten Niels Frédéric Hoffmann.

Ein glänzender Wurf. Eine pfiffige, treffende, genußvolle Geisterbahnfahrt durch alle möglichen Bereiche der kapitalistisch und technokratisch dirigierten Welt. Den seminaristischen Marx-Zeigefinger kann Hoffmann sich sparen: die Zustände, nur richtig namhaft gemacht und rücksichtslos musikalisch-theatralisch zugespitzt, deuten sich selbst. Das Accellerando der Akkordarbeiter, musikalisch primitiv-sinnfällig, macht Hetze und Ausbeutung unmittelbar körperlich fühlbar. Die Parodie auf elitär-prätentiöse Spielarten von Avantgarde-Musik und ihrer ökonomischen Einwurstung tut kostbare Klimperklänge auf, skandiert von den zu poetischen Melodieblumen gestelzten Preisen der Partituren des einschlägig vorgelobten Robert Wittinger. Hoffmann macht sich auch Sprechblasen-Dramaturgie kabarettistisch zunutze: eine Comic-Geschichte, die von den allumfassenden Schutzmöglichkeiten für privates Eigentum handelt, wird chorisch durch entsprechende Einwürfe („Kleff-kleff“ macht der Generaldirektoren-Hund, „denk-denk“ regt sich‘s in der Hauptperson) angefärbt. Zu Textvorlagen dient Hoffmann alles, was signifikant ist für die Situation, von Fragmenten aus Günter Wallraffs „Industriereportagen“ über Reklametexte und Zeitungsnachrichten (tödlich endender Streit eines Mercedes- und eines Opelfahrers über die Frage, welches das bessere Auto sei) bis zum apokalyptisch-mehrdeutigen Finale eines Landserromans.

Hoffmanns „Oper“, Auftragswerk von Radio Bremen und im Oktober 1970 in Bremen uraufgeführt, zeigt, wie man mit differenzierten Mitteln (von aufpeitschendem Beat über Schnulzen bis zu Elektronik und „avantgardistisch“ behandeltem Klangmaterial ist alles Verfügbare glaubwürdig und brillant eingesetzt) eine Musik der politischen Bewußtseinsbildung machen kann. Das einstündige Werke wurde mit zahlreichen, großenteils der Hamburger Musikhochschule angehörenden Mitwirkenden deftig realisiert.

Zweifellos war dieses Stück das wichtigste der Hannoveraner Tage; viele weitere Aufführungen in Deutschland wären zu wünschen. […]

Hans-Klaus Jungheinrich, Neue Musikzeitung, XX. Jg., 1971, Nr. 1 (Feb./März)

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