Barbara Hannigan geht den nächsten Schritt. Nach umjubelten Auftritten als singende Dirigentin hat sie mit Strawinskys „The Rake’s Progress“ nun auch ihre erste komplette Oper geleitet.
In der Dokumentation Taking the Risk, die den Göteborger Live-Mitschnitt ergänzt, erzählt sie, wie es dazu kam, dass sie diese nicht „auf Sicherheit“ mit erfahrenen Sängern besetzt habe: Die Kollegen, die sie im Auge hatte, waren einfach nicht verfügbar. So machte sie aus dem mehrstufigen Casting kein Ausleseverfahren nach dem Ellbogen-Prinzip, sondern ein Mentorenprogramm, in dessen Rahmen nicht nur sie selbst, sondern auch weitere Künstler wie Natalie Dessay oder Daniel Harding ihre Erfahrungen an die junge Sängergeneration weitergaben. Das kollegiale, intensive Miteinander des ausgezeichneten Ensembles (Aphrodite Patoulidou als Anne Truelove und John Taylor Ward als Nick Shadow stechen heraus) teilt sich in der mit sparsamen szenischen Elementen bereicherten konzertanten Aufführung dann auch schön mit. Hannigan hat, stumm mitsingend, die Aufführung gut unter Kontrolle, eine gewisse Anspannung ist ihr und den Göteborger Symphonikern aber durchaus auch anzumerken. (Accentus Music)
Als betörende Sopranistin ist Barbara Hannigan dann einmal mehr in einer Oper George Benjamins zu erleben. Mit Lessons in Love and Violence, deren Londoner Uraufführungsproduktion nun auf DVD und Blu-ray vorliegt, hat dieser zusammen mit Textdichter Martin Crimp eine kühl-modernistische Auseinandersetzung mit dem historischen König-Edward-Stoff vorgelegt. Die überragend instrumentierte, düster geschmeidige Musik Benjamins lässt einen trotz hervorragender sängerischer und orchestraler Qualität (der Komponist dirigiert selbst) ein wenig kalt, Katie Mitchells allzu glatt-routinierter Regie-Zugriff im Schlafgemach hat daran seinen Anteil. (Opus Arte)
Intellektuell distanziert ist auch das, was Tobias Kratzer in Amsterdam mit Hoffmanns Erzählungen von Jacques Offenbach angestellt hat. Das in seiner Verzahnung brillant genutzte, im Stile eines Split-Screens in verschiedene Spielzonen aufgeteilte Bühnenbild (Rainer Sellmaier) ist die Hauptattraktion einer sängerisch guten, unter Carlo Rizzi orchestral eher mittelprächtigen Produktion. Inszenatorisch überzeugend ist vor allem die Aufwertung der Rolle der Muse (Irene Roberts), die sich als Assistentin des Fotokünstlers Hoffmann (John Osborn) nach und nach emanzipiert. (C Major)
Zum Verständnis von Frank Castorfs assoziativ mehr und mehr ausufernder Bebilderung von Leos Janáceks Aus einem Totenhaus an der Bayerischen Staatsoper wären zusätzlich zum schütteren Booklet zumindest Grundzüge der Informationen aus dem Programmheft nötig. Dass der Dostojewski-Kenner zu dieser Oper etwas zu sagen hat, ist trotz manch abgenutzter Bühnenbild- und Videoelemente immer wieder spürbar, hervorragende Sänger machen das Stück zu einer echten Ensembleoper. Simone Young koordiniert das bestens, ohne freilich die letzte Schärfe aus Janáceks Partitur herauzuarbeiten. (Bel Air)
Viel zu sehen, geschweige denn nachzudenken gibt es bei Keith Warners Londoner Walküre nicht. Ist auch egal, denn von den ersten, unter Antonio Pappanos Leitung unerbittlich vorwärtspeitschenden Takten an wird man in einen ersten Akt hineingezogen, der unmittelbar packt. Was Stuart Skelton als Siegmund an tenoraler Wucht bei gleichzeitiger Sorgfalt im Textumgang abliefert, ist atemberaubend, Emily Magees Sieglinde und Ain Angers Hunding lassen sich davon anstecken. Ganz so herausragend geht es dann nicht weiter, aber mit Nina Stemmes Brünnhilde ist ein weiteres hochkarätiges Rollenporträt zu erleben. (Opus Arte)
Neben der Repertoire-Hauptstraße werben drei weitere Mitschnitte für selten Gespieltes: Christof Loys gediegenes Psychogramm ist ein ehrenwertes, aber insgesamt nicht wirklich zwingendes Plädoyer für Webers Problemkind Euryanthe (Naxos); ein Fiorentiner Wandelkonzert erweckt die für die Frühgeschichte der Oper bedeutsamen Intermedi della Pellegrina verschiedener Komponisten von 1589 zum Leben (Dynamic); Ottorino Respighis vielschichtige Märchenoper La bella dormente nel bosco entwickelt in einer beachtlichen Produktion aus Cagliari einigen Zauber (Naxos).
Nein, Charles Ives hat keine Oper komponiert, aber Christoph Marthaler hat für die Ruhrtriennale 2018 unter dem Titel The Universe, incomplete einen wunderbaren Musiktheaterabend gestaltet. Die wenigen von Ives vollendeten Teile der „Universe Symphony“ hat er mit Instrumental- und Vokalstücken zu einem absurd-melancholischen Gesamtkunstwerk verwoben, das die Bochumer Jahrhunderthalle in einen magischen Neu-England-Resonanzraum verwandelt. Eine solide Ives-Doku komplettiert auf einer weiteren DVD diese herausragende Veröffentlichung. (Accentus Music)