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Nicht konzertant, sondern halbszenisch: Moritz Eggerts „Freax“ in der Oper Bonn. Foto: Thilo Beu/Oper Bonn
Nicht konzertant, sondern halbszenisch: Moritz Eggerts „Freax“ in der Oper Bonn. Foto: Thilo Beu/Oper Bonn
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Vom Unbehagen an der Oper und ihrer Kultur

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Bonner Theater: Ein Regisseur, der keiner sein will, eine konzertante Oper und eine dramaturgische Mogelpackung
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Statt der neuen Oper „Freax“ von Moritz Eggert, die Christoph Schlingensief am Theater Bonn nicht inszenierte, gab es eine „konzertante Uraufführung“ in zwei Akten sowie einen „installativ-filmischen Diskurs“ in der Konzertpause: „Fremdverstümmelung 2007“, auch als DVD zum Mitnehmen.

Im Urteil der Tageskritik kam der Nicht-Regisseur dennoch glimpflich davon. Ins Fadenkreuz gerieten mit Theater Bonn und Beethovenfest die Auftraggeber, die die erste Uraufführung des Hauses nach zehn Jahren unbedingt mit zwei Antipoden realisieren wollten. In der Kritik ferner die konventionell empfundene Vertonung eines unkonventionellen Stoffs. Vergleichsweise unbeachtet blieb ein uneingelöstes Versprechen. Halb-szenisch, nicht konzertant ging die Uraufführung über die Bühne – zum Nachteil der musikalischen Darstellung.

Wie tief die Verletzungen bei dieser gescheiterten Opernproduktion wirklich waren, wissen allein die Beteilig-ten. Die zur Schau gestellten Nettigkeiten, die Versicherungen wechselseitiger Sympathie waren erkennbar die Fassade, die aufrecht zu erhalten man sich und anderen schuldig zu sein glaubte. Dabei hatte der Graben, der in Bonn zwischen den Beteiligten aufgegangen war, die Nervenbahnen längst erreicht, bevor die Akteure bereit waren, dies sich und anderen auch zuzugestehen. So noch der Eindruck, den ein finales Pressegespräch hinterließ, das eigentlich alle Fragen hätte klären sollen, es aber nicht tat. Eine vorangegangene gediegene Probenarbeit und das Schlaglicht, das dadurch auf eine sich zu ihrer exklusiven Nicht-Modernität bekennenden Musik gefallen war, war zu diesem Zeitpunkt längst aus dem Blickfeld verschwunden. Was blieb, war eine dramaturgische Mogelpackung, reichlich Missverständnisse und Mutmaßungen sowie das Gefühl, dass das zeitgenössische Musiktheater im Umbruch begriffen ist. – Eine (nicht unbedingt vollständige) Nachlese vom beschädigten (Bonner) Musikleben.

Unfreakige „Freax“-Musik

Bonn, im August. – Die Nachricht von der Scheidung zwischen Komponist und Regisseur war erst wenige Tage alt, als es auf der der Oper gegenüber-liegenden Rheinseite zur ersten, zugleich öffentlichen Sitzprobe kam. Kann man, konnte man unter diesen Umständen überhaupt ernsthaft arbeiten? Man konnte und man tat es mit Lust, was einer gelinden Überraschung gleichkam.

Der Streit, ob kleinwüchsige Show-Freaks von wirklichen Sängern darzustellen sind oder vielmehr, wie Schlingensief meinte, von wirklichen Behinderten; die Missverständnisse darum, inwiefern Tod Brownings Experimental­film „Freax“ (1932) diese Oper entscheidend berührt oder nur inspiriert hat; die Frage nach den vermeintlichen oder tatsächlichen Auswirkungen der Augenkrankheit des Regisseurs sowie die nach den Spekulationen um dessen Unwillen oder Unfähigkeit, eine lineare Geschichte linear zu erzählen und dazu aus den Noten einer (nicht nur Schlingensief) neuen Musik Klangvorstellungen zu entwickeln – all dies hinderte hier niemanden daran, dieser Partitur auf ihren interpretatorischen Grund zu gehen.

Beethoven Orchester Bonn, Opernchor, zehnköpfige Sängerbesetzung, dazu ein Klavier als Proben-Substitut fürs spätere Bühnenorchester präsentierten sich in klassischer Oratorium-Aufstellung. In der Mitte, auf erhöhtem Podest, Dirigent Wolfgang Lischke, der diese opulenten Klangmassenbestandteile zusammenzu­führen hatte. Wie sich zeigen sollte, hielt Lischke hier – anders als beim dramaturgisch verstümmelten Premierenabend – die Fäden fest in der Hand, überblickte, balancierte, organisierte.

Man rieb sich die Augen. Drüben, am anderen Ufer das öffentlich verhandelte Theater-Schisma – hier ernsthaftes Arbeiten, gelöst-konzentrierte Proben­atmosphäre. Zugleich gespannte Neugierde. Wie klingt es, wenn alles zusammenklingt? Ersichtlich finden die Interpreten Gefallen an der Mischung aus großem Gestus, singbaren Linien und Situationskomik. Im Chor ausgelassene Stimmung zumal bei den parodistischen Nummern, die Eggert mit großem Theaterinstinkt in seine Partitur aufgenommen hat.

Zugleich gestattete die Abwesenheit von Bühne, Kostüm und Szene einen instruktiven Blick auf Herkunft und Legitimation eines musikdrama­tischen Entwurfs, der von Erbschaften zehrt, der Klänge hervorbringt, die als Bilder bekannter Ausstellungen am geistigen Ohr nur so vorbeiziehen. Seltsam berührend, diese Begegnung mit dem, was Musik einmal war. Fast glaubte man sich in einen auskomponierten Erinnerungsraum der Tonkunst versetzt mit klassisch-romantischer Überwölbung (Adaptionen des Schlusschors der Neunten und der Rheingold-Musik), immer wieder gebrochen durch Musicaltonfall, Jazz und Tanzmusik. Eine Technik des Herunterbrechens, die dem Komponisten in Fleisch und Blut übergegangen zu sein scheint.

Show-Freaks ganz ernst

So gesehen war es naheliegend, dass Eggert seine neue Oper, ein Auftragswerk von Theater Bonn und Beethovenfest, ins Showbusiness verlegt hat. Seine Protagonisten sind kleinwüchsige, aus der Norm fallende Darsteller in einer nicht näher definierten Sparte der Unterhaltungsindustrie: Show-Freaks, die fürs Amüsement sorgen und damit zur Freude des Direktors (Hans-Jürgen Schöpflin) die Kasse klingeln lassen. Das Unglück beginnt, als die Freaks anfangen, ihre Sehnsucht leben zu wollen: Lea (Anjara Bartz) liebt Franz (Thomas Harper), Franz liebt Isabella (Julia Rutigliano), Isabella liebt Hilbert (Louis Gentile) und dieser seine Allmachtsphantasien. Am Ende wird Isabella auf offener Bühne zersägt, Franz wird wahnsinnig und Hilbert knipst das Licht aus.

Dass der Komponist den mäandernden Versen seiner Librettistin allzu bereitwillig gefolgt ist, hat vor allem den ersten Akt etwas zähflüssig geraten lassen. Die Textvorlage der jungen Autorin Hannah Dübgen trägt schwer am dialogischen Ballast. Sedimente der Librettokunst vergangener Tage lugen hervor. („Was für ein Mann schaut mich da an? – Was für ein Körper, welch ein Beben.“)

Andererseits erbrachte das Zusammenspiel von Wort und Ton auch gelingende Momente. Begnadete Interpreten wie Otto Katzameier profitierten davon. Herzzerreißend, im steten Wechsel von Altus- und Bariton-Stimmlage, besang Katzameier das gespaltene Ich des Hermaphroditen Dominique. Ein Augenblick, in dem das Thema der Oper (nicht nur dieser) plötzlich mit Händen greifbar war. Ein Höhepunkt.

„ Freax“ vor dem Theater

Es sind die Augen! Christoph Schlingensief zieht ein Zettelchen hervor, worauf er die medizinische Diagnose seiner Augenerkrankung notiert hat. Zunächst glaubt man im Saal an eine Petitesse bis der Ober-Inszenator, der in Bonn partout nicht inszenieren wollte, den Zünder auslöst. Nein, so Schlingensief schelmig, es seien „Adeno-, keine Adorno-Viren“, die ihm in den letzten Wochen zugesetzt hätten. Peng! geht der kalkulierte Lacher durch den Saal: Wenn die Medienwelt eine Klaviatur ist – dann, so Schlingensief zu Schlingensief und zum Rest der Welt, bin ich es, der darauf spielt.

Das kann nicht jeder. Theaterintendant Klaus Weise beispielsweise blieb das Wort just in dem Moment im Hals stecken als er es derselben Medienwelt servieren wollte. ‚Zu meiner Linken Nicht-Regisseur Schlingensief‘, hätte er korrekterweise sagen müssen. Kaum aber war der freudsche Versprecher weggeräuspert, fand sich das Mikro beim Komponisten wieder, der aber auch nichts mitteilen wollte, womit Jens Neundorff, der Dramaturg des Hauses an der Reihe war, den Ball weiter flach zu halten und ihn geschickt vor die Füße von Ilona Schmiel zu spielen. Diese brauchte nur noch einzuschieben. An dieser Produktion, so die Beethovenfest-Chefin, könne man doch sehen, dass „wir Risiken eingehen“. „Absolut konsequent“ sei es, die Saison „so“ zu eröffnen. Und noch dies sagte Frau Schmiel: Die „Gattung Oper“ sei damit „zur Diskussion“ gestellt. Letzteres wurde allgemein als Ausweichen empfunden, insofern ja doch zunächst einmal die gescheiterte Arbeit der Bonner Oper „zur Diskussion“ gestellt war. Doch bitte nicht jetzt! schien man sagen zu wollen. Stattdessen glaubte Klaus Weise, sich wolkig über die „Arbeit zweier autonomer Künstler“ aussprechen zu sollen. Neues Musiktheater brauche das Experiment (was niemand bestreiten wollte) – nur dass jetzt, „leider“, die Uraufführung „im Kopf“ stattfinden müsse.

In dieser Weise plätscherte es noch eine Weile dahin bis ausgerechnet Schlingensief bei solcher Vorführung von des Kaisers neuen Kleidern nicht mehr mitspielen mochte. „Warum habt ihr mich denn nicht rausgeschmissen?!“ ging er aus heiterem Himmel den neben ihm sitzenden Weise an. Ein Torpedo-Schuss. Zerstoben der schöne Schein von der Eintracht der Zerstrittenen, vom „Experiment“ Musiktheater, das keines war, aber trotzdem „zur Diskussion“ gestellt werden sollte, so dass man nun noch ein wenig ungläubiger las, was Moritz Eggert ins Programmheft geschrieben hatte: „Scheitern als Chance“.

„Freax“ konzertant?

Dass konzertante Opern-Aufführun-gen die Interpreten auf dem Podium zu versammeln pflegen, um sich unter Verzicht auf Bilder, Bühne und Kostüme ganz der Musik zu widmen, ist, folgte man der Bonner Dramaturgie, überholte Konvention. Zwar gab es für „Freax – Oper in zwei Akten“ von Moritz Eggert nach der Abdankung Schlingensiefs keinen Regisseur mehr, doch bedeutete dies nicht, dass eine unsichtbare Regiehand nicht doch am Torso ihre Spuren hinterlassen hätte. Im Resultat verwerkelte dies freilich nur das Halbfertige ins Gebastelte, Geflickte. Warum hatte man nicht den Mut, die in diesem Fall tatsächlich konzertante Probenfassung zu bringen?

Stattdessen teilten Thekla von Mülheim und Tobias Buser nach Art der Simultanbühnen der 20er-Jahre den Bühnenraum in drei Ebenen. Zu sehen war eine von niemandem bewohnte Wohnlandschaft, die in der Mitte auf einer drehbaren Scheibe den in quietschbunten Kostümen steckenden Chor herein- und herausfahren half. Oben, irgendwie als Schlingensief-Reminiszenz gemeint, flackernde Videofilmchen.

Im Zuschauerraum sperrten zwei Hochstände die ersten Parkett-Reihen. Dort oben, wie die Förster mit dem Blick auf den Weid- und Balzplatz, durften ein Sprecher und eine Sprecherin Platz nehmen. Letztere war mit der Chorinspizientin Sibylle Wagner besetzt, die ihre herausragende Stellung im späteren Verlauf zum peinlichen Mitdirigieren nutzen sollte, über den Kopf des im Orchestergraben agierenden Wolfgang Lischke hinweg.

In dessen Rücken hatte sich die grotesk geschminkte, freakig kostümierte Sängerriege zu postieren. Jeder hatte seinen Stuhl, seinen Notenständer wie im richtigen konzertanten Leben. Eine schizophrene Situation, die immer wieder unfreiwillige Komik zu Tage förderte wenn etwa vor der nächsten Arie zur Wasserflasche gegriffen wurde oder wenn Johannes Flögl als Romeo im Leoparden-Kostüm seinen Schwanz zurechtlegte.

So waren die Darsteller in Ermangelung wirklicher Regie einerseits sich selbst überlassen, andererseits schienen sie angewiesen zu sein, nach Kräften zu mimen. Dies taten sie denn auch, um in bester schauspielerischer Absicht die verfahrene Situation zu retten, was alles nur noch verschlimmbesserte. Und da sie unglücklicherweise im Rücken des Dirigenten zu singen hatten, war trotz Monitoring die Klangbalance zwischen Beethoven Orchester, Sängern und Choristen perdu. Da halfen auch nicht die gut gemeinten Eingriffe vom Hochstand.

Freaks hinterm Vorhang

Wie Isabella in der falsch präparierten Kiste, fand sich schlussendlich auch Moritz Eggerts „Freax“-Oper im Rollstuhl wieder.

Daran hatte Christoph Schlingensief gewiss seinen Anteil, auch wenn er sich mit einer verstörenden Video-installation in der Konzertpause von dieser Mitverantwortung für eine zustandegekommene Nicht-Produktion abzusetzen versuchte. Anders als Dokument der Abwehr, vielleicht auch der Kränkung war „Fremdverstümmel­ung 2007“, Schlingensiefs „installativer und filmischer Diskurs“ im 16mm-Kultformat denn auch nicht rezipierbar: „Die Präsentation im Foyer ist eine ,Uraufführungs-Installation‘, und auch dort bleiben die Begafften hinter Stoff.“

Letztes Abendmahl

Soweit der Gazevorhang dies überhaupt gestattete, hatte sich Schlingensiefs „Familie“ von Leonardos Letztem Abendmahl eine vage Sitzordnung vorgeben lassen. Texte wurden vorgetragen während der Diskurs-Regisseur „auf dem Stoff die Bilder laufen“ ließ (adornitische Lesetapeten, überblendet von Kreuzigungs­szenen mit Kleinwüchsigen), um im Programmheft, wie im Kommentar zum Bibelwort, die Auslegung nachzureichen. „Der Krüppel ist der Stellvertreter Christi. Und der Opernbesucher nimmt es einfach mit. Ein STUMMES! Stück vom Kreuz.“

Das Unbehagen an der Oper (aber nicht nur an ihr) ist groß.

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