Anfang März saß Torsten Mosgraber, Direktor des Vokalmusikzentrums NRW alleine im neuen Aufführungssaal, der im Dortmunder Reinoldihaus entstanden ist. Ein Glück war es, dass zumindest das große Eröffnungskonzert im Februar noch über die Bühne gehen konnte, bevor der große Shutdown die öffentliche Kultur zum Verstummen gebracht hat. Mit dem neu eingerichteten Zentrum haben die vielfältigen Aktivitäten des VMZ eine Homebase für die Zukunft gefunden. Im angeregten Gespräch ließ der aus Berlin stammende Musikwissenschaftler, Intendant und ehemalige Geschäftsführer bei der Deutschen-Musikrat-Projektgesellschaft die Fakten sprechen.
Wo einst im Reinoldihaus die Handwerkskammer residierte, steht nun eine Spielstätte für einen regelmäßigen Konzertbetrieb und für Workshops und Proben aller Art bereit. Stilvoll wirkt der Retrolook der formschönen Kronleuchter aus den 1980er Jahren. Mehr noch haben die akustischen Qualitäten für Torsten Mosgraber Gewicht: „Dieser alte, frisch aufpolierte Holzfußboden sorgt für einen exzellenten Klang. Ich freue mich hier auf künftige Darbietungen der Alten Musik, mit denen wir inhaltlich viel Neuland betreten.“
Schon lange war beim Vokalmusikzentrum NRW an der Idee eines festen Standortes gearbeitet worden. Erste Pläne gab es bereits im Jahr 2013. Arbeitsgruppen bildeten sich. Ein Haus wurde angemietet, zunächst nur für die Chorakademie. Es zahle sich nach Mosgrabers Bekunden immer aus, wenn an entscheidenden Stellen in der Politik kulturaffine Menschen sitzen. Aus wenig viel zu machen und damit überregional für Ausstrahlung zu sorgen, ist Sache von Torsten Mosgraber und seinem Team. Gesang ist ein elementares, gesellschaftlich tief verwurzeltes Bedürfnis. Die Laienchorbewegung in Deutschland ist eine mächtige Grundlage. Allein in Dortmund gibt es fast 300 (!) Chöre. Dem Vokalmusikzentrum geht es darum, dieser Breitenkultur ein Profil zu geben und mit der Hochkultur auf vielen Ebenen kurz zu schließen. Viele Fäden laufen in Dortmund zusammen: Zu den tragenden Säulen gehört eine Zusammenarbeit mit der Landesmusikakademie in Heek.
Darüber hinaus verbindet Gesang Kulturen und Nationalitäten. Von Dortmund gehen starke Signale für Toleranz und Völkerverständigung aus. Die Stimmen der Welt berühren sich beim neu gegründeten Hausensemble „Orpheus 21“, welches beim Eröffnungskonzert enthusiastisch gefeiert wurde. Hier sind Sängerinnen und Sänger unter anderem aus Syrien und dem Iran beteiligt. Mosgraber zeigte sich vor allem von diesen menschlichen Begegnungen überwältigt.
Die pädagogischen Aktivitäten des Vokalmusikzentrums beginnen schon im Kindesalter. Hierfür ist die Essener Folkwang Universität ein wichtiger Partner, etwa in Sachen Lehrerfortbildung: „Mit speziellen Kursen wollen wir dafür sorgen, dass Lehrerinnen und Lehrer sich überhaupt wieder trauen, selbst zu singen“. Ein weiteres zukunftsweisendes Projekt ist die Zusammenarbeit mit dem Kita-Netzwerk in NRW. Singen kann heilen und stärkt das Selbstbewusstsein. Menschen mit Demenz durch Gesang zu mehr Lebensqualität zu verhelfen, ist ein weiteres Projekt des VMZ. Hier sollen künftig Kooperationen mit Krankenkassen ausgebaut werden.
Eine lebendige Musikkultur erwächst laut Torsten Mosgraber vor allem aus dem klugen Miteinander aus gebildeten Laien und Profis, ebenso aus der Überwindung von Genregrenzen. Was alles geht, wenn man höchste künstlerische Qualität nach Dortmund holt und dabei mutig über die Tellerränder von Genres und Szenen blickt, demonstriert seit 2008 das Klangvokal-Festival. Die aktuelle Ausgabe musste durch die Corona-Krise auf die zweite Jahreshälfte und auf Anfang 2021 verschoben werden (siehe Info dazu unten). Dortmund ist hier der ideale Standort, um Klassische, Neue und Alte Musik, Oper, Sologesang, aber auch Jazz, Weltmusik und Popkultur zu vereinen, was auch Mosgraber so sieht: „Diese Stadt liegt geografisch in der Mitte von NRW. „Fußläufig vom VMZ liegen das Konzerthaus Dortmund, ebenso der Jazzclub domicil. Das sorgt vor allem bei Klangvokal für eine gute Rotation beim Publikum. Waldo Riedl, der Macher des Jazzclubs domicil, ist jedes Mal erstaunt, wie viel neues Publikum zur Klangvokal in den Jazzclub kommt“, freut sich Mosgraber über Synergieeffekte. Was ihm selbst bei der Programmplanung am Herzen liegt? „Ich möchte zu neuen Abenteuern verführen.“
Die Kulturlandschaft in NRW ist auch in pädagogischer Hinsicht stark ausdifferenziert. Weitere Partner des Vokalmusikzentrums NRW sind die Chorakademie Dortmund, die Chorverbände NRW, die Musikhochschulen von Dortmund, Düsseldorf und Detmold, der Verband deutscher Konzertchöre sowie der Landesmusikrat NRW. Als Direktor des VMZ liegt es Torsten Mosgraber im Blut, zwischen unterschiedlichen Akteuren auch mal harmonisierend zu wirken: „Wir müssen schon schauen, dass wir alles hinbekommen, gerade in den Zeiten, die jetzt gerade anbrechen. Natürlich haben alle Sorgen, vom Kuchen noch etwas abzubekommen.“ Die Herausforderung liegt auf der Hand: „Wie können wir uns ausbalancieren, dass wir niemandem etwas wegnehmen und alle das Gefühl bekommen, dass wir etwas zusammenführen?“
Das 12. Klangvokal Musikfestival Dortmund war ursprünglich vom 17. Mai bis 14. Juni 2020 geplant. Sämtliche Veranstaltungen werden im Zeitraum von September 2020 bis Juni 2021 nachgeholt. Die Termine werden zeitnah veröffentlicht.
Text und Foto Torsten Mosgraber: Stefan Pieper