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Jeder macht sein eigenes Ding

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Die Aus- und Fortbildung von Chorleiterinnen und -leitern im Laienbereich ist unübersichtlich
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Plant vielleicht gerade jemand eine wissenschaftliche Studie zur kulturellen Kleinstaaterei in Deutschland? Dann sei ihm als Forschungsgegenstand wärms­tens die Ausbildung von Chorleiterinnen und Chorleitern im nicht-kirchlichen Laienmusikbereich empfohlen. Für diese sind in der Regel die regionalen Chorverbände zuständig, welche die entsprechenden Kurse meist in Kooperation mit den Landesmusikakademien anbieten. Und da werden so viele eigene Süppchen gekocht, dass man schnell den Überblick verliert.

Bei vielen Verbänden findet man die Ausbildung unter dem Namen „C-Prüfung“, wovon wiederum manche, andere nicht, je nach Niveau und Ausbildungsdauer unterteilen in C1- bis C3-Kurse. Bei ebenso vielen sucht man den Buchstaben C dagegen vergeblich, zum Beispiel beim Hessischen Sängerbund. Der hat zwei eigene Chorleiterschulen in Frankfurt und Marburg, die zwar A- und B-, jedoch keine C-Kurse anbieten. Stattdessen aber Seminare „für Vize-Chorleiter und Anfänger“.

Seit 1994 unterhält auch der Thüringer Sängerbund eine Chorleiterschule an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar. Hier heißen die Lehrgänge „Grund“- und „Aufbaukurs“. Ein neuer Grundkurs startete Anfang März dieses Jahres auch beim Chorverband Rheinland-Pfalz, dort allerdings unter dem Titel „Stufe 3“. Am Ende dieses Kurses steht der Abschluss „zum/zur geprüften Chorleiter/geprüften Chorleiterin“ – was andernorts der C-Prüfung entspricht. Beim Bayerischen Sängerbund kann man sich – ebenfalls ohne Buchstaben – zum „Chorleiter im Laienmusizieren“ ausbilden lassen. Dafür gibt es immerhin eine ministeriell beglaubigte Urkunde vom Land. Lediglich ein erfolgreicher Abschluss reicht hierfür allerdings nicht aus, wie eine Lehrgangsteilnehmerin aus Marburg vor kurzem schmerzlich erfahren musste: Das Kultusministerium verweigerte ihr die Urkunde, weil sie ihren Wohnsitz nicht in Bayern hat. Von wem ein erfolgreicher Absolvent seine Urkunde erhält – Chorverband, Landesmusikakademie, Kultusministerium – ist ebenfalls von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Und häufig werden diese Zertifikate dann von anderen Chorverbänden nicht anerkannt.

Im Buchstabendschungel

Das alles ist kompliziert genug, doch dazu gibt es deutschlandweit auch noch diverse Angebote unterhalb der C-Prüfung. Teilweise sind diese mit dem Buchstaben D versehen, aber auch hier gilt: Jeder macht sein eigenes Ding. So lädt etwa der Badische Chorverband zur „Mobilen Chorleiterschule“ ein. Nach bestandener Prüfung erhält der Absolvent eine Urkunde vom Verband, aus der die Qualifikation zur Chorleitung hervorgeht – die es woanders quasi gleichlautend nach erfolgreich absolvierter C-Prüfung gibt. Die Badener bieten übrigens darüber hinaus für Lehrerinnen und Lehrer sowie Studierende der Pädagogik noch eine „Gemeinsame Chorleiter-Ausbildung“ an, abgekürzt GCA. Abschließen kann man diese Fortbildung mit einer Prüfung und dem Zertifikat „Chorleiter im Nebenberuf“. Die GCA findet man auch auf der Internetseite des benachbarten Schwäbischen Chorverbandes – hier aber steht die Abkürzung für „Grundseminar Chorleiter-Ausbildung“. C, C1, Stufe 3, Grundkurs, Grundseminar, GCA, Mobile Chorleiterschule – steigt noch jemand durch?

„Ein deutschlandweit einheitliches Ausbildungssystem für Laienchorleiter würde uns sehr helfen“, sagt Moritz Puschke, Geschäftsführer des Deutschen Chorverbandes (DCV). „Je klarer die Kriterien, Bezeichnungen und Abschlüsse für die Ausbildung sind, desto leichter lässt sich Nachwuchs gewinnen.“ Und der wird dringend benötigt: Gerade auf dem Land, aber auch in größeren Städten fehlen überall in Deutschland Chorleiter, viele Chöre sind monatelang auf der Suche nach geeigneten Kandidaten.

Kord Michaelis, Präsident der Direktorenkonferenz Evangelische Kirchenmusik, wünscht sich institutionsübergreifend einheitliche Niveaubezeichnungen bei der Ausbildung im Laienmusikbereich: „Chorverbände und Kirchen wollen doch dasselbe, nämlich möglichst viele Menschen für musikalische Leitungsfunktionen gewinnen. Wir wären also blöd, wenn wir da nicht zusammenarbeiten würden.“ In einigen Bundesländern ist eine enge Zusammenarbeit von Chorverbänden und Kirchen bereits Realität. So sitzen zum Beispiel im Vokalausschuss des niedersächsischen Landesmusikrats, der die Ausbildungspläne an der Landesmusikakademie festlegt, neben Vertretern aus Musikverbänden und -akademien auch solche der kirchlichen Chorverbände. Auf diese Weise können alle Institutionen bei der Gestaltung der Ausbildung ihre Bedürfnisse äußern.

Ähnliche gemischte Gremien gibt es auch in anderen Bundesländern. Auf Einladung des Schwäbischen Chorverbandes sind Vertreter der Kirchenmusikverbände seit diesem Jahr sogar bei dessen C-Prüfungen anwesend, um die Kandidaten zu prüfen. Wenn sich diese später für die Leitung eines Kirchenchores bewerben, müssen sie lediglich noch die kirchenspezifischen Kenntnisse wie Liturgie nachholen. Ihre musikalische Eignung haben sie dagegen bereits durch die Prüfung beim Chorverband hinreichend unter Beweis gestellt.

„Einerseits haben die Kirchen einen großen Bedarf an Chorleitern“, sagt Marcel Dreiling, Musikdirektor des Schwäbischen Chorverbandes. „Aber auch für unsere Kandidaten ist es natürlich von Vorteil, wenn sie durch die Prüfung auch gleich das nötige Zertifikat für eine Beschäftigung im kirchlichen Bereich erwerben. Es wäre also sträflich, wenn wir nicht mit den Kirchen Hand in Hand arbeiten würden.“ Mittlerweile verpflichtet der Schwäbische Chorverband außerdem zunehmend Kirchenmusiker als Dozenten für seine Lehrgänge.

Was regional also zum Teil schon gut funktioniert – eine gemeinsame Erarbeitung von Ausbildungsinhalten und gegenseitige Anerkennung von Prüfungsleistungen –, ist auf nationaler Ebene oft noch Wunschmusik. So erlebt Marcel Dreiling immer wieder, dass die Abschlusszertifikate seiner Prüflinge in anderen Bundesländern nicht anerkannt werden. „Das ist in unserer mobilen Gesellschaft doch ein unglaublicher Anachronismus“, findet er und plädiert für die einheitliche Ausstellung der Zeugnisse durch eine zentrale Institution: „Das könnte zum Beispiel der Deutsche Chorverband sein.“ Und es gibt weitere Vorschläge: Gemeinsam mit anderen Experten, unter anderem von den Bundesmusikakademien in Trossingen und Wolfenbüttel, hat Dreiling im Auftrag des DCV ein Konzept erarbeitet, wie eine deutschlandweit einheitliche Chorleiter-Ausbildung aussehen könnte: Inhalte, Prüfungsrahmenordnung und Begrifflichkeiten sind hier bereits konkret festgelegt. „Jetzt gilt es allerdings, die einzelnen Landesverbände von den Vorteilen einer solchen Vereinheitlichung zu überzeugen – denn natürlich meint jeder, seine Ausbildungsstruktur sei die beste.“

Viele sind beratungsresistent

Auch deshalb glaubt DCV-Geschäftsführer Moritz Puschke, dass es zunächst einer breiten Debatte über die Notwendigkeit von einheitlichen Ausbildungsstrukturen bedarf. Diese könne man als Dachverband anstoßen und vorantreiben. Etwa durch regelmäßige überregionale Veranstaltungen wie die alle zwei Jahre stattfindende chor.com. Der vom DCV erstmals 2011 veranstaltete Branchentreff versteht sich mit mehr als hundert musikalischen und didaktischen Workshops sowie Gesprächsrunden zu speziellen Themen der Chorszene gleichermaßen als Weiterbildungs- und Diskussionsplattform.

Doch die Chorszene wird nicht nur heterogener, sie wird auch anspruchsvoller. Dies betrifft etwa den rasant wachsenden Bereich der kleineren A-cappella-Gruppen, die unabhängig vom Genre – von der Alten Musik über Pop/Jazz bis zu zeitgenössischem Repertoire – wie Pilze aus dem Boden schießen. Während sich jedoch viele junge Chorleiterinnen und Chorleiter auf Ausbildungsangebote regelrecht stürzen, sind ältere Semester oft nur mühsam für diese zu gewinnen. Gerade bei kleineren Chorverbänden beklagt man die mangelnde Bereitschaft der Chorleiter, sich (weiter) zu qualifizieren. „Wir bieten seit Jahren dreitägige Fortbildungen als Vorbereitung auf die Chorleiterprüfungen des größeren Bayerischen Sängerbundes an“, sagt Angelika Schreiegg, Präsidentin des Bayerischen Chorverbandes, der mit rund 40 Vereinen zu den kleinsten Mitgliedsverbänden des DCV gehört. „Aber die Resonanz ist doch sehr enttäuschend. Viele Chorleiter haben das Gefühl, sie könnten und wüssten schon alles, die sind beratungsresistent.“

Auch Klaus Levermann vom großen ChorVerband NRW kennt dieses Phänomen und nimmt die Sängerinnen und Sänger selbst in die Pflicht: „Chöre müssten ihren Leitern mehr auf die Füße steigen, wenn es um deren Aus- und Weiterbildung geht – schließlich leidet am allermeisten der Chor darunter, wenn dessen Leiter nicht gut ausgebildet ist und sich nicht regelmäßig über neuere Methoden oder Literatur informiert.“ Gleichzeitig weist Levermann aber auch darauf hin, dass gute Leistung ihren Wert hat: „Und da darf dann gute Probenarbeit finanziell auch ‚Mehrwert‘ sein!“

Der Autor ist Redakteur des Vokalmagazins „Chorzeit“. In dessen Ausgabe 4-2014 ist dieser Text ungekürzt zu lesen, außerdem ein Interview mit Kord Michaelis zum Thema. www.chorzeit.de

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