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The composer is present: Nikolaus Brass (rechts) beim chor.com-Workshop mit Rupert Huber. Foto: Rainer Engel
The composer is present: Nikolaus Brass (rechts) beim chor.com-Workshop mit Rupert Huber. Foto: Rainer Engel
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Von der Lust, gewohnte Pfade zu verlassen

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Bei der dritten Ausgabe des Branchentreffs chor.com bildete zeitgenössische Musik einen Schwerpunkt
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Seit 2011 treffen sich alle zwei Jahre in Dortmund Chorleiter und Kantoren, aber auch ambitionierte Sänger sowie Chorinteressierte – also die Macher der Vokalszene –, um sich von einem reichen Angebot aus 150 Workshops und Reading-Sessions, 30 Konzerten oder speziellen Intensivkursen inspirieren zu lassen. Gleichzeitig fungiert die chor.com als Fachmesse, denn im Dortmunder Kongresszentrum präsentieren sich die wichtigsten Verlage für Chormusik ebenso wie Labels, Verbände, Veranstalter für Chorreisen, Softwareentwickler, Weiterbildungsinstitute, Tontechniker und Musikalienhändler. Darüber hinaus ist die chor.com ein Ort, an dem sich Trends und Entwicklungen der Chorszene besonders gut erkennen lassen. Ein besonderer Schwerpunkt lag in diesem Jahr auf der Neuen Chormusik.

Zu den namhaften Komponisten, die in diesem Jahr auf der chor.com dabei waren, gehört der Schwede Robert Sund. Er präsentierte seine vielfältige Chormusik, die vom Broadway-Arrangement bis hin zu Avantgarde-Klängen reicht, im Rahmen eines Workshops. Die Veranstaltung war gut besucht, was nicht verwundert, denn für die Chormusik aus Skandinavien und auch dem Baltikum interessieren sich die Chöre schon seit vielen Jahren. Chorprogramme, in denen die Musik von Sandström, Jennefelt, Nystedt, Pärt, Tormis oder Miškinis gesungen wird, gibt es hierzulande viele. Und so äußert sich Sund ausgesprochen positiv im Hinblick auf die Entwicklung, die die Chormusik hierzulande einschlägt: „Ich höre jetzt in Deutschland viele Stücke von zeitgenössischen Komponisten, die sehr gut für Chor schreiben können. Ich glaube, hier gibt es eine gute Zukunft für die moderne Musik.“ Sund bezieht sich durchaus nicht nur auf die eben genannten Komponistenkollegen, denn mit Wolfram Buchenberg und Alwin Schronen stellten sich auf der chor.com deutsche Chorkomponisten vor, die zunehmend auch internationale Beachtung genießen. Buchenberg wurde darüber hinaus in Dortmund für sein mittlerweile beträchtliches Œuvre an Chormusik mit dem Gerhard-Maasz-Preis der GEMA-Stiftung ausgezeichnet.  

Das Bemerkenswerte ist, dass der Erfolg der beiden Komponisten sich in einer Chorszene widerspiegelt, die mit zunehmender Neugier und Offenheit zeitgenössische Musik aufführen will. Komponisten wie Ensembles befruchten sich hier gegenseitig, wobei die künstlerisch-ästhetischen Vorstellungen der Chöre und Chorleiter von den Komponisten durchaus berücksichtigt werden.  

Ideale Trias aus Komponist, Chorleiter und Ensemble

„Wir Chordirigenten brauchen Stücke, die auch aufführbar sind“, sagt Matthias Beckert. „Für mich ist Chormusik vor allem Klang, Zusammenklang, Harmonie. Wir suchen Stücke, die berühren, einen mitnehmen und das Herz erwärmen.“ Beckert, der auch Dirigieren an der Musikhochschule Würzburg lehrt, ist einer jener Chorleiter, die mit großem Enthusiasmus neues Repertoire erschließen. Mit seinem Ensemble Cantabile Regensburg hat er zum Beispiel die erste CD eingespielt, die ausschließlich der Chormusik von Wolfram Buchenberg gewidmet ist. Auf der chor.com wiederum gab er einen Workshop, der die Chorstücke von Alwin Schronen thematisierte. Die Komponisten, die mit Beckert zusammenarbeiten, schätzen seinen freundschaftlichen Umgang. Gleichzeitig können sie sicher sein, dass er mit seinen Ensembles, zu denen auch der Monteverdichor Würzburg gehört, hochprofessionelle Aufführungen und Uraufführungen garantiert. So entsteht eine Symbiose aus Komponist, Chorleiter und Ensemble, die der neuen Chormusik in Deutschland Auftrieb verleiht. Die Karriere des 1965 geborenen Alwin Schronen ist da ein gutes Beispiel. „2011, 2012 kam bei mir der Wechsel“, erzählt der studierte Kirchenmusiker, „das ging damals durch den Kontakt zu Dirigenten wie Jürgen Faßbender, Jan Schumacher oder Hans-Joachim Lustig, für die ich komponiert habe. Daraus entstanden wiederum Verbindungen zu anderen Chören, und inzwischen habe ich mich ganz auf das Schreiben von Musik konzentriert.“ So sind Komponisten wie Schronen oder Buchenberg durch die intensive Zusammenarbeit mit Chorleitern und deren Ensembles nah an dem dran, was auch die ambitionierten Laienchöre singen wollen.

Neue Impulse für die Avantgarde

Einen anderen Ansatz verfolgt Rupert Huber, der als Chefdirigent von Profichören wie dem SWR Vokalensemble und dem WDR Rundfunkchor tätig war. Auch er sieht, „dass es eine große Zahl von Chören gibt, die gerne Zeitgenössisches singen wollen, wenn es denn technisch machbar und sinnlich ergiebig ist.“ Huber hat nun gemeinsam mit dem Deutschen Chorverband die Initiative „Frisch komponiert“ ins Leben gerufen und viele in der Neuen Musik angesehene Komponisten wie Beat Furrer, Georg Friedrich Haas, Peter Michael Hamel, Nikolaus Brass oder Claus-Steffen Mahnkopf gebeten, nach der Vorgabe der Realisierbarkeit für Laienchöre Stücke von etwa fünf Minuten Länge zu schreiben. So konnte man auf der chor.com ein in der Chorgeschichte relativ einmaliges Erlebnis von gleich zwölf a-cappella- Uraufführungen erleben, dargeboten vom SWR Vokalensemble unter Rupert Huber (der auch selbst mit „o.k.“ einen sehr lautsprachlichen Kompositionsbeitrag lieferte). Am Ende des Konzerts war man doch etwas überrascht darüber, wie begeistert das Publikum auf die Stücke reagierte. Hier war ein enormes chormusikalisches Spektrum zu erleben, mit einigen auf Klangfläche angelegten Stücken, dem Einsatz von Sprechgesang, der Einbeziehung von Raum oder Performance-Elementen oder einer Chormusik, die mal exzentrisch, mal volkstümlich, mal ironisch beziehungsweise humorvoll und manchmal sogar einfach nur klangschön daherkam. Die Managerin des SWR Vokalensembles, Cornelia Bend, bringt es so auf den Punkt: „Wir wollen ganz bewusst den Weg gehen, mehr Mut zu fördern und sich auf Töne und ungewöhnliche Klänge einzulassen.“ Und das Projekt geht weiter: Da etliche Komponisten dem Aufruf zur Einreichung neuer Stücke gefolgt sind – und auch noch folgen werden –, wird schon bald der Landesjugendchor Rheinland-Pfalz, der zurzeit Patenchor des SWR Vokalensembles ist, weitere frisch komponierte Werke zur Uraufführung bringen. Diese sollen den interessierten Chören unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden.

Damit mehr Chorleiter den Herausforderungen der zeitgenössischen Musik gewachsen sind, bot Anne Kohler bei der chor.com einen Dirigier-Intensivkurs mit Musik des 20. und 21. Jahrhunderts an (siehe das Interview mit Anne Kohler in der Oktober-Ausgabe der nmz). Gerade bei den jüngsten Stücken war zunächst die Befürchtung der Teilnehmer groß, bestimmte Herausforderungen nicht zu meistern (häufiger Taktwechsel, mangelndes Wissen über die Realisierung bestimmter Klangvorstellungen, Angst davor, die Intention der Komposition nicht zu erfassen). Doch genau an dieser Stelle gelang es Kohler, Hilfestellung zu leisten und die Offenheit gegenüber Neuem zu fördern. Am Ende waren die Teilnehmer motiviert, sich auch mit der neue­sten Musik auseinanderzusetzen. „Ich glaube“, sagt Matthias Utz, der das Vocalensemble Landsberg leitet und im Workshop die Stücke von James MacMillan und Beat Furrer einstudiert hat, „es ist einfach eine Sache des Sich-trauens. Ein Chor hat natürlich zunächst einmal Angst, gewohnte Pfade zu verlassen. Aber wenn er dann so ein Stück singen kann, weiß er, dass dies etwas Einzigartiges ist – und am Ende macht es allen Spaß.“

Verlage als Partner der Chorszene

Auch die Verlage ergreifen die Initiative, wobei hier das Zusammenspiel der Akteure auf der chor.com besonders gut gelingt. „Für unsere zeitgenössischen Komponisten ist so eine chor.com super wichtig“, meint Konstantin Zafiriadis vom Schott Verlag und fährt fort: „Auch Komponisten, die in der Chorszene schon bekannter sind, schreiben ja nach wie vor neue Werke, und die gilt es zu entdecken. Außerdem sind hier ganz viele Chorleiter, die solche Stücke in den Workshops vorgestellt bekommen oder singen. Wenn dann auch noch die Komponisten anwesend sind, ist dies ein besonderes Erlebnis.“ Beim Schott Verlag etwa sind auch Robert Sund und einige Werke von Alwin Schronen veröffentlicht, und über die Kooperation mit Boosey & Hawkes vertritt der Verlag etwa auch James MacMillan, dessen Chormusik hierzulande mehr und mehr entdeckt wird. Überhaupt ist auf der chor.com eine zunehmende Internationalisierung erkennbar, so sind Finland Music oder die Oxford University Press vertreten, letztere ist mit der Musik von John Rutter oder Bob Chilcott für die hiesigen Chöre sehr interessant. Selbst die österreichische Universal Edition, die ja ansonsten für Laienchöre kaum aufführbare Avantgardekomponisten im Sortiment hat, stößt mit Arvo Pärt und den Arrangements von Clytus Gottwald auf ein relativ breites Interesse in der Chorszene. Und offenbar sind sich die meisten Verlage auch dessen bewusst, dass ihr großes Repertoire an Neuer Chormusik nur dann dauerhaft Interessenten findet, wenn auch die nächste Generation von Chorsängern heranwächst. Das Angebot an neuen chor- und gesangspädagogischen Büchern für den Nachwuchs ist jedenfalls beeindruckend. 

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