Du sabbelst wie ein Wasserfall! Wenn Du mal stirbst, muss man die Klappe extra totschlagen! Erklär mir das einmal! – Mit der Stimme ist das so eine Sache. Die einen reden zu viel, die anderen zu wenig. Die einen singen wie eine Nachtigall, andere haben eine Stimme, die eher an eine singende Säge erinnert. Die Stimme ist ein unendlich vielfältiges und äußerst individuelles Instrument – in den nächsten Monaten werden wir über dieses Instrument des Jahres 2025 manches Erstaunliche und Unerwartete erfahren!

Instrument des Jahres: Die Stimme
Das Musikinstrument des Jahres 2025: die Stimme – Teil 1: Ein politisches Instrument
Ein geradezu gigantischer Schachzug ist den Landesmusikräten bei der Auswahl des diesjährigen „Instrumentes des Jahres“ gelungen. – Wir erinnern uns: Seit 2008 küren die Landesmusikräte jährlich ein „Instrument des Jahres“. Jörg-Rüdiger Geschke, der geistige Vater dieser Aktion und damals Mitglied des Landesmusikrates Schleswig-Holstein, wollte dabei möglichst viele Menschen unterschiedlicher sozialer Milieus erreichen und gleichzeitig ein großes musikalisch-stilistisch Spektrum abdecken. Ziel des Projektes ist es, Werbung für die Musik und das Musizieren im Allgemeinen zu machen, aber auch ein Instrument in vielen unterschiedlichen Facetten zu beleuchten – Lust auf mehr!
Die Klarinette war als allererstes Instrument des Jahres dafür ein hervorragender und schillernder Repräsentant. Später waren es in erster Linie die gängigen Orchesterinstrumente, die Instrument des Jahres wurden, aber auch etwa die Orgel oder die Mandoline. Immer wieder stellte man fest, dass viele Instrumente oder ihre speziellen Spielweisen in der breiten Bevölkerung doch nicht so bekannt waren. Etwa 50.000 Orgeln gibt es in Deutschland – und immer wieder kann man erstaunte Kommentare hören: „Oh, der spielt ja auch mit den Füßen!“ Oder: Nur etwa 180 Planstellen für professionelle Tubisten gibt es in Deutschland – das ist nicht viel. Hier galt und gilt es, viel Aufklärungs- und Liebhabereiarbeit zu leisten.
Maximale Verbreitung
Das Instrument des Jahres 2025 ist maximal verbreitet – JeKi und ähnliche Aktionen können hier nur vor Neid erblassen: in Deutschland besitzen und nutzen (!) 83,6 Millionen Menschen dieses Instrument: die Stimme. – Im ersten Moment hört sich das lapidar an: jeder hat sie, jeder nutzt sie. Was kann daran schon noch Besonderes sein? Die Stimme steht für unsere Individualität – ähnlich einem Fingerabdruck gibt es keine zwei vollständig identischen Stimmen. Die Stimme ist das älteste Instrument der Welt. Sie kann laut tönen, verhalten flüstern, deutlich sprechen, fröhlich singen und noch so viel mehr. Sie ist ein wichtiger Träger von Emotionen. Jeder kann sie ganz individuell hörbar machen und einsetzen. Individualität – das ist ihre Stärke!

Fabian Kuhnen versteht es Menschen mit seiner Stimme zu begeistern und andere zum Singen zu animieren. Er ist Mitglied im NDR Vokalensemble, das Schirmherr der Aktion „Instrument des Jahres 2025“ beim Landesmusikrat Schleswig-Holstein ist. © Christoph Edelhoff, LMR SH
Ein Instrument? In der sehr grundlegenden und vollständigen „Systematik der Musikinstrumente. Ein Versuch“ der beiden Musikethnologen Curt Sachs und Erich Moritz von Hornbostel aus dem Jahr 1914 kommt die Stimme nicht vor. Ihr Grundgedanke war es, die Instrumente nach der Art des schwingenden Körpers einzuteilen: selbstklingende Instrumente (Idiophone), Membraninstrumente (Membranophone), Saiteninstumente und Blasinstrumente. Später nahm Sachs noch die elektrischen Instrumente mit auf.
Ein Instrument ist so etwas wie ein Werkzeug, ein Gerät, ein Apparat, ein (Hilfs-)Mittel. Merkmal des Instrumentes scheint es zu sein, dass es künstlich bzw. handwerklich hergestellt worden ist. Der Komponist Mauricio Kagel sagte einmal über Musikinstrumente, dass sie die künstlichen Verlängerungen menschlicher Körperfunktionen seien – also etwa eine Trompete die Verlängerung der Lunge und der Atemwege oder ein Tasteninstrument die Verlängerung der Finger.
Die Stimme ist ein ganz anderes Instrument. Sie entsteht aufgrund eines geschlechtlichen Zeugungsvorganges mit hernach DNS-basierter Zellteilung. Sie ist nicht sichtbar. Man kann das Instrument Stimme nicht anfassen, haptisch erfahren. Genaugenommen gibt es auch kein eigentliches Stimmorgan. In einem spannenden Zusammenspiel aus Muskeln, Stimmlippen und Knorpel im Kehlkopf entsteht die für jeden Menschen einzigartige Stimme. Die Stimme ist also quasi ein „eingebautes“, sehr persönliches Instrument, das uns ständig begleitet.
Es werde Musik
Gehen wir mit dem ältesten Musikinstrument der Welt ein gutes Stück in der Zeit zurück – zurück bis zu den Schöpfungsmythen der Erde. So wird gleich im ersten Buch der Bibel beschrieben, wie Gott die Welt und alles was darinnen ist, erschaffen hat. Dabei nutzte er keine Werkstatt, wo aus Einzelteilen Pflanzen, Tiere und am Ende der Mensch zusammengesetzt wurden und dann auf der Welt platziert. Er nutzte für diesen kreativen Prozess seine Stimme, nur seine Stimme. Der eigentliche Schöpfungsakt wird im 1. Buch Mose mit den Worten „Und Gott sprach!“ beschrieben. Er sprach zum Beispiel: „Es werde Licht!“ Und es ward Licht.
Diese in der Bibel beschrieben Wirkmächtigkeit der Stimme Gottes ist auch ein Merkmal der menschlichen Stimme. Mit ihr kann man Grenzen sprengen und neue Gebiete erobern. Durch die Stimme können wir uns mit allen Menschen auf der Erde verbinden. Die Stimme überwindet kulturelle, sprachliche und geographische Grenzen und schafft damit eine gemeinsame Basis für Kommunikation und gegenseitiges Verständnis. Die Stimme ist zumeist das erste Instrument, dessen wir uns bedienen, wenn wir als soziale Wesen miteinander umgehen (wollen).
Die Landesmusikräte haben das Instrument des Jahres 2025 eher ungenau bezeichnet: die Stimme. Es ist hier nicht explizit die „menschliche“ Stimme benannt – und in einigen Texten kann man auch schon von „tierischen“ Stimmen lesen. Über die musikalische Stimme wurde bisher nur wenig gesprochen. Auch die Abgrenzung und genaue Beschreibung der Stimme ist leicht nebulös und zweideutig, Stimme und Sprache werden – so scheint es – gelegentlich synonym verwendet. Diesen und vielen anderen Fragen werden wir uns im Laufe des Jahres widmen. Die Stimme ist so vielfältig, dass wir manchem Lustigem und Skurrilem begegnen werden.
Demokratie braucht Stimmen
Bei der Pressekonferenz der Aktion „Instrument des Jahres“ im Kieler Landtag betonte die Landtagspräsidentin Kristina Herbst, dass „die Stimme außerdem das wichtigste Instrument sei, um im Wettstreit der besten Lösungen politische Meinungen auszutauschen“. Herbst betonte: „Ohne Stimme funktioniert Demokratie nicht!“ und ermunterte die Anwesenden, ihre Stimmen bei den anstehenden Wahlen zu nutzen. Alexandra Ehlers, Präsidentin des Landesmusikrates Schleswig-Holstein, erläuterte, dass man sich bei der Auswahl der Stimme vor schon einigen Jahren in erster Linie natürlich an musikalischen Gesichtspunkten orientiert habe. Die Tatsache, dass das Thema Stimme auch politisch so brisant werden könne, habe man damals nicht im Blick gehabt.
Wie in den vergangenen beiden Jahren werden wir hier versuchen, uns dem Instrument des Jahres von vielerlei Seiten her anzunähern. Hatten wir dabei so etwas wie eine Systematik, eine Aufeinanderfolge sinniger Themen im Hinterkopf, wird es 2025 einfach chaotisch. Der Themen sind so viele – wo soll man anfangen? Schon die Auswahl der Schirmherren durch der einzelnen Landesmusikräte zeigt diese Vielfalt. War es bisher so, dass jedes Jahr ein Künstler auf dem entsprechenden Instrument Schirmherr war, so sind in diesem Jahr, einzelne Sänger, mehrere Sänger, aber auch Ensembles Schirmherren, in Sachsen sogar ein Mediziner. Wir werden möglichst viele unterschiedliche Schlaglichter auf Phänomene der Stimme werfen, etwas unsortiert und ein wenig nach den Vorlieben des Autors ausgesucht – das wird mit unserem ureigensten Instrument ein buntes musikalisches Jahr!
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