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Das Feudenheim Gymnasium Mannheim positioniert sich „Gemeinsam gegen Hass!“ Foto: Jule Roehr/Initiative kulturelle Integration

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Die Kinder der Hunderttausend

Untertitel
Zum diesjährigen „Ohren auf für Hanau“-Schulwettbewerb
Vorspann / Teaser

Eine gute – und heutzutage leider bitter nötige – Sitte ist es seit einiger Zeit geworden, dass beinahe jedes Wochenende bundesweit Hundertausende sich in ihren Städten zusammenfinden, um ein kollektives Zeichen gegen allerlei von extrem rechts hochgekochte „-ismen“ zu setzen. Sie demonstrieren pluralistische „Leitkultur“ sowie als Verfassungspatrioten für die Freiheit der Meinung und Religionen, für die Selbstbestimmung und auch für die Freiheit der Anderen hierzulande. Da sie dabei selbstverständlich auch die Freiheit der Kunst mit verteidigen, ist es genauso selbstverständlich, dass die Kunst auf ihre Weise dabei mit einstimmt. Und genau in diesem Sinne versteht sich der Schulwettbewerb „Ohren auf für Hanau“, der vor fünf Jahren zwecks künstlerischer Reflexion und respektvoller Erinnerung an den rassistischen Massenmord vom 19. Februar 2020 gemeinsam gegründet wurde von der Beauftragten für Kultur und Medien, der Initiative kulturelle Integration sowie vom Bundesverband Musikunterricht. Eine eindrucksvolle Demonstration mit den Beiträgen des aktuellen Schulwettbewerbs fand nun im Marstall der Berliner Hochschule für Musik Hanns Eisler statt.

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Trotz eines für die internen Schulabläufe und Planungen äußerst ungünstigen Zeitraums von April bis November 2024, haben sich bundesweit über zwanzig Schulen an dem Wettbewerb beteiligt, und sie alle, die Lehrkräfte eingeschlossen, haben für dieses Projekt Extraschichten eingelegt. Neun davon wurden ausgewählt für ein Begegnungskonzert, bei dem sie sich untereinander kennenlernen, ihre Erfahrungen austauschen und gemeinsam das Konzertprogramm gestalten konnten. Insgesamt über einhundert Schülerinnen und Schüler aus acht Bundesländern kamen nach Berlin, nur die Jüngsten einer rein migrantisch geprägten Klasse der Kasseler Grundschule am Wall blieben ihrem Alter geschuldet zuhause, schickten dafür aber ein anrührendes Trickvideo, wie sie als Nicht-Muttersprachler einem ebensolchen Neuzugang deutsche Wörter beibringen.

Die Bandbreite der Beiträge spiegelte dabei die ganze Vielfalt heutiger Musikrichtungen: von aufwändig produzierten Musikvideos (Johann Steingruber Realschule Ansbach; Auguste Viktoria Schule Flensburg), über Weltmusik als interkulturellen Dialog (Albrecht Dürer Oberschule Berlin-Neukölln), zum livemusikalischen Kommentar zu O-Tönen einer Überlebenden aus dem Mädchenorchester von Auschwitz (Robert Schumann Gymnasium Saarlouis). Rap und Poetry-Slam wurden ausdrucksstark genutzt (Bergstadt Gymnasium Lüdenscheid; Feudenheim Gymnasium Mannheim), wie auch ausgeklügelte Gitarrensounds (Schillerschule Dresden-Loschwitz).

Auch zeugten alle Eigenkompositionen und Performances mit phantasievollen musikalischen Umsetzungen vom Können und Engagement der Kinder und Jugendlichen. Nicht zuletzt auch von ihrer Offenheit, frei und gezielt zugleich in den kreativen Dialog miteinander sowie mit schwierigen Themen einzutauchen.

Starke künstlerische Aussagen

Beeindruckend, um nur ein Beispiel herauszugreifen, die Performance „Leere“ vom Mörike-Gymnasium Göppingen: ein musikalisches „Void“ nach der Art von Daniel Libeskind, bei dem die neun Instrumentalisten, die neun Opfer von Hanau symbolisierend, während eines harmonisch recht vielfarbigen Deutschlandlieds nacheinander die Bühne verließen, bis nichts mehr erklang. Abschiedssymphonie und stilles Gedenken zugleich. 

Apropos Stille: Nur tags zuvor hatte Antje Valentin, die Generalsekretärin des Deutschen Musikrates, im Deutschlandfunk mit Bedauern konstatiert, dass Bildung, Kultur, gar Musik in den Programmen aller gegenwärtig zur Wahl stehenden Parteien mit keiner Silbe erwähnt werden. Die über 100 Schüler*innen und Lehrkräfte, engagierte Kultur- und Mitbürger*innen allesamt, die mit „Ohren auf für Hanau“ nach Berlin gekommen waren, haben solcherlei kulturpolitisches Desinteresse diesmal nicht erfahren müssen. Fragt sich, wie lange noch.

Die Initiative kulturelle Integration, der 28 Organisationen und Institutionen aus allen gesellschaftlichen Bereichen angehören, arbeitet in Kooperation mit den Fachverbänden der künstlerischen Schulfächer an der nächsten Ausschreibung.

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