Hauptbild
Holger Noltze (3. v.r.) zusammen mit Dortmunder und Düsseldorfer Studierenden anlässlich einer terzwerk TV Aufzeichnung. Foto: privat
Holger Noltze (3. v.r.) zusammen mit Dortmunder und Düsseldorfer Studierenden anlässlich einer terzwerk TV Aufzeichnung. Foto: privat
Banner Full-Size

Advokaten des Inhalts mit solidem Sachverstand

Untertitel
Holger Noltze im Gespräch über zehn Jahre Studiengang Musikjournalismus der Technischen Universität Dortmund
Publikationsdatum
Body

Zum Wintersemester 2010/2011 startete der Studiengang Musikjournalismus der Technischen Universität Dortmund eine Kooperation des Instituts für Musik und Musikwissenschaft und des Instituts für Journalistik. Mit Holger Noltze, der seit 2005 als Professor für „Musik und Medien/Musikjournalismus“ in Dortmund lehrt, sprach Juan Martin Koch.


neue musikzeitung: Zehn Jahre gibt es den Studiengang Musikjournalismus in Dortmund nun. Wie viele Absolvent*innen gab es in dieser Zeit und was ist aus (all) denen geworden?

Holger Noltze: Das dürften um die 50 bis 60 gewesen sein. Meine Erfahrung ist, dass der Bedarf im Betrieb, also von Seiten der Konzert- und Opernhäuser, von Festivals, auch von journalistischen Organen, so groß ist, dass wir diesen kaum decken können. Das Verrückte an diesem Studiengang ist, dass er einerseits schwach nachgefragt wird – es ist schwer für uns, qualifizierte, talentierte junge Leute zu finden, die ausgerechnet dieses machen wollen: über Musik kommunizieren. Andererseits sind die Aussichten aber eigentlich glänzend. Das liegt, denke ich daran, dass wir uns von Anfang an nicht darauf beschränkt haben, den klassischen Musikkritiker auszubilden, sondern Kommunikatoren über Musik. Sie sollen etwas von der Sache verstehen, aber eben auch, wie man darüber in einzelnen Medien kommuniziert: Radio, Print, Fernsehen, Internet…

nmz: Wie hat sich der Studiengang in den zehn Jahren gewandelt, wie stark musste er sich wandeln?

Noltze: Es ist interessant, dass zu bestimmten Zeiten bestimmte Medien besonders im Fokus standen. Ich bin davon ausgegangen, dass wir damit beginnen, womit jeder „ordentliche“ Journalismus beginnt: mit Print, mit dem Schreiben von Artikeln. Es wurde dann aber schnell klar: Der Übergang zum Radio, auch zum Live-Radio, ist für Jüngere ein so selbstverständlicher und faszinierender, dass das vielen sehr nahe liegt. Hinzu kommt, dass der Rundfunk nach wie vor eine gute Arbeitsmöglichkeit bedeutet, da werden noch Honorare bezahlt… Wir haben dann schon vor sechs Jahren begonnen, jede Woche eine Stunde Live-Radio auf der Campuswelle zu machen. Wir haben auch ein Magazin-Format fürs Fernsehen entwickelt, aber da braucht man dann doch mehr Leute dafür. Deshalb haben wir uns im letzten Semester mit Enrique Sánchez-Lansch zusammengetan, der an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf Professor für Mediendramaturgie ist. Ansonsten ist natürlich der Online-Bereich von großer Bedeutung. Wir haben „Terzwerk“ als Dachmarke aufgebaut, unter der die Radiosendung und das Online-Angebot www.terzwerk.de laufen. Dadurch, dass ich unter Beteiligung der Universität auch takt1 gegründet habe, gibt es auch eine Streaming-Plattform, die sich als journalistisches Produkt versteht. Dort wird kuratiert, was ich für einen ganz wichtigen Handlungsmodus eines Musikjournalismus im 21. Jahrhundert halte.

nmz: Welche Rolle spielt die anspruchsvolle Musikkritik im engeren Sinne? Verschwindet die aus den Feuilletons, weil niemand mehr sie lesen will oder kann, oder weil niemand mehr sie schreiben kann oder will?

Noltze: Das ist eine interessante Frage, darüber sollten wir mal ein Symposium machen (lacht). Der Schlüssel zum Verständnis dessen, warum Dinge entstehen oder verschwinden, ist oft die Ökonomie – da würde ich ansetzen: In dem Moment, da eine FAZ misst, wie viele oder wenige Menschen das Feuilleton nutzen und wie wenige davon dann noch die Musikkritiken lesen, und das Ergebnis dann zur Grundlage von Prioritätsentscheidungen gemacht wird, in dem Moment läuft es natürlich gegen die Musikkritik. Wenn man auf Dauer weniger anbietet, wird man auf Dauer Expertise auf diesem Gebiet verlieren und dann werden das noch weniger Leute lesen. Die Fokussierung, nur noch das unbedingt Nötige vorkommen zu lassen, führt ja nicht zu mehr Interesse, das sich dann da bündelt, sondern es entsteht der Eindruck, es passiere da nicht viel Relevantes. Das ist für die Kolleginnen und Kollegen, die vielfach Opfer dieser Entwicklung sind, natürlich schwierig, aber die Zunft im Ganzen muss sich da auch ein bisschen an die eigene Nase fassen: Man hat da ein Stück weit seine journalistischen Routinen weitergepflegt, während sich die Welt draußen geändert hat. Das ist aber natürlich eine komplexe Frage, über die wir viel nachdenken, auch über die Grenzen zwischen Journalismus und erweiterten Formen des „Corporate Publishing“. Wie hat ein begabter Student es mal so schön formuliert: „Wir sind Advokaten des Inhalts.“ Das hat mir zu denken gegeben, denn es ist etwas Wahres dran: Wir, die wir über Musik handeln und sprechen, sind ja immer ein bisschen auch Promoter unseres Gegenstands. Wir stehen dahinter, weil wir ihn wichtig und faszinierend finden. Weil wir wollen, dass Musik in guter Qualität geschieht, sind wir kritisch und sagen, warum etwas gut und etwas weniger gut ist. Aber es ist schon etwas anderes, als wenn ich über Politik schreibe. Über Musikpolitik muss ich natürlich schreiben, wie ich über Politik schreibe…

nmz: Besteht nicht ein wenig die Gefahr, dass Sie – um den Begriff einer Kollegin zu benutzen – „Klassik-Influencer“ statt Musikjournalisten ausbilden?

Noltze: Wir bilden keinen bestimmten Typus aus. Wir zeigen in der Breite auf, was geht. Es kann bei den ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten sein, dass auch mal ein Influencer dabei ist. Gleichzeitig geht es aber darum, nicht nur ein Handwerk zu vermitteln, sondern auch forschend darauf zu blicken, was da für Mechanismen wirken, wo Menschen für Musik erreichbar sind. Aber mit dieser Zuspitzung, es würde darum gehen, Youtuber zu produzieren, und damit die älteren Damen und Herren zu erschrecken, wäre ich nicht einverstanden.

nmz: Sie haben mit Terzwerk ein eigenes Format, in dem die Studierenden sich relativ frei ausprobieren können. Wie werden sie auf den Praxisschock des real existierenden Musik(journalismus)betriebs vorbereitet?

Noltze: Der Anspruch von Terzwerk ist schon, dass das so auch „in der Wirklichkeit“ passieren könnte. Wir erfreuen uns der Freiheit, die da herrscht, doch es gehört auch zum Dortmunder Modell, dass die Studierenden sehr früh in Kontakt mit der Realität kommen. Wir haben das Glück, umgeben zu sein von Institutionen, die auf hohem Niveau Musik anbieten und den Studierenden zum Beispiel die Möglichkeit geben, Konzerteinführungen zu halten. Praktika sind natürlich auch ein wichtiger curricularer Inhalt: ein zweimonatiges im Bachelor, ein vier- bis sechsmonatiges im Master.

nmz: Wie sind die Einstiegsvoraussetzungen für den Studiengang?

Noltze: Die Eignungsprüfung ist ähnlich wie die für das Lehramt. Das ist vielleicht auch ein Grund, warum wir nicht so viele Bewerber sehen. Für uns ist einfach wichtig, mit jungen Leuten zu arbeiten, die von Musik schon etwas verstehen und es nicht nur gerne hören. Es geht nicht nur um Fans, sondern um Sachverstand. Wir haben aber insofern ein wenig „ermäßigt“, als nur noch ein Instrument oder Gesang gezeigt werden muss. Und auch da geht es mehr um Musikalität, nicht um Virtuosität. Man darf sich trauen.

nmz: Was sollte ein/e Absolvent*in am Ende des Bachelors können, und was am Ende des Masters?

Noltze: Danke für die Frage! Ich glaube, der Bachelor bei uns ist beliebt, weil man sehr schnell sehr viel Handwerk lernt. Für viele ist dann die Verlockung groß, gleich zu einem Sender zu gehen, der sich freut, eine junge Stimme im Kulturprogramm zu haben. Der Master hat einen höheren Anspruch an die Wissenschaftlichkeit, bringt eine stärkere Vertiefung und Reflexion, einen intensiveren Blick hinter die Kulissen. Dadurch, dass wir die Lehrredaktion von Terzwerk haben, kommt als ganz wichtiges Element hinzu, Erfahrung in der Teamführung zu sammeln. Journalismus ist ja nicht nur schreiben, sondern kann unter Umständen auch einhergehen mit Management- und Führungsverantwortung für ein journalistisches Produkt. Das kommt im Master dazu und – wie erwähnt – das große Praktikum, am besten schon mit dem Blick darauf, wo man einmal hinwill. Es hat dann in vielen Fällen auch geklappt, dass aus den sechs Monaten etwas Dauerhaftes geworden ist.

nmz: Wo sehen Sie den Studiengang in zehn Jahren?

Noltze: Ich hoffe, dass wir weiterhin diese merkwürdigen Mehrfachbegabungen sehen, und wenn der Musik- und Kulturbetrieb nicht untergeht, die Infrastruktur für Musik bestehen bleibt, dann ist der Bedarf für Absolventen, wie wir sie ausbilden, weiterhin gegeben. Und ich wünsche mir, dass die Dortmunder „MuJos“ diesen Betrieb weiterhin positiv verändern.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!