„Ton? – Läuft – Kamera? – Läuft – CP 2 Take 3 – Klappe – Und Action“: So klingt die Vorbereitung zum Kinderkonzert „Frühstück bei Ludwig“. Das Detmolder Sommertheater wurde im Juni 2020 zum Filmset umgebaut. Es entstand ein ungewöhnliches Bild für alle Beteiligten. Kurzerhand zum Drehbuch umgeschrieben und als Filmproduktion umgeplant, müssen alle Gewerke der Konzertproduktion, die prüfungsrelevanter Teil sowohl für Masterstudierende der Musikvermittlung als auch für künstlerische Wahlfächler*innen sind, neu gedacht werden.
Vor und für die Kamera zu agieren, erfordert mimisches Fingerspitzengefühl, kein Publikum gibt in diesem Moment Feedback und sorgt für den oft beschworenen Flow an der Rampe. Bühnengänge, Bühnenbild und Requisite werden in Corona-Abstand geplant und die Drehtage so gemanagt, dass nur die maximal zugelassene Anzahl an Künstler*innen am Set anwesend ist. Ein Konzert als Filmproduktion – das ist das Spannende und Neue. Produzieren zu können trotz Pandemie.
Und gleichzeitig wird durch die Fragmentierung der Konzertproduktion in einzelne Szenen, Takes und Shots am Ende der Drehtage offengelegt und diskutiert, was schon lange subkutan waberte: Sind historische Kostüme in der Form noch angemessen? Wie viele Minuten Wort verträgt ein Konzertformat für Kinder heute mit Blick auf die sich noch weiter verändernden Mediennutzungsgewohnheiten der Digital Natives? Gehören aktuell nicht gesellschaftspolitisch drängendere Fragen als der Geburtstag von Beethoven auf die Bühne? Welche Geschlechterstereotypen reproduzieren wir mit welcher Besetzung?
Der Corona-Sommer 2020 stellt alle Strukturen, Abläufe und auch Inhalte in der Lehre in Frage – auch für die Lehrenden selbst. Was brauchen junge Musiker*innen, wenn sie im nächsten Jahr ihren Abschluss machen und in die freie Wildbahn entlassen werden? Müssen wir gerade nicht nur über Formate von künstlerischer Lehre nachdenken, sondern auch über deren Inhalte? Wie wird ein Familienkonzert 2021 aussehen? Hier ergeben sich andere Möglichkeiten des Umgangs mit Repertoire im kleine(re)n Ensemble. Interaktionen mit einem durchaus verunsicherten Publikum erfordern jetzt neues Denken und das Entwickeln neuer Kommunikationsformen. Hier zeigt die Praxis der Musikvermittlung an vielen Häusern und Orchestern derzeit hohe Kreativität. Diese gehört auch in die Lehre an Musikhochschulen, und zwar jetzt sofort, und nicht erst nach zwei, drei Semestern Reifezeit.
Das alles braucht Diskurs zwischen Studierenden und Lehrenden, aber auch im Kollegium selbst. Und das ist digital nicht in herkömmlicher Form herzustellen. Hybride Formate mit einer Kleingruppe vor Ort und einem zweiten Teil der Studierenden online zugeschaltet, haben am Anfang den Reiz des Unbekannten und technisch Möglichen. Mit professionellem Anspruch stellen sich auch hier Anforderungen an eine digitale Medienproduktion. Diese reichen von verändertem didaktischem Pfad, minutiöser präziser Vorbereitung aller Diskussionsteile, Medienkompetenz in der Aufbereitung von Präsentationen, Bild- und Tonschnitt für die Videoanalyse oder Aufbereitung von Texten. Hinten rüber fällt „das Menschliche“: das Netzwerken, die spontane Begegnung, der zufällige Talk über das nächste Konzertprojekt. In der künstlerischen Lehre ergeben sich hier andere Herausforderungen: Während in der ersten Phase des Lockdowns jeder (auch digitale) Kontakt begierig von beiden Seiten genutzt wurde und sogar die Aufnahme von Videoschnipseln eine intensivere Analyse und Reflexion der eigenen künstlerischen Performance erzeugte, stellt sich nun die große Frage nach dem Entwickeln künstlerischer Kommunikation. Musik ist eine soziale Kunst und das gemeinsame Performen, Produzieren, Musizieren ist ihr Kern. Das Ensemblespiel, der Präsenzunterricht in künstlerischer Lehre ist für die Entwicklung und Begleitung von jungen Musiker*innen essenziell. Gerade hier stellen sich in der jungen Generation der Studierenden über den Sommer Zweifel und auch Pessimismus ein mit Blick auf zukünftige Berufsaussichten und Gestaltung der Kulturszene in Westeuropa. Die offensiv fragende „Fridays for Future“-Bewegung kommt ganz vorsichtig und verhalten auch in den Musikhochschulen an und stellt das System des Musikbetriebs ganz grundsätzlich in Frage. Berechtigt, denn es offenbart gerade unter dem Corona-Brennglas seine schon viel länger bestehenden integralen Schwächen.
Das ist gut: Corona fordert von uns Lehrenden, diese Fragen aktiv aufzugreifen und den Studierenden Raum zu geben, hier neue Formate für die Gestaltung der Zukunft des klassischen Musikbetriebs zu entwickeln. Dafür müssen wir uns selbst essenziell bewegen. Und das sowohl in der Analyse unserer eigenen Lehrinhalte und -formate in der Form und Häufigkeit als auch, wie wir Studierende auf ihrem Weg durch Lehr-, aber auch Gesprächsangebote begleiten. Ein regelmäßiges Zusammenschalten per Video zur Diskussion von neuen Konzert- oder Gründungskonzepten beispielsweise für Ensembles, sind gerade jetzt erforderlich und können Studierenden Perspektiven geben, die sie gerade jetzt benötigen: als Orientierung, als Fixpunkt, für die Zeit nach der Pandemie. Jetzt ist nicht der Pausenknopf gedrückt, jetzt ist die Zeit zur Vorbereitung der Zukunft. Das ist unsere Aufgabe.