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Porträt einer Frau die mit offenem und bestimmten Blick in die Kamera blickt. Sie ist in jungem mittleren Alter, trägt rote Haare, ein Hemd und einen blauen Pullover.

Hanna Werth. Foto: RSH

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Das selbstverständliche Nein

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Bundesweit erste Professur für Intimitätskoordination mit Hanna Werth besetzt
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 Ein Mann und eine Frau, beide Studierende der Gesangsklassen an der RSH, stehen sich in einem Seminarraum gegenüber. Sie blicken sich an und üben den Dialog: „Gehst Du mit mir einen Kaffee trinken?“ – „Nein.“ – „Danke.“ Diese Übung, „Practice Saying No“, soll den Studierenden helfen, Grenzen zu setzen.

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Intimitätskoordination ist eine junge Disziplin, die vor weniger als zehn Jahren in den USA entstand, um Sex- und Gewaltszenen in Film und Theater sensibel zu gestalten. Nach den Me-Too-Skandalen wurden Ausbildungsstätten gegründet, und Intimacy Coordination ist inzwischen in vielen Filmstudios etabliert. „Dass die RSH diese Juniorprofessur einrichtet, finde ich großartig. Ich hoffe, viele Kunsthochschulen folgen diesem Pionierschritt“, sagt Werth.

Hanna Werth ist als Schauspielerin in Düsseldorf bekannt und hat am 1. Mai 2024 die Juniorprofessur für Szene & Intimitätskoordination an der RSH übernommen. Ihr Lehrdeputat umfasst neun Semesterwochenstunden, die für Gruppenunterricht und die Erarbeitung von Szenen genutzt werden.

In der Übung mit den Studierenden verändert sich die Intensität des Neinsagens. Das Zurückweisen einer Bitte wird zunehmend spürbar, und das akzeptierende „Danke“ hat beruhigende Wirkung. „Wir sind sozialisiert worden, immer Ja zu sagen, um akzeptiert zu werden. Erst wenn ein Nein etabliert ist, kann ein Ja akzeptiert werden“, weiß Werth. Sie will in den jungen Künstlern das (Selbst-)Bewusstsein stärken, klarer für sich einzustehen und eine respektvolle Kommunikation zu fördern.

Werth berichtet von ihrer ersten Begegnung mit Intimitätskoordination über eine Freundin, die in einer Netflix-Serie von einer Intimitätskoordinatorin begleitet wurde. „Wie oft hätte ich das in meiner Bühnenkarriere brauchen können: einen Profi, der Szenen mit Intimität strukturiert und choreografiert“, sagt sie.

In ihrer Arbeit geht es auch um das Verständnis für eigene Grenzen, die im Kulturbereich häufig übertreten werden. Das Machtgefälle ist oft groß, und die Angst, in Ungnade zu fallen, ist omnipräsent. Werth teilt skandalöse Beispiele aus der Filmgeschichte, wie die Sexszenen im Skandalfilm „Der letzte Tango in Paris“ und deren Folgen für die Hauptdarstellerin Maria Schneider.

Werths Pläne für die kommenden Jahre gründen auf ihren Erfahrungen mit Gesangsstudierenden. Sie möchte das jährliche Opernprojekt weiterhin begleiten, ihren neuen Schwerpunkt deutlicher einbringen und Themen-Workshops mit eingeladenen Experten
durchführen.

Zurück zu unserer Spielsituation, für die Hanna Werth eine Erweiterung bereit hält: Nach dem „Danke“, soll die oder der Zurückweisende jetzt einen alternativen Vorschlag machen. Das kann hier statt des etwas zu intimen Kaffeetrinkens etwa ein gemeinsamer Konzert-Besuch sein. Oder sich an den Händen zu nehmen, anstatt sich zu umarmen. „Bei der Arbeit auf der Bühne gibt es immer Alternativen. Niemand muss etwas tun, was er nicht will, weil es seine Grenzen verletzt.“, sagt die junge Professorin und gibt ihre Erfahrung an die Studierenden weiter: „Im besten Fall verhandelt man auf Augenhöhe.“

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