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Mark Barden im Hotel. Foto: Hufner
Mark Barden im Hotel. Foto: Hufner
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„Das Wichtigste ist für mich das Suchen“

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Ein Interview mit dem zukünftigen Kompositionsprofessor Mark Barden
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Der Amerikaner Mark Barden gehört derzeit zu den aufstrebenden Komponisten der jungen Generation. Mit dem Komponistenpreis der Ernst von Siemens Musikstiftung bedacht, setzt er sich mit aktuellen Themen der Zeit auseinander. Derzeit entwickelt er mit anderen Mitwirkenden für die Jubiläumssaison des Konzerthauses Berlin eine interaktive Virtual-Reality-Komposition in Zusammenarbeit mit dem Bildenden Künstler Julian Bonequi. Ab dem Wintersemester 2020/21 hat Mark Barden einen Ruf als Professor für Komposition an der Hochschule für Musik Detmold angenommen.

„Durch das Tonmeisterinstitut und die Möglichkeiten in der Audio- und Videoproduktion ergeben sich für junge Komponistinnen und Komponisten einzigartige Möglichkeiten. In Detmold können wir sehr experimentierfreudig vorgehen und die Werke auf höchstem Niveau auch online dokumentieren“, freut sich der Komponist auf die neue Herausforderung. Ein Gespräch mit dem zukünftigen Kompositionsprofessor über seine Musik, erste Pläne für Detmold sowie die Wichtigkeit des Suchens.

Welche Aufgabe übernimmt eine Komponistin, ein Komponist in unserer heutigen Gesellschaft?

Kunst heißt Weltanschauungsvermittlung. Damit meine ich keine übergreifende Lebensphilosophie, sondern eine „Welt-Anschauung“ im wahrsten Sinne des Wortes: Wie betrachtet die Künstlerin die Welt? Egal ob Innen- oder Außenwelt, imaginär, real, aktuell oder vergangen – wer Kunst macht, sondert aus irgendeiner Welt etwas aus und setzt es in einen neuen Rahmen. Und zwar so intensiv, präzise und individuell wie möglich.

Was macht für Sie eine „originelle“ Komposition aus?
 
Das weiß man erst, wenn man es sieht bzw. hört. Werke, die stark durch Einflüsse geprägt sind, lassen sich jedenfalls leicht erkennen. Sich von den Einflüssen zu befreien, ist schwer, aber notwendig, und da kann ein Lehrer helfen. Ob sich eine Künstlerin beziehungsweise ein Künstler mit der Zeit von den eigenen Einflüssen tatsächlich befreit oder ob die Einflüsse mittlerweile so klein geworden sind, dass man sie nicht mehr erkennen kann, ist für mich eine offene Frage. Mit anderen Worten: Besteht das, was wir „neu“ oder „originell“ nennen, nicht immer aus schon etwas Existierendem?
 
Was versuchen Sie Studierenden in Ihrem Kompositionsunterricht zu vermitteln?
 
Das Wichtigste ist für mich das Suchen. Unterrichten ist eine gemeinsame Reise. Jede Schülerin braucht etwas anderes und man merkt oft erst nach Monaten, was dieser musikalisch wichtig ist, was sie überhaupt sucht. Bis dahin verstehe ich meine Rolle wie die eines „neugierigen Cheerleaders“: Ich feuere die Mannschaft an und möchte, dass jedes Werk auf seine Weise gelingt und dass die Schülerin wächst und gedeiht. Gleichzeitig frage ich aber auch kritisch nach.

Welche Pläne haben Sie für Detmold?
 
Community steht für mich an erster Stelle. Ich möchte eine Klasse aufbauen, die starke künstlerische Persönlichkeiten hat, die sich aber auch gegenseitig unterstützt und herausfordert. Dazu gehört nicht nur Hilfe und Lob, sondern auch durchdachte und konstruktive Kritik. Community erfordert auch die Vernetzung mit anderen Instituten und Studiengängen, vor allem dem ZeMFI und den Instrumentalklassen und deren Professor*innen, damit die neuesten Werke meiner Klasse möglichst professionell aufgeführt und dokumentiert werden.
 
Sie haben vorerst als Pianist gearbeitet. Was hat Sie bewegt zu komponieren?
 
Ja, das Klavier war meine erste Liebe und ich spiele heute noch sehr gerne privat, gelegentlich auch öffentlich. Vier Jahre bei Monique Duphil, meiner Klavierprofessorin in Oberlin, die Schülerin der großen Pianistin Marguerite Long war, haben mein musikalisches Verständnis tiefgründig und dauerhaft geprägt. Einiges davon ist recht klavierspezifisch, doch vieles beeinflusst bis heute meine Musik: wie man Spannung aufbaut, hält, löst; wie man mit Risiken umgeht; die Bedeutung des ersten Klangs. Ihre Liebe zur Musik ist überwältigend, schwindelerregend und in jedem Ton ihres Spiels unüberhörbar. So sehr, wie ich das Klavier geliebt habe und noch liebe, habe ich im Alter von zirka 20 Jahren feststellen müssen, dass ich musikalisch etwas ausdrücken muss, was ich durchs reine Spielen nicht erreichen kann. Ich komponiere aus der Not heraus.
 
Welches Verständnis von Musik liegt Ihren eigenen Werken zugrunde?
 
Das Verständnis, dass wir Menschen als Menschen endlich sind. Klingt eigentlich recht banal, ist aber fast unmöglich und meistens nur ganz flüchtig zu begreifen. Unser eigenes Leben nehmen wir selten im tiefen Sinne wahr. Wir leben aneinander – und an uns selbst – vorbei. Meinen Tod kann ich mir nicht vorstellen. Meine Musik ist ein Versuch, mir und dem Hörer ein Bewusstsein näher zu bringen, dass wir für einen Augenblick im Hier und Jetzt verharren.
 
Ihnen geht es nicht um den sich darstellenden Künstler im Rampenlicht auf der Bühne, sondern vielmehr um die Erfahrung, die die Musik bei Ihrem Gegenüber auslöst? Können Sie uns ein Beispiel nennen?
 
Gerne. Ich habe 2008 ein technisch relativ anspruchsvolles Klavierstück komponiert: „Die Haut Anderer“. Eine Kommilitonin, Pianistin, hat mit Leib und Seele gespielt. Beim Kampf mit dem Stück hat sie mal gewonnen, mal verloren. Dabei war sie jedoch stets hoch konzentriert, souverän und völlig bei der Sache. Es war atemberaubend, wie stark und doch verletzlich sie war, mit jedem Fehler deutlich zu erkennen. Nach dem letzten Ton kam lange kein Applaus, über eine ganze Minute. Wir waren alle hypnotisiert. Klatschen wäre irgendwie absurd gewesen. Was genau passiert ist, was vermittelt wurde, kann man schlecht in Worte fassen. Aber mit Rampenlicht, Ego oder Sich-Zeigen-Wollen hatte es offensichtlich nichts zu tun. Es war einer der schönsten Momente meines musikalischen Lebens.
 
Oft ist die Rede von einem taumelnden Gefühl des „Sich-Verlierens“, das Ihre Musik beim Rezipienten auslöst. Dem steht entgegen, dass der Mensch eher zur Selbstkontrolle neigt. Muss der Mensch das „Scheitern“ erst wieder lernen?
 
Sich zu verlieren ist mal richtig schön. Ich opfere mich gerne der Musik – beim Hören, Komponieren, Spielen. Je körperloser und realitätsfremder das Erlebnis, desto besser. Doch sind unsere Körper und die Realität leider auch notwendige Mittel, ohne die wir keine Musik wahrnehmen könnten. Das ist zwar ein Widerspruch, der sich allerdings auflösen lässt: Man kann sich durch den eigenen Körper verlieren. Ein Beispiel ist das Tanzen: Wenn ich beim Tanzen Bewegungen mache, die ich noch nie gemacht habe, dann habe ich mich meinem bisherigen Selbst ein Stück weit entfernt. Es geht darum, das Fremde bewusst zu erkunden.Gleichfalls kann man der Realität durch die Realität entkommen, indem man den Fokus verlegt oder die Sichtweise ändert (einfache optische Beispiele: Teleskop, Mikroskop). „Scheitern“ ist ein Aspekt davon und hat damit zu tun, das was uns verankert, in Frage zu stellen, in einem anderen Licht zu sehen oder gar aufzulösen – uns dem vorgenannten „taumelnden Gefühl“ zu opfern.
 
Wie setzen Sie das „Scheitern“ in Ihrer Musik kompositorisch um?
 
Für viele ist das Wort negativ beladen. Ich versuche, Scheitern in meiner Musik so einzusetzen, dass es uns berührt, trägt, öffnet oder Hoffnung gibt. Es geht meistens um einen „Kampf“: Die Interpret*in strebt hörbar danach, etwas Unrealisierbares zu realisieren. Im obigen Beispiel mit dem Klavierstück war es eben diese Stärke, trotz des Scheiterns weiter zu machen, die uns alle so berührt hat. Das lag zwar vor allem an der Kraft der Interpretation, war aber meinen Absichten sehr nah, denn es gibt mehrere auskomponierte Stellen im Stück, wo Scheitern vorprogrammiert ist: dieselbe Passage immer wieder spielen, jedes Mal schneller, bis man aufgrund der Geschwindigkeit falsche Töne spielt; einzelne Tasten in relativ schneller Abfolge stumm runterdrücken, so dass Töne ungewollt doch erklingen. In meinem neuen Orchesterwerk „the weight of ash“ gibt es eine Gruppe von Laienmusikern mitten im Orchester, die einen Rhythmus vom Orchester übernehmen und stur durchhalten soll, während das Orchester und der Solist mehrere Tempi- und Metrenwechsel ausführen. Es entsteht eine gewisse Reibung. Was mich am Scheitern fasziniert: Es betont das Menschliche, das Körperliche und das zwischen Publikum und Interpret Gemeinsame. Denn wir sind nicht – nie – perfekt. Und wir geben uns trotzdem Mühe. Bis wir sterben, streben wir nach dem Unerreichbaren.
 
Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit Mark Barden führte Friedrich von Plettenberg


Weiterführende Informationen:

Kompositionsstudiengang an der HfM Detmold: www.hfm-detmold.de/komposition
Website von Mark Barden: www.mark-barden.com
Link zur Doktorarbeit von Mark Barden: https://research.gold.ac.uk/20546/

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