„erstmal neues“ nennt sich die Konzertreihe der Hochschule für katholische Kirchenmusik und Musikpädagogik Regensburg, die seit 2010 zum Jahresbeginn neue Kirchenmusik vorstellt. 2016 war die Serie erstmals in die neu gegründeten „Tage Neuer Musik“ integriert, im Januar 2017 wurde sie nun zum Nukleus eines dreitägigen Gründungsfestivals des neuen Vereins „Unternehmen Gegenwart“.
Unternehmen Gegenwart: Der Name des neugegründeten Vereins zur Förderung zeitgenössischer Musik in Regensburg klingt gewiss nicht nach Vertröstung auf bessere Zeiten, nicht nach einem Paradies in ferner Zukunft. Der Vereinsvorsitzende Josef Ramsauer, seines Zeichens Komponist und Lehrer für Komposition und Musiktheorie an der Musikschule Regensburg, verfolgt klare Intentionen: Er will die Stadt, international bekannt für die „Tage Alter Musik“, auch offen für zeitgenössische Musik machen. Der Rektor der Regensburger Hochschule für katholische Kirchenmusik und Musikpädagogik, Stefan Baier, verortete das Projekt an seinem Institut, das sich als idealer Festivalort darstellt. Hat man sich einmal auf den Weg über die Steinerne Brücke zum Ortsteil Stadtamhof gemacht, dann findet man dort in den Räumen der weltweit ältesten Kirchenmusikschule nicht nur 14 Orgeln, sondern auch ausreichend Säle für kleine und größere Besetzungen, für Proben, Gespräche und Begegnungen. Man trifft sich für drei Tage an einem Ort mit Gleichgesinnten von nah und fern und will auch dem städtischen Publikum leichten Zugang zur oft als schwierig empfundenen Welt der Gegenwartsmusik bieten.
Geladen waren zahlreiche Komponisten neuer kirchlicher, aber auch profaner Musik, um sich auszutauschen und ihre jüngsten Arbeiten dem Fach- und Konzertpublikum vorzustellen. Dominik Susteck, seit zehn Jahren Organist der Kölner Kunst-Station Sankt Peter, spielte zahlreiche Uraufführungen und machte sich einen Namen mit modernen Improvisationskonzerten. Nach Regensburg kam er mit seinem sechsteiligen Orgel-Zyklus „Zeitfiguren“. Den sechs Zeitfiguren legt Susteck Fragen nach den letzten Dingen zugrunde – die strengen, antiromantischen Texturen von Sustecks Musik nehmen den Hörer erst nach und nach ins Leuchten seiner Akkorde und Melodien mit, bis dieser sich meditierend in den Klanggeweben von Sustecks Orgelkomposition verliert. Am Spieltisch wechselten sich Agustin Mejia Vargas, Sebastian Greß und Veit Pitlock ab.
Dagegen greift der Münchener Komponist Johannes X. Schachtner aus dem Vollen der Musikgeschichte. In seiner Komposition für Chor, 2 Trompeten, Schlagwerk und Streicher „… in cruce pro homine…?“ Nr. 2 verwendet er die gleichnamige Zeile aus Mozarts „Ave verum corpus“. Analog dem Verfahren der Parodiemesse verarbeitet er Teile von Mozarts Original. Indem Schachtner die Mozart-Zeile in Krebsform zitiert, erreicht er eine aufsteigende Fragemelodik – eine mögliche Erklärung für das Fragezeichen im Titel seiner Komposition.
Noch weiter zurück greift Christian Gamper in seinem Werk „Iod.ler fantastique“, in dem er die erste Strophe aus dem Hymnus „De Sancto“ aus der Ersten Vesper vom Hochfest Peter und Paul von Tomás Luis de Victoria (1581) verarbeitet. Bei diesem Stück, das einen Bogen von der Volksmusik zur Kirchenmusik spannt, ist der ausgezeichnete Chor der HfKM unter Steven Heelein „ganz bei sich“.
Es folgten Stücke für Chor und Kammerchor von Andrea Oberparleitner („Die Trichter“), Florian Rabl („La Monica“) und René Schützenhofer („Hollawind“). In teils epigrammhafter Kürze und mit Bezügen zu Pop oder eingängigen Motetten zeigten die jungen Komponisten eine Bandbreite modernen Chorschaffens auf, abseits hochartifizieller Vokalmusik: Hier entsteht ein Repertoire geistlicher, aber auch weltlicher Chormusik, das über den professionellen Bereich hinaus aufführbar bleibt.
Drei Tage Neuer Musik in der Kirche – das warf Fragen auf, denen unter anderem eine Diskussionsrunde mit Dominik Susteck, Markus Rupprecht (Orgeldozent an der HfKM Regensburg), Domvikar Msgr. Werner Schrüfer (Leiter des Referats Liturgie – Kirchenmusik – Kunst des Bischöflichen Ordinariats Regensburg und Künstlerseelsorger), Steven Heelein (Professor für Dirigieren mit dem Schwerpunkt Chorleitung an der Hochschule für Evangelische Kirchenmusik in Bayreuth) sowie dem Gründungsmitglied und Vorsitzendem von „Unternehmen Gegenwart“, Josef Ramsauer, nachging.
Moderator Juan Martin Koch, Chefredakteur der neuen musikzeitung, stellte die Frage nach den Trennungslinien zwischen liturgischer Gebrauchsmusik auf der einen und einer neuen Kirchenmusik auf der anderen Seite, aber auch nach der zwischen Pop, Rock und Neuer Musik in der Kirche. Im Gespräch stellten sich die drei Säulen heraus, in deren Spannungsfeld die Beteiligten agieren: Kunst, Neue Musik und Liturgie. Eigentlich sollte jedes Bistum über eine Kunst-Kirche verfügen – analog zum Experimentierfeld Sankt Peter in Köln. Darin war man sich einig. Doch auch im „normalen“ Betrieb in der Gemeinde könne Kunst und Neue Musik ankommen. Im Zweifel müsse man als Kirchenmusiker, so Markus Rupprecht, dem Chor das Neue auf den Leib schreiben.
Der meistgenannte Name in der Diskussion war der des französischen Komponisten Olivier Messiaen. Er wurde als das Ideal eines vollendeten Kirchenmusikers apostrophiert: innovativ und tonangebend in der Neuen Musik, in der Lage, nicht nur weltlich, sondern auch liturgisch zu komponieren und als glühender Katholik auch ein bekennender Komponist.
Die Messlatte für das Unternehmen Gegenwart hängt damit hoch, was aber keine Abschreckung, sondern Ansporn sein sollte.