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Die Pluralität des Dirigierens

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Mannheim wird Dirigierzentrum
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Am 14.10.15 wurde es durch die Wissenschaftsministerin des Landes Baden-Württemberg, Frau Theresia Bauer MdL, öffentlich verkündet: Das Ministerium hat die Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim als Standort für das geplante neue Landeszentrum für Dirigieren in Baden-Württemberg ausgewählt. Mit 20 professionellen Orchestern in der Nachbarschaft – jeweils erreichbar innerhalb einer Stunde Fahrtzeit – und zahlreichen Amateurensembles in der Region ist Mannheim hervorragend für diese Aufgabe geeignet. Dazu kommt die besondere Tradition der historischen „Mannheimer Schule“, die der Entwicklung der Orchesterkultur im 18. Jahrhundert entscheidende Impulse gegeben hat.

Im Hauptfach können die Dirigier-Studierenden zukünftig unter sechs sogenannten „Majors“ wählen: Chor, Sinfonik, Oper, Blasorchester, Jazz und verwandte Stilbereiche sowie Avantgarde. Dazu kommen eine Reihe von Pflicht-„Minors“ innerhalb des Hauptfachs wie beispielsweise Chor bei Major Sinfonik oder Sinfonik bei Major Oper sowie ein sehr vielgestaltiger und umfassender Hauptfach-Wahlbereich.

Ergänzt wird das Studium durch spezielle Lehrveranstaltungen beispielsweise zum Dirigat von Kammerorchestern, Ballett/Tanz und Musical sowie ein besonders breites Angebot an Nebenfächern. Eine hervorgehobene Rolle spielen musikpädagogische und methodische Fragen, da die Studierenden für die Leitung von Amateurensembles wie professionellen Orchestern gleichermaßen befähigt werden sollen.

Jeder der sechs Arbeitsschwerpunkte (Chor, Sinfonik, Oper, Blasorchester, Jazz, Avantgarde) wird zukünftig mit einer W3-Professur besetzt sein. Dazu kommen noch Akademische Mitarbeiter in den Bereichen Korrepetition, Partienstudium, Dirigierpraktisches Klavierspiel sowie Orchestertechnik und Instrumentation (Musiktheorie). Die organisatorische Arbeit wird von einem hauptberuflichen Geschäftsführer geleitet. Auch andere Fachgruppen der Hochschule machen vielfältige Angebote für das neue Dirigierzentrum: So ist beispielsweise Forschung und Lehre zu den Themen „Orchesterleiter, Komponist und/oder Interpret: Zur Funktion des Hofkapellmeisters zwischen Mannheimer Schule und Richard Strauss“ sowie „Abseits der traditionellen Musikpflege – Zur Dirigierpraxis und Interpretation von Kino- und Stummfilm-Musik“ vorgesehen.

Über die Zukunft der Dirigierausbildung

In Kürze sollen in Mannheim innerhalb des neuen Dirigierzentrums drei Professuren ausgeschrieben werden: für Leitung von Blasorchestern, Leitung von Jazz- und verwandten Ensembles und Leitung von Avantgarde-Ensembles. Die bestehenden Professuren von Klaus Arp (Orchesterdirigieren), Harald Jers (Chordirigieren) und Cosima Sophia Osthoff (Operndirigieren/Opernschule) werden natürlich weitergeführt. Anca Vulpe sprach mit diesen Kollegen über die Chancen des neuen Landeszentrums.

Welche Bedeutung hat für Sie die Einrichtung eines Landeszentrums für Dirigieren in Mannheim?

Prof. Harald Jers: Das Landeszentrum für Dirigieren in Mannheim ist bundesweit und meines Wissens in dieser Form auch europaweit einzigartig. Es ist für mich und meine Kollegen eine große Ehre und Herausforderung, am Aufbau dieser Einrichtung in Mannheim beteiligt zu sein.

Prof. Klaus Arp: Die vielseitigen Ausrichtungen der geplanten Dirigierausbildung in Mannheim entsprechen meiner Grundauffassung, dass Studierende nicht nur einseitig für den Kapellmeisterberuf in Theater und Konzert ausgebildet werden können. Das neue Konzept ist auf die realen Möglichkeiten in der Musikszene ausgerichtet, in der Profi- und Laienbereich zunehmend ineinander übergehen.

Prof. Cosima Sophia Osthoff: So haben die jungen Dirigenten optimale Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Sehen Sie für die Studierenden an einem solchen Zentrum gute Möglichkeiten in Mannheim?

Arp: Mannheim liegt im Zentrum der Metropol-region Rhein-Neckar. In Heidelberg, Mannheim und Ludwigshafen gibt es eine große Anzahl von Klangkörpern jeglichen Niveaus, innerhalb von einer Stunde Fahrtzeit können 20 professionelle Orchester und eine Vielzahl von Theatern erreicht werden.

Jers: In Mannheim besteht bereits im Bereich Dirigieren eine sehr gut funktionierende und vorbildhafte Kooperation der Dirigier-Hauptfach-Klassen mit den Schwerpunkten Orchester und Chor. Diese lässt sich sehr gut ausweiten.

Osthoff: Darüber hinaus verfügt die Hochschule über ein ungewöhnlich breites Profil mit Tanz, Jazz und Oper. Letzteres ist für die jungen Dirigenten das schwierigste, aber auch effektivste Feld.

Wie sollte die Arbeit inhaltlich ausgestaltet sein?

Arp: Das Wichtigste ist die richtige Balance der Vernetzung der einzelnen Bereiche, aber auch der Möglichkeit, sich während des Studiums – zumindest zeitweilig – auf einen bestimmten Bereich zu spezialisieren.

Jers: Die Dirigenten benötigen ein breites Hintergrundwissen und zusätzliche praktische Qualifikationen, um sich unterschiedliche Profile und Schwerpunkte immer wieder neu erarbeiten zu können.

Wie würden Sie sich persönlich einbringen?

Osthoff: Als langjährige Kapellmeisterin am Theater und Leiterin der Opernschule der Hochschule kann ich den Studenten all meine Erfahrung vom Theater weitergeben. Ich denke, die Arbeit des Theaterkapellmeisters ist die komplexeste von allen dirigentischen Tätigkeiten.

Arp: Da ich in Oper, Ballett und Musical, in der Sinfonik und der unterhaltenden Orchestermusik, in meiner Studienzeit auch intensiv im Jazz- und Rock-Bereich tätig gewesen, von Haus aus aber auch der Chormusik verbunden bin, sehe ich mich auch als Koordinator dieses Zentrums. De facto werde ich aber in erster Linie im Bereich der Sinfonik unterrichten.

Jers: Gerade in den Bereichen „Systematik der Dirigiertechnik“ und „Methodik der Ensembleprobe“ sehe ich aufgrund meiner Erfahrungen persönliche Stärken, die ich gerne mit den Studierenden teile. Insbesondere meine Forschungsaktivitäten im Bereich der „Akustik von Ensembles“ und die daraus resultierenden praktischen Konsequenzen für die dirigentische Arbeit, die große qualitative Klangverbesserungen ermöglichen, möchte ich gerne den Dirigier-Studierenden vermitteln. Sie sollen intensiv über ihre Dirigententätigkeit reflektieren, indem sie in die systematischen Denkprozesse aktiv eingebunden sind und unter Anleitung eigene Lösungsansätze zu Problemen entwickeln. Hier gilt es noch viele neue dirigentische Aspekte zu entdecken. Einen weiteren Forschungsbereich der Zukunft stellen auch Messungen und systematische Kontrolle der eigenen Dirigierbewegungen sowie deren Wahrnehmung im Ensemble dar. Hier gibt es erste vielversprechende Studien und Projektansätze, die wir weiter verfolgen wollen.

Wie sieht die Zusammenarbeit mit den anderen Schwerpunkten im Dirigierzentrum aus?

Arp: Ein intensiver Austausch unter den Lehrenden aller Bereiche wird dringend notwendig sein, damit man an einem Strang zieht.

Jers: Die ersten Treffen zum Dirigierzentrum verliefen absolut harmonisch und konstruktiv. Wir werden sicherlich zahlreiche Projekte entwickeln, in denen die Pluralität des Dirigierens deutlich wird und die Studierenden die vielfältigen Anregungen aus den Schwerpunkten in ihrer eigenen Arbeit umsetzen können.

Wie wünschen Sie sich die Vernetzung des Zentrums mit den anderen Abteilungen der Hochschule?

Osthoff: Generell wünsche ich mir noch mehr Vernetzung innerhalb der Hochschule. Zum Beispiel würde ich für häufigere abteilungsübergreifende Projekte mit Pianisten, Komponisten und Orches­termusikern plädieren.

Arp: Solisten sind im Dirigierunterricht immer willkommen, da ich das begleitende Dirigieren für eine sehr wichtige Disziplin halte und Solokonzerte wie auch Gesangspartien oft die interessantesten dirigentischen Aufgaben bergen.

Jers: Da Dirigieren ein hohes Maß an Kommunikation und Kooperation mit Kollegen bedeutet, wünschen wir uns diesen Prozess bereits vorbildhaft in der Hochschule. Bei gegenseitiger Akzeptanz und Respekt für die kollegiale Arbeit steht einer effektiven Zusammenarbeit nichts mehr im Wege.

www.muho-mannheim.de

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