Es ist ein Semester wie keines zuvor an deutschen Musikhochschulen: Verspätet und ohne Präsenzunterricht begonnen, läuft es mittlerweile unter den erschwerten Bedingungen, die von der Corona-Pandemie vorgegeben werden. Aber wie läuft es ? Antwortversuche.
Es war eines der merkwürdigsten Videos dieser merkwürdigen Wochen: Da spielte – per Online-Zuschaltung sichtbar – eine Studienbewerberin in Tokio an einem Flügel; ferngesteuert bewegten sich praktisch synchron dazu die Tasten an einem entsprechend ausgerüsteten Instrument an der Freiburger Musikhochschule. Schon seit einiger Zeit beschäftigt man sich dort mit den pädagogischen, künstlerischen und wissenschaftlichen Einsatzmöglichkeiten des Disklaviers und vollzog nun angesichts der pandemiebedingt eingeschränkten Reisemöglichkeiten einen logischen Schritt: dessen Einsatz für Vorspiele im Rahmen von Eignungsprüfungen, die aus China und Japan per hochaufgelösten MIDI-Dateien in Echtzeit nach Freiburg übertragen werden konnten – analoge Klangpräsenz mit digitaler Hilfe.
E-Pianos und Strohrum
In den meisten anderen Bereichen der Hochschullehre konnte auf derlei ausgetüftelte Techniken nicht zurückgegriffen werden. Da waren Studierende schon froh, wenn ihnen – wie etwa in Köln und Lübeck geschehen – während der Zeit des kompletten Lockdowns E-Pianos für das häusliche Üben zur Verfügung gestellt wurden. Mit komplexen Hygienekonzepten bis hin zum pragmatischen Einsatz von Strohrum zur Tasten-Desinfektion konnte dann an einigen Häusern schon ab Anfang/Mitte Mai der Übebetrieb wieder aufgenommen werden. Stück für Stück lief schließlich auch der Einzelunterricht wieder an und mit speziellen Konzertformaten, per Stream im Netz oder live an der frischen Luft, versuchten die Hochschulen künstlerisch präsent zu bleiben.
Der überwiegende Teil des Lehrbetriebs musste jedoch in den digitalen Raum verlegt werden. Übereinstimmend ist von den Hochschulen zu hören, dass hier in kurzer Zeit mit viel Kreativität und persönlichem Einsatz Beachtliches auf die Beine gestellt wurde. Auch von Studierendenseite wird das Engagement anerkannt. So gibt Thomas Topalis vom AStA der Stuttgarter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst die Einschätzung ab, die E-Learning-Angebote hätten, von vereinzelten Schwierigkeiten mit einer Software für Online-Konferenzen abgesehen, insgesamt recht gut geklappt.
Umfrage zur Distanzlehre
Einen genaueren Blick wollte Prof. Dr. Oliver Krämer, amtierender Rektor der Hochschule für Musik und Theater Rostock auf das Thema werfen. Er hatte über die erste Umfrage unter Lehrer*innen allgemein bildender Schulen in der Corona-Krise gelesen und erarbeitete auf dieser Basis eine „Dozierendenbefragung zur Distanzlehre an Musikhochschulen in der Corona-Krise“. Diese wurde mit gutem Rücklauf an der HMT Rostock, an den Berliner Hochschulen Hanns Eisler und UdK sowie an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg durchgeführt.
In ihrer auf der Homepage der Rostocker Hochschule veröffentlichten Auswertung fördern Oliver Krämer und Helen Hammerich, wissenschaftliche Mitarbeiterin, ein zweigeteiltes Bild zutage: Einerseits empfindet die Mehrheit der Befragten die technische Ausstattung der Hochschulen als nicht ausreichend, gibt einen erhöhten Vorbereitungsaufwand an, empfindet die Online-Lehre als erhöhte psychische Belastung und insbesondere die künstlerisch Lehrenden sehen die Online-Lehre überwiegend kritisch. Andererseits gibt aber der Großteil der Befragten an, trotz allem gut zurechtzukommen und auch in der Krisenzeit in gutem Kontakt zu ihren Studierenden zu stehen.
Im Gespräch räumt Oliver Krämer ein, mit der Umfrage möglicherweise die Stimmung nach den ersten Erfolgserlebnissen eingefangen zu haben, nach dem Motto: „Da kann man was machen!“ Es sei ein „hohes Maß an Veränderungsbereitschaft“ bewiesen worden, und auch er selbst habe im Umgang mit den Medien Dinge gelernt, die er sonst nicht gelernt hätte. Im Augenblick kippe die Gemütslage ein Stück weit, weil man sich darauf einstellen müsse, dass die Einschränkungen noch eine geraume Zeit bestehen bleiben könnten und dass man möglicherweise immer wieder phasenweise in Online-Formate werde wechseln müssen. Umso wichtiger werde es sein, an diesen Unterrichtskonzepten weiterzuarbeiten und den universitären Geist des gemeinsamen Lernens ein Stück weit in die kommenden Semester hinüberzuretten.
Zukunftsperspektiven
Ein wenig Mut machen in diesem Zusammenhang weitere Zahlen aus der Umfrage: „53 % der Hochschullehrenden wollen digitale Lernformate auch über die Krise hinaus häufiger nutzen […] Verbesserungsbedarf besteht aus Sicht der Lehrenden vor allem bei der technischen Ausstattung der Studierenden (59 %) und der Hochschulen (50 %). Aber auch die Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses von digitaler Hochschullehre wird immerhin noch von 45 % der Lehrenden als wichtig für die Zukunft erachtet, wohingegen die grundsätzliche Bereitschaft, digitale Medien einzusetzen, als vergleichsweise geringes Problem angesehen wird (22 %).“ Bedenklich ist hingegen, dass 36 Prozent der Lehrenden über das aktuelle Semester hinaus von „bleibenden Lernrückständen bei den Studierenden“ ausgehen.
Oliver Krämer verweist darauf, dass die Online-Lehre bisher – aus dem verständlichen Wunsch heraus, den Kontakt mit den Studierenden aufrechtzuerhalten – mehrheitlich darin bestand, herkömmliche Unterrichtssituationen digital zu spiegeln. Potenzial sieht er für die Zukunft in Formaten, die auch ohne persönlichen Kontakt und asynchron funktionieren.
Die Sicht der Studierenden
Wie die Studierenden selbst die digitale Lehre einschätzen, soll eine weitere Umfrage klären, die derzeit noch läuft. Sie hatten im Corona-Semester darüber hinaus mit ganz handfesten materiellen Problemen zu kämpfen, fielen doch bezahlte Auftrittsmöglichkeiten und andere Einnahmequellen weg. Hier stellten einige Hochschulen mittels Spendenaufrufen, Hilfsfonds und anderen Aktionen unbürokratische Hilfe auf die Beine. Andere drängende Themen spricht Thomas Topalis vom Stuttgarter AStA an: die Schwierigkeit, den nicht durch Online-Formate zu ersetzenden Unterricht in Ensemblefächern nachzuholen etwa, oder die unbedingt notwendige Streckung des Prüfungszeitraums, einschließlich einer zweiten Phase nach der Sommerpause. Mit ihrem Vorstoß, nach österreichischem Vorbild ein optionales Semester („Kann-Semester“) einzufordern, waren die ASten der baden-württembergischen Musikhochschulen nicht weitergekommen. Thomas Topalis erkennt aber an, dass sich Wissenschaftsministerin Theresia Bauer mit den Anliegen der Studierenden auseinandersetze, was auch eine Online-Konferenz zeige, zu der sie kürzlich eingeladen hatte.
Was die Eignungsprüfungen betrifft, so ergibt sich ein uneinheitliches Bild, worauf Oliver Krämer verweist: Während einige Hochschulen zeitnah auf Videoformate setzen, was zum Teil zu höheren Bewerberzahlen führt, wurden sie anderenorts nach hinten verschoben – in der Hoffnung, sie live durchführen zu können, und mit dem Risiko, dass manche vielversprechende Kandidat*innen dann schon mit einem Studienplatz versorgt sein werden. Insgesamt geht er davon aus, dass die Hochschulen es in der kommenden Zeit mit zweierlei zu tun haben werden: „Wir werden im Umgang mit den Medien besser werden, neue Formate und Materialien entwickeln müssen. Aber wir werden auch die Momente als etwas Besonderes feiern, wo Präsenz geht.“
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