Axel Köhler übernimmt im Herbst das Amt des Rektors der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden. Bislang kennt man ihn als gefeierten Counter-Tenor, als impulsiven Sänger-Darsteller sowie als Intendant und Regisseur. Michael Ernst sprach mit dem Künstler über seinen neuerlichen Rollenwechsel und seine Pläne.
Herr Köhler, was hat Sie bewogen, sich von der Bühne weg an eine Hochschule zu bewerben?
Ich habe 1984 in Halle mit „Ein Glas Wasser“ als Arthur Masham begonnen, also steht jetzt im Sommer mein 35-jähriges Bühnenjubiläum an. Außerdem habe ich etwa fünfzig Inszenierungen verantwortet, daher denke ich, jetzt ist ein guter Zeitpunkt erreicht, noch einmal etwas ganz Neues zu machen. All meine in dieser Zeit gesammelten Erfahrungen - auch die als Intendant - sollte man ganz gut bündeln können, um sie jetzt dem Nachwuchs und der Förderung desselben anheim zu stellen, wenn man Rektor eines solchen Institutes wird.
Keine Sorge, dass Sie nun von der lebendigen Kunst in eine administrative Verwaltungsposition geraten?
Nein, weil mir administrative Beschäftigung auch großen Spaß macht, denn da gibt es sehr viel zu gestalten. Gerade an der Hochschule ist es wichtig, dass man richtungsgebend arbeitet und sie so prägt, dass die Hochschule nach außen hin eine optimale Wirkung entfalten kann. Trotz einer gewissen Gremiokratie, bei der Entscheidungen eher zu moderieren sind.
Momentan stehen Sie im Spagat. Was ist Ihr derzeitiger Berufsstand: Rektor in spe, Regisseur auf Abruf, Sänger-Darsteller mit neuer Zukunft …?
Im Moment bin ich Ensemblemitglied der Staatsoperette Dresden, als Sänger und Regisseur. Natürlich beginne ich langsam aber sicher, mich einzuarbeiten, fühle mich mit meiner Identität jedoch noch sehr an der Operette verwurzelt. Insofern ist das alles eine Übergangszeit, in der ich schon vorbereitend für die Hochschule tätig bin, aber ich sehe mich nicht im Spagat. Es ist eine Zeit des Umbruchs.
Führungsqualitäten haben Sie als Intendant in Halle unter Beweis stellen müssen. Eine Voraussetzung für das künftige Amt als Rektor?
Die Hochschule ist längst nicht solch ein hierarchisches Gebilde wie ein Theater, dennoch ist es wichtig, dass man als Führungspersönlichkeit dasteht und als Partner wahrgenommen wird.
Wie wichtig sind dabei Ihre vielseitigen Praxiserfahrungen als Sänger und Regisseur, als Solist und Ensemblemitglied?
Diese Erfahrungen sind Gold wert, denn ich kann mich dadurch hineinversetzen in die Lage all derjenigen, denen ich etwas anweisen muss. Eine Entscheidung, von der erwartet wird, dass alle sie mittragen - das passiert einem als Ensemblemitglied ständig. Ich glaube, dass ich emphatisch genug bin, um zu wissen, wie es denen geht, die eine Entscheidung zu befolgen haben, die sie vielleicht so nicht getroffen hätten, die aber im Sinne des Ganzen mitzutragen ist. Auf der anderen Seite muss man als Regisseur natürlich ständig entscheiden, Tausende Entscheidungen am Tag, die immer sofort umgesetzt werden müssen. An der Schule ist das etwas anders, dort haben die Entscheidungen einen längeren Weg und es gibt für den Rektor auch nicht die Entscheidungsgewalt über alles. Hier sind Gremien wie Senat, Erweiterter Senat, Fakultätsrat, verschiedene Berufungskommissionen und und und dafür zuständig.Die Verantwortungen ruhen also durchaus auf mehreren Schultern und können neben den gesetzlichen Vorgaben vor allem durch gute Kommunikation definiert werden. Ich möchte als Rektor wissen, was macht der Dekan, was macht der Fachdekan, der Fakultätsratsvorsitzende, der Prorektor und so weiter. Deshalb halte ich die Kommunikation für das Allerwichtigste. Man muss sprechen, man muss zuhören. Das habe ich vor.
Wie werden die Studiosi von Ihren künstlerischen Berufswegen profitieren können?
Der Rektor hat trotz aller Richtlinienkompetenz keinen direkten Zugriff auf die Lehre. Dennoch möchte ich meine diesbezüglichen Erfahrungen einbringen. Das geht natürlich nur gemeinsam mit den Leitern der entsprechenden Fachrichtungen. Ganz sicher hilft mir meine Berufserfahrung, die Probleme an der Hochschule zu verstehen und hoffentlich auch zu lösen. Als Sänger und Intendant habe ich ja mit all dem zu tun gehabt, was auf die Studierenden einmal zukommen wird. Ich glaube also, dass ich mich da gut einfühlen kann.
Was sind Ihre persönlichen Prioritäten für die künftige Tätigkeit?
Ich habe die Aufgabe, mit allen an der Hochschule Tätigen so zusammenzuarbeiten, dass die von mir als Rektor entwickelten Ziele für die Hochschule auch erreicht werden. Es gibt ganz konkret eine große Herausforderung für die Schule, der in den nächsten drei Jahren bevorstehende Demografiewandel. Etwa ein Drittel der hauptamtlich Lehrenden wird in den Ruhestand treten. Da dies nahezu sämtliche Fachgebiete betrifft, es also eine Menge Neuberufungen geben wird, steht uns ein spannender Prozess bevor, der auch eine große Chance birgt. Denn genau in dieser Zeit kann versucht werden, zielgerichtet nicht nur das rein Fachliche in der Berufung zu finden, sondern auch das Profilgebende, das Internationale. All das muss bis dahin in den Gremien erörtert und vorbereitet werden.
Wie sehen Sie die Hochschule derzeit aufgestellt?
Unsere Hochschule orientiert sich auf allen Gebieten der Lehre und Forschung an den Exzellenzkriterien. Aber einige Bereiche sind noch in etwa so aufgestellt, wie es nach der Wende begonnen hat. Natürlich gibt es durch die Bologna-Reform große Veränderungen, das ist klar. Aber intern sehe ich in dem bereits erwähnten Demografiewandel eine Chance, die Schule bedarfsgerechter und zukunftsfähiger auszurichten, also auch wesentlich marktorientierter.
Neben der weiteren Profilierung der Künstlerischen Lehre, der Wissenschaft und der Forschung ist die Lehramtsausbildung dabei ganz wichtig. Man hatte in jüngster Zeit versäumt, dass genügend Lehrkräfte für die Grundschulen und Gymnasien ausgebildet werden, dieser Strang ist also sehr bedeutsam für unsere Hochschule, ebenso die Gesangs- und Instrumentalpädagogik. Die Musikschulen müssen Nachwuchs bekommen, damit die regionalen Talente besser gedeihen können - aber gleichzeitig muss die Dresdner Hochschule auch im internationalen Kanon der Ausbildungsinstitute wieder mehr zu sagen haben.
Haben Sie da schon Ideen, welche Ansätze Sie da setzen wollen?
Habe ich, aber darüber kann und möchte ich mich jetzt noch nicht äußern, weil ich das erst intern besprechen möchte.
Die Hochschulausbildung hat von Bologna nicht nur Vorteile gehabt, sondern zum Teil auch darunter gelitten. Sehen Sie es auch so?
Die Bologna-Reform, der Ersatz des Diploms durch Bachelor und Master, hatte ja eigentlich das Ziel, dass die Schulen international kompatibler werden, dass man in Spanien beginnen und zum Beispiel hier fortsetzen kann und die Anschlussmodulpunkte findet. Das geht aber in den Kunsthochschulen so nicht auf, jedenfalls nicht hundertprozentig, da vieles gar nicht anerkannt wird. Das hat die Sache also nicht unbedingt leichter gemacht. Jetzt aber wieder zurückzurudern zu den Diplom-Studiengängen, würde bedeuten, dass man erstens die gesamte Verwaltungsarbeit dieser Umstellung vernichten würde und sich zweitens noch mehr isolieren würde. Denn die meisten anderen Kunsthochschulen sind ja auch auf Bachelor und Master orientiert. Vielleicht sollte stattdessen überlegt werden, die Bologna-Reform zu reformieren, sicher finden sich Ansätze, sie zu optimieren.
Unter den Bedingungen eines praxistauglichen Studienalltags und internationaler Vergleichbarkeit?
Dafür gibt es die Rektorenkonferenzen und Kommissionen, die sich damit befassen. Ich denke, auch hier geht es wieder um möglichst gute Kommunikation. Wenn man Ideen hat, muss man sie in solchen Gremien vortragen und versuchen, Leute zu gewinnen, die diese Ideen mitvertreten, um dieses System weiter voranzubringen und es so zu optimieren, dass die Studenten was davon haben. Für mich ist erst einmal die interne Befriedung der Atmosphäre sehr wichtig, das Zusammenrücken der beiden Fakultäten und der Lehrenden, die in den vergangenen zwei Jahren total überflüssige Animositäten aufgebaut haben. Der Prozess der Internationalisierung geht weiter, auf jeden Fall, aber das A und O ist erst einmal die interne Arbeit.
Sehen Sie Ihren künftigen Posten durch Ihre – um es vorsichtig zu formulieren – umstrittene Vorgängerin beschädigt, die im Frühjahr 2018 zurückgetreten ist, nachdem sie sich bereits während ihrer Amtszeit - erfolglos - als Dezernentin nach Trier beworben hatte?
Ich möchte mir nicht anmaßen, von einer Beschädigung des Amtes zu sprechen. Die künstlerische Arbeit der Schule funktioniert, das ist, was ich hier wahrnehme. Solche Interna haben natürlich Auswirkungen auf die Atmosphäre, auf die Stimmung, nicht aber auf die Qualität der Lehre und des Studiums. Meine Aufgabe ist es, dem Rektorenamt das Ansehen zu verleihen, das es verdient. Und das kann man nur durch Arbeit machen.
Wie soll der dadurch entstandene Graben wieder geschlossen werden?
Ich weiß gar nicht, ob man das einen Graben nennen kann. Es gibt spürbare Irritationen am Haus, vielleicht eine gewisse Skepsis gegenüber einem praxisorientierten Rektor, weil damit möglicherweise Musikwissenschaft, Lehramt und Pädagogik in ihrer Wichtigkeit nicht so wahrgenommen werden könnten. Das kann ich aber nicht nachvollziehen, denn Praxis ist doch für alle wichtig, egal ob man Künstler werden möchte oder Musikwissenschaft oder Lehramt studiert - alle gehen irgendwann dahin, wo sie ihre Profession ausüben werden. Praxisbezogenheit ist natürlich ein Credo von mir, aber für alle Abteilungen. Ich glaube schon, dass ich mich da konstruktiv einbringen kann.
Was meinen Sie, wie sieht das Profil des Hauses in zwei, drei Jahren aus?
Die Hochschule wird international an Profil gewonnen haben, sie wird sich intern verändert haben, einen Prozess der Digitalisierung erleben, weiter und tiefer in der regionalen Nachwuchsförderung vernetzt sein, noch enger mit dem Landesgymnasium, dem Heinrich-Schütz-Konservatorium und allen anderen Kooperationspartnern zusammenarbeiten. Ich habe vor, die Kooperationswilligkeit der umliegenden Institute weiter zu vertiefen, neben der Staatskapelle und der Philharmonie also auch mit der Staatsoperette und anderen. Ich hoffe, dass die Hochschule innerlich geeint ist und nach außen glanzvoll dasteht, um wieder mehr regionalen Nachwuchs zu generieren, und dabei trotzdem ein internationales Flair verbreitet.
Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Haben Sie nicht Angst, dass Ihnen was fehlen wird?
Diese Frage ist mir schon mehrfach gestellt worden. Als ich 2012 aufgehört habe, Countertenor zu sein, hat es mir nicht eine Sekunde gefehlt, weil ich so viele andere Dinge zu tun hatte, die zukunftsträchtig waren - inszenieren, die Intendanz in Halle; als ich damit aufgehört habe, kam wieder die Frage. Und auch da fehlte mir nichts, denn dann ging’s an die Staatsoperette mit vielen neuen Aufgaben. Jetzt freue ich mich so sehr auf dieses neue Amt, um mit den Menschen zu arbeiten, zu kommunizieren und zu gestalten, dass ich mir sicher bin, dass mir nichts fehlen wird. Regie will ich in Zukunft nicht mehr führen, sonst wäre ich sechs Wochen weg vom Haus, und das ist genau das, was die Hochschule überhaupt nicht gebrauchen kann. Mir fällt das Aufhören definitiv nicht schwer und ich freue mich wahnsinnig auf den Anfang.
Interview: Michael Ernst