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Erweiterung akademischer Musikausbildung

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Die Musikhochschule Lübeck öffnet sich für Fach- und Breitenqualifizierung
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Landesweit fehlen Fachkräfte für den Musikunterricht, die in der Lage sind, Kinder und Jugendliche umfassend für musikalische Betätigung zu begeistern. In Schleswig-Holstein hat ein Konsortium aus fünf Institutionen nun vereinbart, diesen Mangel professionell zu regulieren. Unter der Ägide und mit Finanzierung der Landesregierung wurde 2021 das Kompetenzzentrum für musikalische Bildung in Schleswig-Holstein (KMB.SH) gegründet. Ein wichtiges Ziel ist, durch berufsbegleitende Weiterbildungsangebote Fachkräfte aus pädagogischen und sozialen Berufen musikalisch nachzuqualifizieren und über akademische Abschlüsse an der Musikhochschule Lübeck (MHL) das Land besser mit qualifizierten Lehrenden zu versorgen.

Akademische Lehrkräftebildung

In Zeiten des Fachkräftemangels kann es einem Erzieher oder einer Sozialarbeiterin beim Pfeifen einer Melodie passieren, dass sie spontan gefragt werden, ob sie nicht auch Musik unterrichten können. Der Bedarf an Lehrenden ist offenbar immens: in Kindergärten, ebenso wie in Jugendeinrichtungen und auch an den 22 Musikschulen im VdM (Verband deutscher Musikschulen) in Schleswig-Holstein, wo die frühkindliche musikalische Bildung ab einem Alter von sechs Monaten beginnt.

Isabelle Hekala, Geigen- und Bratschenlehrerin, studiert „Elementare Musikalische Bildung“ (EMB) mit dem Ziel Diploma of Advanced Studies (DAS). Dieses Weiterbildungsstudium startete als Pilotprojekt im Oktober vergangenen Jahres am KMB.SH. Hekala interessiert sich besonders für „altersgemäße Methoden und Materialien zur Musikvermittlung“. Sie erläutert: „Diese sind zur Erweiterung meines beruflichen Kontextes notwendig, wenn ich zum Beispiel eine Gruppe mit Vorschulkindern unterrichten will.“ Zum Erwerb einer solchen Expertise in der musikalischen Bildung außerhalb der Regelschule fehlte bisher ein Konzept und ein Curriculum zur Qualifizierung – erst recht auf akademischem Niveau.

Das Weiterbildungsstudium EMB will genau dort ansetzen und ist mit seinem Status akademischer Lehrkräftebildung in Deutschland bisher einzigartig. Hier können berufstätige Studierende jetzt in modularer Studienstruktur entweder ein Certificate of Advanced Studies (CAS / 10 ECTS*) oder ein Diploma of Advanced Studies (DAS / 50 ECTS) erwerben. Auch ein Master ist im Weiterbildungsstudium EMB möglich, der zunächst akkreditiert werden muss.

Im Unterschied zu Vollzeit-Studierenden, die nach ihrer theoretischen und praktischen Ausbildung zunächst stundenweise unterrichten, kommen EMB-Studierende mit individueller, meist jahrelanger Praxiserfahrung aus verschiedenen Berufen in das berufsbegleitende EMB-Weiterbildungsstudium. Es vermittelt systematisch relevante Grundkenntnisse und deren Anwendung für bestimmte Zielgruppen. Als finanzielle Unterstützung für das kostenpflichtige Weiterbildungsstudium gibt es Bildungsurlaub, Stipendien oder einen Weiterbildungsbonus „Pro“.

Kompetenzen und Gruppendynamik

Während Vollzeit-Studierende eine anspruchsvolle Eignungsprüfung bestehen müssen, sind die Hürden für EMB-Studierende niedriger gelegt, erklärt Marno Schulze, Professor für Elementare Musikpädagogik. Er hat das Weiterbildungsstudium EMB konzipiert: „Das Aufnahmeverfahren basiert eher auf Beratung der Interessierten. Wir geben Empfehlungen, denn die Teilnehmenden müssen für ihre Weiterbildung bezahlen und viel Kraft und Ausdauer neben ihrer regulären Arbeit investieren. Wenn wir nach dem sogenannten „Orientierungswochenende“, bei dem alle Dozierenden das Studienangebot vollumfänglich vorstellen, der Meinung sind, dass Bewerberinnen oder Bewerber ungenügende fachliche Voraussetzungen haben, raten wir von einer Teilnahme ab. Wer allerdings aufgenommen wird und ein DAS erhält, bekommt eine Lehrbefähigung in Schleswig-Holstein und kann an einer der Musikschulen des Landes angestellt werden. Das KMB.SH bündelt somit Ressourcen und schafft Synergien. Die Musikschulen sind von den Perspektiven schon ganz begeistert.“ Notwendige Kompetenzen sind Notenkenntnisse, das Spiel eines Instruments und eine grundlegende Musikalität, die Rhythmusgefühl, Bewegungstalent und die Fähigkeit zum Singen einschließt. Die EMB-Klasse aus aktuell zwölf Personen ist heterogen: Es sind Instrumental- und Gesangslehrende und andere Fachkräfte aus pädagogischen Berufen wie Erzieherinnen und Heilpädagogen dabei. Weil die Kompetenzen entsprechend individuell verschieden sind, ist ein fundamentales Ziel, gegenseitige Unterstützung (peer to peer learning) zu üben. „Unsere Gruppe ist wichtig und spannend für Austausch und Interaktion. Wir profitieren sehr voneinander“, meint der EMB-Weiterbildungsstudent und Diplom-Pädagoge Jan Hendrik Engel.

Akzente und Formate

Die fachliche Profilierung der Studierenden erfolgt über die Querschnittsthemen Popularmusik, Musikvermittlung und Digitalisierung. Während die Inhalte mit dem Vollzeitstudium vergleichbar sind, gibt es hier andere Akzente: Im Modul „Musikalische Praxis“ etwa ist angewandtes Gitarren- oder Klavierspiel (Improvisation und Liedbegleitung) wichtiger als Virtuosität, Werkanalyse ist der Didaktik untergeordnet, Singen und Perkussion haben eine herausragende Funktion. Bewegungskomponenten inklusive zeitgenössischer Tanz sind stark vertreten, mit der Absicht, Kinder später für Bewegung und Rhythmus sensibilisieren zu können. Unerlässlich ist es, ein Lied analysieren, singen und eine Begleitung dazu schreiben zu können. Ihren Unterricht für die elementare Spielpraxis an Begleitinstrumenten erhalten die Weiterbildungsstudierenden, die aus ganz Schleswig-Holstein kommen, an der Musikschule an ihrem Wohnort. Diese Dezentralisierung der Ausbildung hat den zusätzlichen positiven Effekt, dass die Teilnehmenden ebendort Referendarstunden unter Aufsicht von Kontaktlehrenden leisten, wo sie möglicherweise später übernommen werden können. „Wir machen in den Musikschulen Werbung für unsere EMB-Lehrkräfte, das KMB.SH-Netzwerk ist schon jetzt sinnvoll und effektiv“, resümiert Marno Schulze.

Vierundzwanzig Dozierende verschiedener Fachbereiche unterrichten im Laufe der gut eineinhalb Jahre und stellen das Weiterbildungsstudium EMB auf ein breites Fundament. Neben Projektleiter Marno Schulze (Elementare Musikpädagogik) zählen unter anderem Corinna Eikmeier (Musikpädagogik), Lars Opfermann (Musik hören, verstehen und gestalten), Elisabeth Pelz (Bewegung und Musik), Heide Bertram (Vokales Gestalten) und Jonathan Shapiro (Perkussion) zum Dozierendenteam.

Das Weiterbildungsstudium findet neben der normalen Arbeitszeit der Teilnehmenden statt, sodass deren Zeitmanagement bei der Curriculum-Planung zu berücksichtigen ist. Deswegen gibt es neue Formate: Bei zwei Intensivwochen am Nordkolleg Rendsburg und monatlichen Studienwochenenden in der MHL begegnen sich die Studierenden vis-à-vis in Präsenzveranstaltungen. In Online-Seminaren treffen sie sich wöchentlich mehrmals im digitalen Lernraum und können mit Videovorlesungen auch asynchron lernen.

„Politisch explizit gewünscht ist eine breitere Aufstellung der musikalischen Bildung, neue Zielgruppen sollen erreicht und die akademische Lehre soll durchlässiger gestaltet werden. Es gelten die Prinzipien „Lebenslanges Lernen“ und die „Ausdehnung musikalischer Partizipation“, erklärt Thomas Flömer, Referent für akademische Weiterbildung der Musikhochschule Lübeck. Er gehört zum KMB-Kernteam, das unter der Leitung von Hartmut Schröder (Landesmusikrat) gemeinsam mit der QM-Mitarbeiterin der MHL auch die Evaluation der Pilotphase bis Ende 2023 durchführt, um so die Grundlage zur Verstetigung des EMB-Projekts zu schaffen. Als großen Erfolg wertet er, dass bereits sechs Monate nach dem Start des KMB.SH das erste Studienangebot zur Verfügung stand.

Musik in der Sozialen Arbeit und Community Music

Für ein weiteres Angebot des KMB.SH hat Annette Ziegenmeyer, Professorin für Musikpädagogik, das Weiterbildungskonzept „Musik in der Sozialen Arbeit / Community Music“ entwickelt. Es resultiert aus ihren Erfahrungen mit Fachkräften, die in der Sozialen Arbeit mit Jugendlichen die hohe identitätsstiftende Wirkung von Musik erleben konnten und ist vom Umfang her deutlich kleiner (CAS / 15 ECTS) angelegt als EMB. „Es fehlt oft an Basiswissen und Selbstbewusstsein, damit Fachkräfte aus der Sozialen Arbeit Musikangebote für Jugendliche selbst entwickeln und durchführen können, zum Beispiel mit einem Workshop zum ‚Songwriting‘ wie wir ihn mit Jugendlichen der Arrestanstalt Moltsfelde gemacht haben“, erläutert Ziegenmeyer. „Musik verbindet und steigert die Lebenszufriedenheit. Kreative Aktivitäten sind besonders gut geeignet, um eigene Ausdrucksmöglichkeiten zu erkennen und sich hier auch als selbstwirksam zu erleben sowie die Integration zu stärken. Menschen in der Sozialen Arbeit wissen in höchstem Maße, wie man vorhandene Ressourcen mobilisieren und im jeweiligen Kontext optimal nutzen kann. Wesentlich ist dabei, Musik aus den Ressourcen einer Gruppe entwickeln zu können.“ Die Weiterbildung „Musik in der Sozialen Arbeit / Community Music“ vermittelt entsprechende Kenntnisse. „Unser Ziel ist es, Musik in der Sozialen Arbeit nutzbar für die Erfahrungsräume von insbesondere jungen Menschen zu machen“, erklärt Ziegenmeyer.

Auch für diese einjährige Qualifizierung, die im Oktober 2022 starten soll, sind besondere Formate geplant: Im Nordkolleg Rendsburg werden Grundlagen der Musizierpraxis in Gruppen innerhalb einer Präsenzwoche vermittelt, weiterer Unterricht findet zu zwei Dritteln digital und zu einem Drittel in Präsenz an der MHL statt. Außerdem ist im Wintersemester 22/23 eine Online-Ringvorlesung zu Fachthemen mit zwölf verschiedenen Expertinnen und Experten geplant.

Mit diesen neuen Angeboten des KMB.SH wird die akademische Wirklichkeit „mehrdimensional“, wie MHL-Präsident Prof. Rico Gubler nicht ohne Stolz verkündet. Die interne Fachspezifik wird von außen um berufs- und lebenspraktische Erfahrungen erweitert, erlangt so gesellschaftliche Nähe, und die MHL selbst wird in ihren Strukturen durchlässiger und bindet ihre neuen Zielgruppen nahtlos in Übergänge ein: von den Grundlagen der Früherziehung bis hin zur professionellen Musikpädagogik.

KMB – Kompetenzzentrum für musikalische Bildung Schleswig-Holstein (www.kmb.sh)

Gefördert vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (MBWK)

Partner-Institutionen und Personen:

Vorstand
• Musikhochschule Lübeck
(https://www.mh-luebeck.de/studium/fort-weiterbildung/), Präsident: Prof. Rico Gubler
• Landesmusikrat Schleswig-Holstein
(www.landesmusikrat-sh.de),
Geschäftsführer: Hartmut Schröder
• Nordkolleg Rendsburg (www.nordkolleg.de), Akademieleiter und Geschäftsführer:
Guido Froese
• Institut für Qualitätsentwicklung in Schleswig-Holstein (www.schleswig-holstein.de/DE/landesregierung/iqsh_node.html) = IQSH,
Studienleiterin: Sabine Hoene
• Musikschulen in Schleswig-Holstein
(https://musikschulen-sh.de),
Geschäftsführerin: Dr. Rhea Richter


Kernteam
• Koordination und Teamleitung: Hartmut Schröder (Landesmusikrat)
• Assistent Teamleitung: Sebastian Borleis (Landesmusikrat)
• Fachreferentin: Cosima Dinner (Nordkolleg)
• Bildungsreferent: Matthias Edeler (Landesverband der Musikschulen)
• Referent für Akademische Weiterbildung: Thomas Flömer (Musikhochschule Lübeck)

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