Das Fehlen professionalisierter Ausbildung von Librettisten und Opernkomponisten stellt ein eklatantes Problem für die Zukunft der Kunstform Oper dar. Um hier Abhilfe zu schaffen, hatten New Opera Dialogues und HfMDK Frankfurt vom ersten bis dritten November Opernautoren, Lehrende und Vertreter von Opernhäusern zu einer internationalen Konferenz nach Frankfurt eingeladen. Die Teilnehmer waren sich einig, künftig die internationale Zusammenarbeit zwischen den wenigen bereits bestehenden Programmen auszubauen, und neue, umfassende Studiengänge und Ausbildungsprogramme für Librettisten und Opernkomponisten schaffen zu wollen.
Freiräume, Schutzräume, Trainingsräume
Die Zukunft des Films sind die Filme der Zukunft. Auf dass diese eines Tages entstehen mögen, kann man schon heute das Drehbuchschreiben studieren – kann sich spezialisieren auf Filmmusik, auf Kamera und Schnitt. Ähnliches gilt für die bildende Kunst, für die Literatur. Nur die Oper scheint keine Zukunft zu erhoffen. Wie sonst ließe sich erklären, dass nirgends in Mitteleuropa, in Deutschland nicht und auch sonst, von Schweden bis Italien, Librettisten und Opernkomponisten systematisch ausgebildet werden? Die Zukunft der Oper, so scheint es, fällt aus.
Gemeinsam mit der HfMDK Frankfurt und in Zusammenarbeit mit der HMTM Hannover und der Hessischen Theaterakademie hat New Opera Dialogues daher ihren fünften Dialog dem Problem der in Kontinentaleuropa fehlenden professionalisierten Ausbildung der Musiktheaterautoren gewidmet.
New Opera Dialogues (NOD) wurde 2018 maßgeblich von Amy Stebbins und Hauke Berheide begründet und ist heute eine von Künstlern betriebene Initiative zum internationalen Austausch über Ästhetik und Praxis zeitgenössischer Opern und zur Reform der Strukturen des Opernbetriebes, um die Gegenwart wieder selbstverständlich ins Zentrum der Kunstform zu rücken.
Drei Tage lang diskutierten am Institut für Zeitgenössische Musik in der HfMDK Frankfurt Professoren und Lehrende aus den Bereichen Komposition, Librettistik, Regie und Gesang von der Guildhall School of Music and Drama London, MIT, Stanford University, NYU, American Lyric Theater, den Musikhochschulen in Paris, Sydney, Graz, Hamburg, München, Hannover, und Frankfurt sowie freischaffende Künstler und Vertreter von Opernhäusern wie der Oper Island, den Staatstheatern Darmstadt, Wiesbaden, Mainz, der Oper Bonn bis zum Theater Hagen und der Neuköllner Oper.
Zunächst einmal ging es um eine Bestandsaufnahme. Welche Ausbildungsprogramme gibt es bereits weltweit? In den USA beispielsweise ist man da sehr viel weiter. Das American Lyric Theater (ALT) in New York leistet etwa seit Jahren Pionierarbeit. Anders als der Name glauben macht, handelt es sich hierbei um kein traditionelles Theater, sondern um ein großangelegtes Aus- und Fortbildungsprogramm für Opernkomponisten und Librettisten. Seit 2007 ist der Großteil aller US-Amerikanischen Opernautoren durch das „Composer-Librettist-Developement-Program“ des ALT gegangen.
Und das offenbar mit Erfolg: Inzwischen nämlich generieren zeitgenössische (amerikanische) Opern beispielsweise an der Metropolitan Opera 64 Prozent der Ticketerlöse. Zum Vergleich: Laut Statistik des Deutschen Bühnenvereines gehen in Deutschland lediglich 9,7 Prozent der Kartenverkäufe auf das Konto „zeitgenössischer“ Werke – und selbst das ist beschönigte Statistik, werden doch sämtliche nach 1945 uraufgeführten Werke dieser Kategorie zugeschlagen. Deborah Brevoort, Librettistin, Professorin an der NYU und Mentorin am ALT, beeindruckte die Teilnehmer der Konferenz mit der Darstellung des dortigen zweijährigen Programms: Workshops zu den klassischen Stimmfächern, die gemeinsame Analyse von Opern der Gegenwart und deren Entstehungsprozessen, und vor allem handwerkliche Trainingseinheiten zum Schreiben von traditionellen Opernelementen wie Rezitativ, Arie, Ensemble, Chor bilden den Kern. Besonders interessant, wie hier Interdisziplinarität gelehrt wird.
Praktische Konsequenzen
Auch die Komponisten werden in Librettistik trainiert, die Librettisten in Komposition. Und dürfen dann in Workshops als „Regisseure“ die praktischen Konsequenzen ihrer Arbeit am eigenen Leib erfahren. Im nächsten Schritt entstehen, eng begleitet, kleine Einakter, ehe, bei Erfolg, im zweiten Jahr eine abendfüllende Oper zu entwerfen ist. Der amerikanische, sehr pragmatische und handwerkliche Ansatz blieb nicht unwidersprochen. Gerade die deutschen und französischen Vertreter, anwesend waren etwa Moritz Eggert, Ulrich Kreppein, Jérôme Combier und Gordon Kampe, aber auch Vertreter des „Netzwerk Freies Musiktheater“ wie Laris Bäucker, verwiesen auf die Pflicht, Freiräume für junge Künstler zu schaffen, ihnen zu ermöglichen sich auszuprobieren, in Schutzräumen auch Fehler machen zu dürfen. Moritz Eggert erinnerte etwa daran, dass, wer in der harten Realität des Opernbetriebes mit seinem Opernerstling scheitere, in der Regel keine zweite Chance mehr bekomme. Und gerade deshalb, darauf verweist die Librettistin Amy Stebbins, ist eine handwerkliche Ausbildung, wie sie in den Grundlagen für Komponisten ja zumindest angelegt ist, auch für die Librettisten verzweifelt nötig. Beispiele aus Projekten mit Studierenden in Deutschland zeigten dies immer wieder deutlich.
Überhaupt, das Scheitern: Julian Philipps, Komponist, und als Professor Leiter und Begründer des bislang einzigen Masterprogrammes für Librettisten und Opernkomponisten an der Guildhall School of Music in London, versucht, seinen Studierenden die – notwendigen – Irrwege der heute erfolgreichen Werke zugänglich zu machen; der Betrieb habe die Angewohnheit, nach Abschluss der Arbeit an neuen Stücken „die Spuren zu beseitigen“, ganz so, als seien die Meisterwerke perfekt vom Himmel gefallen. Sein Ansatz: Praktika für zukünftige Autoren. Diese sollen assistierend an den kreativen Prozessen älterer Kolleg*innen beteiligt werden. Neben der handwerklichen und ästhetischen Ausbildung legt das Londoner Programm außerdem einen Ausbildungsschwerpunkt mit eigenen Einheiten auf die interdisziplinäre Kommunikation. Der Herausforderung, solche Übersetzerarbeit zu lehren, stellt sich dort die Librettistin Nazli Tabatabai-Khatambakhsh. Ähnlich wie das ALT, bietet Guildhall darüber hinaus die enge Zusammenarbeit mit Opernkompanien.
Plädoyer für Engagement
Die besondere Verantwortung der Opernhäuser für die Betreuung des Entstehungsprozesses neuer Stücke, aber auch der Ausbildung der Autoren unterstrich die Intendantin der Oper Island. Ihrem leidenschaftlichen Plädoyer für mehr Engagement für zeitgenössisches Musiktheater, für die Schaffung von Strukturen an Opernhäusern für zukünftige Opernkomponisten und Librettisten schlossen sich die Vertreter der anderen, anwesenden Opernhäuser an. Auch kleinere Häuser, so der designierte Intendant des Theaters Hagen, Søren Schumacher, müssten hier im Rahmen ihrer Möglichkeiten mehr tun.
Konsens also über die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit von Opernhäusern und Hochschulen, gerade auch über Landesgrenzen hinweg. Das ALT etwa bietet an, in Europa ein eigenes Programm anzuleiten, wie es in Südkorea gerade schon beginnt. Auch die übrigen Ausbildungsinstitute, vom MIT mit Jay Scheib über das Conservatoire de Paris mit Émilie Delorme, Michael Rau aus Stanford, die deutschen Hochschulen, das Musiktheaterprogramm der Kunstuniversität Graz mit Holger Falk zeigen sich offen zur Zusammenarbeit. Bis zur Schaffung einer professionellen Ausbildungsstruktur, vergleichbar derjenigen für Opernsänger, scheint es dennoch ein weiter Weg. Ein erster Schritt dahin ist gemacht. Und vielleicht ist Oper dann irgendwann wieder selbstverständlich eine Kunstform der Gegenwart.
Hauke Berheide, Komponist, Mitbegründer von NOD
www.newoperadialogues.com
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