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Sprechen über Expressivität: Chaya Czernowin. Foto: Christopher McIntosh
Sprechen über Expressivität: Chaya Czernowin. Foto: Christopher McIntosh
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Glücksumstand mit Power-Frau

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Komponistin Chaya Czernowin bei der neu gestifteten Udo-Zimmermann-Residenz an der Dresdner Musikhochschule
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Wenn Komponisten sterben, bleibt uns – neben persönlicher Erinnerung – vor allem deren Musik. Das ist nicht wenig, doch als im Herbst vergangenen Jahres der Dresdner Komponist Udo Zimmermann seiner schweren Krankheit erlag, sollte mehr bleiben als „nur“ die Musik. Geboren war ziemlich bald die Idee einer Gastdozentur an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden, wo Zimmermann einst selbst studiert, mit seinem Opernerstling absolviert und später als Professor für Komposition gewirkt hat.

Mitte Mai ist die israelisch-amerikanische Komponistin Chaya Czernowin nun die erste Künstlerin gewesen, die diese Residenz „in memoriam Udo Zimmermann“ antreten konnte. Sowohl sie selbst als auch die Hochschule haben sich von diesem Aufenthalt sehr viel versprochen. Vor allem die Studierenden und auch das interessierte Publikum der Stadt sollten etwas davon haben, dass diese sympathische Power-Frau nach Dresden gekommen ist.

Von Jetlag keine Spur. Unmittelbar nach ihrer Ankunft in Dresden absolvierte die viele Stunden zuvor in Bos­ton gestartete Komponistin ihre erste Lektion in den klingenden Räumen im historischen Bau am Wettiner Platz. Die Studentinnen und Studenten seien ihr sehr aufmerksam gefolgt, erklärt die Harvard-Professorin im gleich darauf folgenden nmz-Gespräch. Chaya Czernowin fiel freilich auch auf, dass kaum junge Frauen, nur sehr wenige Studentinnen ihrer Offerte gefolgt waren. Als gäbe es – wie Jahrhunderte zuvor – nur komponierende Herren.

„Die Verbindung zu Udo Zimmermann ist unvergesslich“

Hellwache, offene Augen, grünlich schimmerndes Haar. Chaya Czernowin ist gewiss keine Exotin, aber als eine der bedeutendsten Komponistinnen unserer Zeit ein absolutes Solitär in der Musikwelt. Ihre Werke werden in vielen Ländern gespielt, sind enorm ausdrucksstark und in ihren Strukturen sehr vielfältig. Auch das Dresdner Publikum durfte schon mehrfach in Kontakt damit kommen. „Mit Dresden verbindet mich viel“, sprüht sie vor Freude, nun wieder hier zu sein. „Auch die Verbindung zu Udo Zimmermann ist unvergesslich. Dabei habe ich erst spät verstanden, dass ich ihm höchst dankbar sein soll, weil er sich so sehr für meine Musik eingesetzt hat.“

Dankbar sind Chaya Czernowin und mehr noch die Hochschule selbst wohl auch der Witwe des Komponisten, Saskia Zimmermann. Sie erinnert daran, dass die Idee einer Förderung noch zu seinen Lebzeiten entstanden sei. „Inzwischen sehe ich es geradezu als sein Vermächtnis an, das für die Lehrstätte vielleicht eine Art Aushängeschild ist. Denn sowohl die Dirigier- als auch die Instrumentalstudenten profitieren davon, so eng mit einer komponierenden Persönlichkeit von Weltrang an deren Werk arbeiten zu können. Und auch die Öffentlichkeit hat Gelegenheit, daran teilzunehmen.“

Hochschulrektor Axel Köhler sieht das sehr ähnlich und weiß, wie sehr auch das von ihm geleitete Haus von diesem Projekt profitiert. „Ich kann mich nur bei Saskia Zimmermann bedanken, dieses Projekt ist tatsächlich ein Aushängeschild! Denn eine Hochschule darf nicht nur Lehrstelle für Tradition sein, sondern ist immer auch der Innovation und dem Experiment verpflichtet.“ Obwohl die Hochschule durchaus schon sehr international aufgestellt ist, sei eine solche Residenz nur bereichernd. Axel Köhler sieht es als „Glücksumstand, eine international geschätzte Persönlichkeit wie Chaya Czernowin an unsere Hochschule zu bekommen“.

Zuständig für die Neue Musik an diesem Haus ist seit langem Jörn Peter Hiekel. Der Professor ist Studiendekan Komposition und hatte sich Chaya Czernowin schon lange nach Dresden gewünscht. Er erinnert sich, just am von Udo Zimmermann gegründeten Dresdner Zentrum für zeitgenössische Musik zum ersten Mal mit der Musik von Chaya Czernowin in Berührung gekommen zu sein. „Hochschulen haben eigentlich alle die Pflicht, Gegenwartsmusik zu fördern. Klassische Gegenwartsmusik, die den Geist herausfordert, die wirklich bereichernd ist, dafür stehen sowohl Udo Zimmermann als auch Chaya Czernowin.“

Tiefe Einblicke in Czernowins Gesamtschaffen

Die Komponistin hat in den wenigen Tagen in Dresden zunächst den Studierenden tiefe Einblicke in ihr Gesamtschaffen vermittelt, erklärt sie im Rückblick. „Ich wurde gebeten, über Expressivität zu sprechen und habe sozusagen eine Grand Tour durch meine wichtigsten Vokalstücke unternommen, die im Laufe der Jahre entstanden sind. So konnten sie nachvollziehen, wie sich die Expressivität der Stimme entwickelt hat.“

Gelegenheit, daran teilzuhaben, hatten auch interessierte Gäste der Musikhochschule. Nach einem von Jörn Peter Hiekel moderierten Workshop gab es ein erstes Gesprächskonzert mit Chaya Czernowin nebst einer knapp gefassten Auswahl ihrer Werke, es folgten ein Podiumsgespräch sowie die Filmvorführung der Ende 2019 an der Deutschen Oper Berlin herausgekommenen Oper „Heart Chamber“ (Herzkammer). Im Zentrum des Abschlussabends stand das 2020 in der Kölner Philharmonie uraufgeführte Ensemblewerk „The Fabrication of Light für Ensemble“.

Der von Axel Köhler erwähnte „Glücksumstand“ dürfte wohl von sämtlichen Beteiligten als ein solcher wahrgenommen worden sein. Die Udo-Zimmermann-Residenz an der Dresdner Musikhochschule soll in den nächsten Jahren fortgesetzt werden.

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