Hildesheim - Um die von islamistischem Terror gefährdete Musikkultur Nigerias zu retten, digitalisieren Hildesheimer Musikwissenschaftler seltene Tonaufnahmen aus dem afrikanischen Land. Die 2009 gestartete Zusammenarbeit werde mit dem Ziel fortgesetzt, die Musik über ein Internet-Portal auch den Menschen in Nigeria wieder per Smartphone zugänglich zu machen, teilte die Universität in Hildesheim mit.
Da die islamistische Terrormiliz Boko Haram seit Jahren auch Kulturschaffende und Musiker im Visier hat, ist der Fortbestand der meist nur mündlich überlieferten Musikkultur bedroht. Ein vom Entwicklungsministerium geförderter Austausch soll nun einen Wiederaufbau der nigerianischen Gesellschaft unterstützen - unter anderem über die Musik. Die beteiligten Forscher von Universitäten in Nigeria, Ghana und Hildesheim sollen lokale Strategien zur Bewältigung von Konflikten und traumatischen Erlebnissen entwickeln. «Aufgabe der Zukunft wird es sein, Gemeinschaften wieder entstehen zu lassen», sagt der Direktor des Hildesheimer Zentrums für Weltmusik, Prof. Raimund Vogels. «Eine der Identifikationslinien kann Musik sein.»
Der Musikethnologe Vogels arbeitete schon 1988 mit Wissenschaftlern in Nigeria zusammen. In einem vom Auswärtigen Amt geförderten Projekt entstanden damals in nigerianischen Dörfern Ton- und Videoaufnahmen sowie Interviews mit Musikern. Die später auf Dachböden und in Kellern gelagerten Aufnahmen, deren Bestand in Nigeria akut gefährdet ist, werden nun digital gespeichert und wissenschaftlich bearbeitet. Gesänge zu Hochzeiten und Beerdigungen, Singspiele und Ensembles, die die Menschen angesichts des Terrors nicht mehr aufzuführen wagen, sollen sie künftig per Smartphone abspielen können.
«Unser Archiv ist zukünftig online abrufbar, jeder soll Zugang zur Musik haben», sagt Christopher Mtaku, der gerade seine Promotion in Hildesheim abgeschlossen hat. «Unser Traum ist, die Musik den Menschen in den Dörfern in Nordostnigeria zurückzugeben.» Viele Gemeinschaften seien in den vergangenen sechs Jahren des Konflikts zerstört, viele Musiker ermordet worden. «Musik wird eine zentrale Rolle beim Wiederaufbau des Lebens dieser Menschen spielen.»
Das Center for World Music der Universität Hildesheim verfügt über 4500 Musikinstrumente und 45 000 Schallplatten, eine der größten Sammlungen Europas. Derzeit arbeitet es an der Sicherung von Musikarchiven auch im Iran, in Ägypten und Ghana. Mit einem vor wenigen Tagen angekündigten Bundeszuschuss von 400 000 Euro soll das Zentrum in einen Neubau umziehen, in dem auch ausländische Gastwissenschaftler beherbergt werden können.