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Ist Musik ein Luxushobby oder allgemeines Bildungsgut? Die PZ sprach mit Winfried Richter, Leiter der Pinneberger Musikschule, über den Lehrauftrag der Musikschulen.
WINFRIED RICHTER: Sehr gut. Zurzeit betreuen wir 1700 Schüler bei steigender Nachfrage. Einige Fächer sind so beliebt, dass wir Probleme haben, alle Interessenten unterzubringen. Besonders für Schlagzeug ist die Warteliste lang.
PINNEBERGER ZEITUNG: Den allgemeinbildenden Schulen fehlen Musiklehrer. Gilt das auch für die Musikschule?
RICHTER: Bis jetzt gibt es keine Schwierigkeiten, Lehrkräfte zu gewinnen. Viele Musiker möchten neben ihrer Konzerttätigkeit auch unterrichten. Nur für Modeinstrumente, wie beispielsweise Saxofon, gibt es Engpässe. Noch schwieriger finden sich Lehrer für musikalische Früherziehung. Das Problem ist, dass diese Kollegen von ihrer Arbeit nicht leben können. Selbst ein erfahrener, nervenstarker Pädagoge schafft es kaum, mehr als drei Stunden nachmittags Früherziehungsgruppen zu unterrichten. Da er stundenweise bezahlt wird, bleibt sein Verdienst zu gering, selbst wenn er jeden Tag unterrichtet.
PINNEBERGER ZEITUNG: Welche Bedeutung nimmt die Popularmusik im Schulungsangebot ein?
RICHTER: Dieser Bereich ist in Pinneberg im Landesvergleich sehr gut ausgebaut. Der Unterricht ist nicht nur aus musikalischen Gründen so wichtig, sondern auch aus sozialen Gründen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich junge Menschen, die sich für ihre Rockband begeistern, leichter in die Gesellschaft integrieren, als Jugendliche, die kein Angebot vorfinden. Wir sind auch für diejenigen offen, die gerade mal ihre drei Gitarren-Akkorde spielen können.
PINNEBERGER ZEITUNG: . . . oder ein paar Takte auf dem Schlagzeug?
RICHTER: Genau. Der Schlagzeugunterricht erfolgt in Zusammenarbeit mit der Helene-Lange-Schule. Dort haben wir einen Übungsraum mit einem umfangreichen Instrumentarium ausgestattet. Das Projekt wurde durch Landesmittel gefördert, weil diese Schule als sozialer Brennpunkt gilt und die Schüler auch in der Mittagspause eine sinnvolle Beschäftigung finden sollen.
PINNEBERGER ZEITUNG: Fängt die Musikschule mit diesem Projekt das mangelnde Lehrangebot der Regelschulen auf?
RICHTER: Teilweise ist das wohl so, aber wir wollen deswegen niemandem eine Stelle wegnehmen, sondern sehen unser Angebot als Ergänzung. Hier könnte die Zusammenarbeit noch intensiviert werden.
PINNEBERGER ZEITUNG: Wie stellen Sie sich diese Zusammenarbeit vor?
RICHTER: Es gibt bereits Kooperationsmodelle, bei denen der Musiklehrer zum Moderator wird und die Schüler fragt, welches Instrument sie lernen wollen. Diese werden dann beispielsweise im Klassenunterricht von Musikschullehrern unterrichtet und können später unter der Regie des Musiklehrers, der auch Theorie und Musikgeschichte lehrt, im Orchester zusammen spielen.
PINNEBERGER ZEITUNG: Kommen die Schulen auf Sie zu?
RICHTER: Mit dem Schenefelder Gymnasium arbeiten wir seit Jahren zusammen und bilden den Nachwuchs für das Schulorchester aus. Jetzt hat auch das Brahms-Gymnasium angefragt, ob wir Schüler vorrangig aufnehmen können, weil dort ein neuer Musikzweig eröffnet wird.
PINNEBERGER ZEITUNG: Vor Jahren galt Musikunterricht als Hobby für Besserverdienende. Hat sich daran etwas geändert?
RICHTER: Allerdings. Bei uns gibt es viele Schüler, die zum Sozialtarif ausgebildet werden, weil die Eltern das Geld nicht aufbringen können. Diese Kinder haben es ohnehin schon schwer genug. Daher ist es besonders wichtig, dass sie gefördert werden.
PINNEBERGER ZEITUNG: Wie lassen sich diese Leistungen in Zeiten knapper Kassen finanzieren?
RICHTER: Die Mittel, die uns die Stadt zur Verfügung stellt, fließen voll in die soziale Unterstützung. Dafür zahlen die Besserverdiener die normalen Gebühren, von denen sich der Unterricht weitgehend finanzieren lässt. Die Musikschule funktioniert wie eine Solidargemeinschaft.
PINNEBERGER ZEITUNG: Wie wirkt sich die Haushaltssperre der Stadt auf den Unterricht aus?
RICHTER: Noch besteht der Vertrag mit der Stadt. Insofern fallen wir nicht unter die Haushaltssperre und erhalten weiterhin die Zuschüsse. Allerdings wurden die Zuwendungen in den letzten Jahren reduziert. Mittlerweile sind wir an einem Punkt angelangt, bei dem über eine Erhöhung des Etats gesprochen werden müsste. Wenn wir weitere Kürzungen auffangen sollten, müssten wir uns von der sozialen Komponente verabschieden und die Gebühren erhöhen. Das wäre dann das Ende der Solidargemeinschaft.
PINNEBERGER ZEITUNG: Befürchten Sie, dass dieser Fall eintritt?
RICHTER: Eigentlich nicht. Die Politiker wissen, dass Musikunterricht kein kultureller Luxus, sondern ein Teil der Bildung ist. PISA-Studie hin oder her. Untersuchungen haben gezeigt, dass musisch bewanderte Kinder auch in anderen Bereichen mehr Leistungsbereitschaft zeigen. Auch die Unternehmensverbände haben musikalische Bildung als Schlüsselqualifikation erkannt. Oder mit den Worten von Otto Schily gesagt: Wer Musikschulen schließt, gefährdet die innere Sicherheit.
Hamburger Abendblatt
http://www2.abendblatt.de/daten/2002/08/21/59771.html