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Künstlerisch forschende Weltbürger

Untertitel
Artistic Research als Chance für die Internationalisierung der Musikhochschulen
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„Internationalisierung der deutschen Musikhochschulen am Beispiel von Artistic Research“: So lautete der Titel einer Tagung, die Ende November in Dresden stattfand (siehe auch Seite 13). Veranstaltet wurde sie von der „Association Européenne des Conservatoires, Académies de Musique et Musikhochschulen“ (AEC), zusammen mit der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden und der Hochschule für Musik und Tanz Köln. Eines der Referate hielt Dr. Georg Schulz, Professor an der Kunstuniversität Graz und Vizepräsident der AEC, der für das Hochschulmagazin der nmz eine gekürzte Fassung anfertigte:

Artistic Research – künstlerische Forschung  nimmt in der Arbeit der „Association Européenne des Conservatoires, Académies de Musique et Musikhochschulen (AEC)“ einen bedeutenden Platz ein. Dabei reichen die Aktivitäten von international besetzten Arbeitsgruppen (2004 bis 2014) und der Veröffentlichung deren Ergebnisse (1) über die jährliche Veranstaltung der „European Plattform for Artistic Research in Music EPARM“ seit 2011 bis zur Erarbeitung des „White Paper on Artistic Research“ (2) und dessen Publikation im  Jahre 2015. Mit diesen Aktivitäten reagiert die AEC auf die Tatsache, dass immer mehr ihrer Mitglieder, Musikhochschulen aus ganz Europa, sich für künstlerische Forschung engagieren. Verstärkt wurde das wachsende Interesse durch den Bologna-Prozess und die diesbezüglichen Überlegungen zu einem Dritten Zyklus als (künstlerisches) Forschungsdoktorat und durch die europaweit zu beobachtende Entwicklung vieler Musikhochschulen von berufsbildenden Musikakademien zu Musikuniversitäten mit klar definiertem Auftrag in Lehre und Forschung.

Aber was versteht die „community“ europäischer Institutionen für höhere Bildung in der Musik überhaupt unter Artistic Research? Noch vor zehn Jahren hätte man auf diese so einfach wirkende Frage keine seriöse Antwort geben können. Zu unterschiedlich waren nationale und oft sogar institutionelle Ansätze zu den entscheidenden Punkten in deren Definition, die da wären:
• Forschungsfrage – Forschungsmethoden – Wiederholbarkeit
• Intersubjektive Nachvollziehbarkeit – Dokumentation – Publikation
• Beziehung zwischen wissenschaftlicher Forschung über Musik und künstlerischer Forschung durch Musik
• Beziehung zwischen künstlerischer Praxis (und dem künstlerischen Ergebnis) einerseits und der künstlerischen Forschung andererseits

Heute kann auf das partizipativ erarbeitete „White Paper on Artistic Research“ der AEC ebenso verwiesen werden wie auf wesentliche und breit akzeptierte Publikationen zum Thema (3). Durch das Finden einer gemeinsamen Definition, die europaweit genutzt wird, besteht für die AEC auch erstmals die Möglichkeit, wirkungsvoll für die Aufnahme von Artistic Research in europäische Programme der Forschungsförderung zu kämpfen.

An dieser Stelle sei nur die allgemeine Definition von Artistic Research im „White Paper“ zitiert:
„Artistic research – künstlerische Forschung kann als eine Form der Forschung definiert werden, die über eine starke Verankerung in der künstlerischen Praxis verfügt und die neues Wissen, neue Einsichten oder Perspektiven innerhalb der Kunst schafft und damit sowohl der Kunst selbst als auch der Innovation dient. Forschung ist eine tiefgreifende und formalisierte Suche nach Wissen und Erkenntnis; künstlerische Forschung muss in diesen allgemeinen Rahmen passen und gleichzeitig ihren eigenen, unverwechselbaren Charakter geltend machen.“

Geradezu als eine inhaltliche Notwendigkeit von Artistic Research kann dabei eine wachsende Internationalisierung beobachtet werden, beginnend bei den künstlerischen Doktoratsstudien. Der in diesen Studien so wesentliche Diskurs unter Doktorandinnen, Doktoranden, etablierten Forscherinnen und Forschern benötigt eine kritische Masse. Die Europäische Rektorenkonferenz EUA empfiehlt auch in ihrer jüngsten Publikation zu Doktoratsstudien (4) insbesondere für kleine Hochschulen – wie es Musikhochschulen nun einmal unweigerlich sind – Kooperationen, die in unserem Fall wohl nur international die benötigte kritische Masse erreichen können. Auch die dringend empfohlene internationale Mobilität soll neben all den anderen Vorteilen den interdisziplinären Ansatz vieler künstlerischer Forschungsvorhaben fördern. Beispielgebend kann hier die 2004 gegründete Doktoratsschule „docARTES“ am Orpheus Institut in Gent genannt werden, die für ein internationales Konsortium an Hochschulen und Universitäten, die ein künstlerisches Doktorat anbieten, diesen breiten und intensiven Diskurs ermöglicht. Auch bei den Betreuerinnen und Betreuern sowie den Gutachterinnen und Gutachtern kann wohl keine Institution allein die notwendige Vielfalt an künstlerischer und wissenschaftlicher Expertise abdecken. Zusätzliche Betreuerinnen und Betreuer aus dem wissenschaftlichen Bereich stellen in vielen Doktoratsstudien sicher, dass das künstlerische Forschungsprojekt von kritischer Reflexion über den Forschungsgegenstand und/oder über dessen Umfeld unterstützt wird.

Nachvollziehbarkeit der Forschungsmethoden

Seit 2011 fördert der österreichische Wissenschaftsfond FWF in einer jährlichen Ausschreibung explizit künstlerische Forschungsprojekte.  In der politischen Durchsetzung dieser Förderschiene PEEK (5) spielte insbesondere die Frage, wie nachvollziehbare Förderungsempfehlungen abgegeben werden können, eine Rolle. Rasch wurde klar, dass es dabei neben allgemeinen Qualitätskriterien für Projekte dieser Art um die Nachvollziehbarkeit der Beziehung der (klar formulierten) Forschungsfrage zu den frei gewählten Forschungsmethoden geht, um die nationale und internationale Vernetzung (Kooperationen und Sichtbarkeit) und um die schlüssige Darstellung, warum das Projekt künstlerische Expertise braucht. Zur Bewertung eines Forschungsantrags ist es auch unumgänglich, dass der Prozess des Schaffens von Kunst – nicht das künstlerische Werk selbst – intersubjektiv nachvollziehbar ist.

Wie bei jeglicher Art von Forschung ist die Kommunikation deren Ergebnisse integraler Bestandteil. Klassische Gelegenheiten zur Präsentation von Forschungsergebnissen sind dabei internationale Konferenzen und Publikationsorgane. EPARM, die „European Plattform for Artistic Research in Music“ ist seit ihrer Gründung 2011 eine Mischform aus der Präsentation von Forschungsergebnissen und der Diskussion über die Prinzipien künstlerischer Forschung. Die erfreuliche Zahl an internationalen Konferenzen über Artistic Research in den letzten Jahren ist ein zusätzlicher Beweis für die Etablierung dieser Forschungsdisziplin.

Bei den Publikationsorganen stellt die Kombination von klassischen Textelementen und der Dokumentation künstlerischer Prozesse und Ergebnisse eine Herausforderung dar. Das Journal for Artistic Research JAR (6) kombiniert dabei exemplarisch die Vorteile eines peer-reviewed Journals mit den Möglichkeiten einer online-Ressource zur Integration umfangreicher medialer Dokumentationen. Publiziert wird JAR von SAR, der Society of Artistic Research (7).

Neugier und reflektierende Grundhaltung

Die beschriebenen Kanäle können für die Internationalisierung anderer Bereiche der Musikhochschulen verwendet werden. Ähnlich wie bei internationalen Gastkursen oder bei internationalen Mitgliedern in Prüfungskommissionen ist dies allerdings begrenzt und kaum systematisch nutzbar, solange die Kontakte sich auf einzelne Individuen beschränken.Ein enormes Potenzial kann aber entstehen, wenn künstlerische Forschungsaktivitäten nicht auf das Doktoratsstudium beschränkt bleiben, sondern auf alle Master- und sogar Bachelorstudiengänge erweitert werden. Und für diese Durchdringung können auch andere gute Gründe genannt werden.

So zeigt die AEC-Publikation zu künstlerischer Forschung im Masterstudiengang aus dem Jahre 2015 überzeugend, wie Neugier und eine reflektierende Grundhaltung viele wesentliche Entwicklungen unserer Studierenden unterstützten: die der künstlerischen Persönlichkeit, die der unternehmerischen Fertigkeiten, wie sie heutzutage für eine nachhaltige Karriere unverzichtbar sind, und die der Fähigkeit, eine vergleichbare Neugier auch beim Publikum, bei anderen Musikerinnen und Musikern oder bei Schülerinnen und Schülern zu wecken. Dass Neugier und Persönlichkeit durch Forschung  entwickelt werden, ist ja auch seit Wilhelm von Humboldt das Ideal universitärer Bildung. Und wenn man die Ideale der Aufklärung in diesem Zusammenhang betrachtet, wo das kritische, reflektierende Individuum und die Entwicklung der Studierenden zu Weltbürgerinnen und Weltbürgern kombiniert wird, dann ist das wohl heute genauso aktuell.

Anmerkungen
1) Guide to Third Cycle Studies in Higher Music Education,  2007; ‚Researching Conservatoires‘ – Enquiry, Innovation and the Development of Artistic Practice in Higher Music Education, 2010; Perspectives on 2nd cycle programmes in higher music education, 2015
2) AEC, Key Concepts for AEC Members, No.1: Artistic Research, Brüssel, 2015, 2015 https://www.aec-music.eu/userfiles/File/Key%20Concepts/White%20Paper%20…
3) Darla Crispin, Artistic Research and Music Scholarship: Musings and Models from a Continental European Perspective, in: Artistic Practice as Research in Music. Theory, Criticism, Practice, hrsg. von Mine Dogantan-Dack, Aldershot, 2015, S. 53–72.
Henk Borgdorf, The Conflict of the Faculties: Perspectives on Artistic Research and Academia, Leiden University Press, 2012
4) Doctoral Education - Taking Salzburg Forward: Implementation and new challenges, EUA, 2016, S. 5
5) https://www.fwf.ac.at/de/forschungsfoerderung/fwf-programme/peek/
6) http://www.jar-online.net/
7) http://www.societyforartisticresearch.org/society-for-artistic-research/

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