Konzertvideos, sei es live oder als Mitschnitt, sind Aushängeschilder der Arbeit von Musikhochschulen. An der HfM Mainz sind die Übertragungen allerdings noch mehr: sie sind Teil eines Ausbildungskonzepts.
Live und ohne Netz
Es war durchaus Aufbauarbeit, die Professor Moritz Reinisch seit seinem Start an der HfM Mainz im Jahr 2010 geleistet hat. Der Diplom-Tonmeister hat seine Räume im damals noch jungen Neubau auf dem Campus der Mainzer Johannes Gutenberg-Universität (JGU) zu einem professionell ausgestatteten Aufnahmeort inklusive Videoschnittplatz und eigenem studentischen Studio ausgebaut. Besonders intensiv genutzt werden die Möglichkeiten von den Studierenden der Jazz-Abteilung, die sich bereits im Bachelorstudium vier Semester lang mit Musikproduktion auseinandersetzen. Hinzu kommen zwei Semester Medienkompetenz – verpflichtend für Studierende der Abteilung Jazz/Pop, aber auch für die anderen Studiengänge wählbar.
Waren diese Inhalte auch schon vor der Pandemie fest im Curriculum verankert, bestätigte der Wegfall der Präsenzveranstaltungen im Jahr 2020 die Notwendigkeit medialer Kompetenzen. Zwar konnte die HfM Mainz dank ihres umfassenden Hygienekonzepts als eine der ersten Institutionen der JGU ihren Lehr- und Übebetrieb wieder aufnehmen. Doch für die Konzerte, Herzstück der künstlerischen Studiengänge, war adäquater Ersatz nötig. Mit Abstand, Masken und Minimalbesetzung wurden also bald Projekte in kleinen Besetzungen aus dem Tonstudio heraus realisiert. Unter dem Motto „… und wir sind LIVE!“ etablierte sich dabei ein neues Format, das sich heute als Erfolgsgeschichte bezeichnen lässt und aus dem Programm der HfM Mainz nicht mehr wegzudenken ist.
Mehr als ein Mitschnitt
Livestreaming versteht sich hier nicht bloß als Hilfsmittel der künstlerischen Darbietung, sondern als komplexer Ausbildungsinhalt zum Erwerb von Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenzen. „Diese Sendungen sind keine Konzerte, die es ohnehin gegeben hätte und die nun dokumentarisch gestreamt werden“, erklärt Moritz Reinisch. „Es sind eigens konzipierte Formate mit klarem Rahmen und einer Moderation, die die Zuschauer am Bildschirm anspricht.“ Unter der Anleitung des Tonmeisters erarbeiten Studierende sich das technische Know-How und nehmen im Laufe des Prozesses wechselnde Rollen ein: im Scheinwerferlicht als Musiker:in oder Moderator:in oder hinter den Kulissen als Bildregisseur:in, Beleuchter:in oder an der Kamera. „Am Anfang der Medienkompetenzseminare machen wir uns mit Kamera und Bildgestaltung vertraut: Was bewirken ISO-Zahl, Blende, Brennweite, Kadrierung … und: Wie komme ich zu schönen Bildern in einem kleinen Raum, in dem kein Platz ist, um etwa einen Gegenschuss zu machen?“ Weitere Workshops schulen die Mitwirkenden darin, gut recherchierte und redaktionell stimmige Moderationen zu erarbeiten. Durch Interviews als feste Bestandteile der Livesendungen werden die Musiker:innen nicht nur künstlerisch gefordert, sondern sind auch hinsichtlich ihrer individuellen Profilierung im Gespräch.
Format mit Außenwirkung
Mehrere Abteilungen der Hochschule konnten sich auf diese Art schon vorstellen. So gab es neben Konzerten aus der Jazz-Abteilung und den klassischen Instrumental- und Gesangsstudiengängen auch Sendungen mit musikwissenschaftlichen Gesprächen oder Einblicken in das Fach Schulpraktisches Klavierspiel. Dass diese Sendungen auch wahrgenommen wurden, belegen neben den hohen Klickzahlen auch Rückmeldungen aus dem Umfeld – etwa vonseiten des Offenen Kanals Mainz: „Irgendwann kam ein Anruf von OK:TV Mainz“, erinnert sich Reinisch. „Dort hatte man einige unserer Sendungen gesehen und fand sie so gut, dass man die Reihe ins Programm nehmen wollte. Seitdem senden wir also auch linear im Kabelfernsehen, mit einem festen Sendeslot. Mittlerweile laufen die Sendungen in den beteiligten Regionalsendern in ganz Rheinland-Pfalz, die Sendewiederholungen werden bundesweit angeboten. Das heißt, um 19 Uhr – minus Leitungsverzögerung, also 18:59:50 – fängt für uns in der Hochschule die Sendung an, egal, ob wir fertig sind oder nicht. Wir sind dann live, ohne Netz und doppelten Boden.“ Der ultimative Praxistest für das gesamte studentische Team, das unter professionellen Bedingungen zu funktionieren hat. Für Moritz Reinisch ist dies auch eine Weiterentwicklung der von ihm etablierten Konzertreihe „Achtung, Aufnahme!“, CD-Aufnahmen in einem Studiokonzert mit Publikum. „Es erfordert eine ganz andere, intensivere Vorbereitung, wenn man weiß, für diese Aufnahme gibt es nur einen einzigen Take. Und man spielt mit einer ganz anderen Spannung in dem Wissen, dass man auf Sendung ist und jenseits der Kamera Publikum zuschaut.“
Gewinn für alle Seiten
Das Interesse der Studierenden, sich mit ihren Projekten auf die Live-Sendeplätze zu bewerben, bleibt ungebrochen groß. Der Erfolg der Initiative für digitale Lehr- und Präsentationskompetenz, die unter anderem durch das Gutenberg Lehrkolleg der Johannes Gutenberg-Universität Mainz gefördert wurde, freut Moritz Reinisch nicht zuletzt, weil sich auch für andere Projekte inzwischen ein Stamm sendungserfahrener Mitwirkender herausgebildet hat. „Außerdem hat die Hochschule regelmäßig frischen Content für die Social-Media-Kanäle, und unsere Studierenden haben gute Videos für Bewerbungen – eine win-win-Situation.“ Und als Berufsvorbereitung seien die vermittelten Fähigkeiten unverzichtbar.
Eine stetig wachsende Zahl von derzeit rund 60 Livestreams ist im YouTube-Kanal der HfM Mainz abrufbar. Und das Selbstbewusstsein in der Mediengestaltung macht sich in allen Abteilungen der Hochschule bemerkbar. Erste Früchte trägt es auch im Hinblick auf den sukzessiven Aufbau eines Digital Music Campus: Neben Online-Vorbereitungskursen für Studieninteressierte und einem HfM-Podcast ist eine Reihe von Videos als Open Educational Resource in Arbeit. Auch hierfür konnten umfangreiche Fördermittel eingeworben werden.
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