Die Smartphones liegen griffbereit auf den Tischen, zweiundzwanzig Augenpaare schauen müde an der Professorin vorbei: Nein, nicht „Notationskunde des Mittelalters“ steht auf dem Stundenplan, sondern „Neue Medien in der Instrumental- und Gesangspädagogik“. Eine kurze Diskussion zum Seminarauftakt klärt rasch auf, warum sich der studentische Enthusiasmus für dieses Thema am Beginn des Semesters in Grenzen hält: technische Probleme, stotternde Internetverbindungen, ermüdendes Distance Teaching. Nach den Jahren der Pandemie verbinden die Studierenden mit dem Thema des akademisch Digitalen die Erfahrung einer ermüdend dysfunktionalen Kopie der analogen Welt. Warum sollte man sich also mit solchen Themen befassen, wenn die Zeit der Lockdowns nun endlich überwunden scheint?
Lust statt Last – Musikpädagogik digital
Weil die Welt des Digitalen – wenn man sie sich kreativ zu eigen macht – zahlreiche künstlerische und pädagogische Potenziale birgt! „Um diese meine Überzeugung nicht nur zu predigen, sondern erfahrbar zu machen, halte ich einen Kurs pro Studienjahr ab, in welchem die Studierenden hands on mit digitalen Tools, Apps und anderen technischen Hilfsmitteln experimentieren. Denn die künftig Unterrichtenden sollen Spaß am kreativen und zeitgemäßen Einsatz digitaler Medien in der Instrumentalpädagogik entwickeln. Damit das gelingen kann, sollten einige Prämissen beherzigt werden“, so MUK-Professorin Wiebke Rademacher über ihren Unterricht.
Mehrwert schaffen
Da wäre zunächst die Erkenntnis aus den von der Pandemie erzwungenen didaktischen Experimenten der Fernlehre: Digitaler Unterricht vermag das persönliche Erleben der Studierenden nicht zu ersetzen. Streamings kommen nicht an die reale Konzerterfahrung heran, Distance Teaching kann den persönlichen Kontakt und die individuelle Kommunikation nicht ersetzen. Allerdings bieten digitale Kommunikationstechnologien einige Möglichkeiten, die die analoge Welt bereichern können. Ob niederschwellig-lustvolles Komponieren und Samplen mithilfe von Apps, ob kollaboratives Arbeiten über Kontinente hinweg oder das Erstellen von elaborierten Visualisierungen komplexer Musikstücke: Digitale Tools eröffnen (häufig sogar kostenfrei) völlig neue Welten für die Musikvermittlung und Musikpädagogik. Diese zu erkunden sowie künstlerisch und pädagogisch zu erschließen, stellt eine spannende Herausforderung für die universitäre Ausbildung nachwachsender Generationen von Musikpädagog*innen dar.
Digital Literacy
Das Angebot von digitalen Tools und Apps entwickelt sich rasant. Es ist daher oft wenig zielführend, den Studierenden konkrete Programme zu empfehlen oder dafür spezifische technische Einführungen anzubieten. Stattdessen geht es darum, sie zu ermächtigen, eigenständig die individuell geeigneten Tools zu finden und sich die notwendigen Kompetenzen für deren Anwendung anzueignen. Worauf kommt es beim Einsatz von Apps mit Dialoggruppen an? Welche einfachen Programme kann man in der täglichen Arbeit für Audio- und Videoschnitt nutzen? Wie kann ich mit einfachen Mitteln eine professionelle Präsenz im digitalen Raum erzielen? – Die angehenden Instrumentalpädagog*innen sollen im Seminar Sicherheit gewinnen, digitales (und technisches) Handwerkszeug selbstbewusst und kompetent für ihre Zwecke zu nutzen.
Gerade im pädagogischen Kontext sollte im Zusammenhang mit Digital Literacy auch das Problembewusstsein der Studierenden in Hinblick auf Datenschutz und Copyright-Fragen geschult werden: Die künftigen Musikpädagogig*innen sollten darüber hinaus Awareness für Jugend- und Kinderschutzfragen im digitalen Raum entwickeln.
Konkrete Projekte
Fremde Welten erschließt man sich am besten, indem man sie betritt. Die Studierenden werden in der Lehrveranstaltung daher angeregt, eigene Projekte im digitalen Raum zu realisieren. Sie selbst entscheiden über Themenstellung und Zielgruppe für ihr persönliches Projekt sowie über die geeigneten Distributionskanäle. Ihren eigenen Interessen folgend, entwickeln die Studierenden für ein Format ihrer Wahl konkrete Ideen und setzen sie um. Dabei erwerben sie nicht nur Kompetenzen bei der Anwendung der dafür notwendigen Apps, sondern durchlaufen auch alle Phasen eines künstlerisch-pädagogischen Projektmanagements. Die Ergebnisse werden im Anschluss in der Gruppe diskutiert und auf ihre Praktikabilität und künstlerisch-pädagogische Qualität durchleuchtet.
Seit 2020 haben Studierende der MUK im Rahmen von Lehrveranstaltungen einige bemerkenswerte kreative Projekte entwickelt, die vielleicht auch neue Wege für eine musikpädagogische Präsenz im Netz aufzeigen könnten. Da wäre etwa ein „Instrumentenkarussell“ auf TikTok, das Kindern und Jugendlichen einzelne Instrumente vorstellt: Auf spielerische Weise können die User*innen den Klang, die Spielweisen sowie das Repertoire von Harfe, Trompete, Akkordeon und Violine entdecken. Darüber hinaus wurde das Video-Tutorial „Guter Sound für Online-Unterricht“ gedreht, das sich an Instrumentallehrer*innen richtet und erklärt, wie in der digitalen Fernlehre (beispielsweise via Zoom) die Soundqualität verbessert werden kann: Equipment, Mikrofonierung, Verstärkung und Aussteuerung werden in diesem YouTube-Video erfrischend unprätentiös gezeigt und erklärt.
Ein weiteres YouTube-Tutorial zeigt, wie sich mit Boomwhackern – Klangröhren aus Kunststoff, die als Tonleiter gestimmt sind – der Song „Happy“ mit einer Gruppe ab sieben Personen non-verbal und spielerisch aus dem Stegreif performen lässt.
muk.ac.at/artikel/neue-medien-in-der-instrumental-und-gesangspaedagogik.html
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