Geboren 1976 in Marburg, war Christian Sprenger zunächst (Jung)Student an der Frankfurter Musikhochschule, bevor er in die Klasse von Prof. Branimir Slokar an der Hochschule für Musik in Freiburg wechselte. Ab dem Jahr 2000 spielte er als Soloposaunist im Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin und gründete 2003 das Ensemble „genesis brass“. Orchesteraushilfen führten ihn zudem unter anderem zur Staatskapelle Dresden, den Bamberger Symphonikern, der Staatskapelle Berlin und dem Orchester der Deutschen Oper Berlin. Erste Lehrerfahrungen sammelte Christian Sprenger in Magdeburg, bevor er 2009 dem Ruf auf die Posaunenprofessur an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar folgte.
Mentale Stärke
Herr Prof. Sprenger, Sie waren neulich auf Chinareise. Wie war das „Trombone Wintercamp“ in Shanghai?
Christian Sprenger: Super! Unglaublich dynamisch. Es passiert aktuell sehr viel in China, es finden ganz neue Formate statt. Die Szene ist aktiv und innovativ. Im Großraum Shanghai beispielsweise sind hunderte junge Leute im Fach Posaune zu versorgen. Das sind für uns einfach unfassbare Zahlen. Und es gibt Exzellenz, und diese sollen natürlich auch konsequent zur Hochschulreife geführt werden. Zu meinem Kollegen Prof. Wei Zhu vom Shanghai Conservatory besteht eine langjährige Freundschaft und er hat mich schon mehrmals nach Shanghai eingeladen. Die Hälfte der Teilnehmer eines solchen „Trombone Wintercamp“ hat den konkreten Wunsch einmal Posaune zu studieren. Prof. Zhu versucht, mit diesen Camps eine Plattform zu schaffen. Die jungen Leute können so schon mal Kontakte knüpfen auch zu Hochschullehrern im Ausland. Für mich ist natürlich auch die kontinuierliche Pflege der europäischen Kontakte nach Spanien oder Portugal extrem wichtig. Aus beiden Ländern kommen aktuell extrem viele Bewerber für das Fach Posaune. Dort gibt es diese starken Banda-Traditionen und dadurch tolle sinfonische Blasorchester und viele gute junge Leute.
Wie könnte man denn den deutschen Nachwuchs motivieren, Posaune zu lernen?
Sprenger: Wir haben über Jahrzehnte eine automatisierte Nachwuchsförderung gehabt, die meisten kamen aus dem Laienbereich. Das war die Rückversicherung: Da kommen Blechbläser nach. In Zeiten Karajans kamen alle aus der kirchlichen Bläsermusik. Die Schulen fangen das jetzt mit Bläserklassen etwas auf, aber das hat eine andere Qualität. Die Vereinsarbeit in den Verbänden, Posaunenchören etc. bringen mehr Bühnenerfahrungen. Auf diesem Gebiet lässt der Nachwuchs nach. Entscheidend ist die Erfahrung mit Corona. Die Attraktivität des Künstlertums hat durch Corona Schaden erlitten. Wer Posaune studiert, hat sich in der Pubertät mit 12 oder 13 Jahren dafür entschieden. Die Streicher entscheiden sich schon als 4- oder 5-Jährige, die haben schon zehn Jahre länger gespielt. Bei den Bläsern kommt die Angst hinzu: Schaffe ich es durch den Flaschenhals, komme ich wirklich in ein Orchester, erreiche ich meinen Traum?
Vor mehr als 20 Jahren haben Sie „genesis brass“ gegründet. Wie aktiv ist das Ensemble heute?
Sprenger: Ich baue das Ensemble gerade um, als Reaktion auf die veränderte Lage. Ich möchte eine Notation herausgeben, die bislang unüberbrückbare Grenzen im Laienbereich einreißen soll. Im Laienbereich gibt es die B-Notation in Einzelstimmen und die kirchliche Notation in den Posaunenchören in einer C-Notation. Mein Ziel ist jetzt eine Zusammenführung der beiden Notationen. Dadurch soll eine Verbindung zwischen den Musikern in den Orchestern und den Posaunenchören hergestellt werden, alles soll nachmusizierbar sein. Meine Notation soll nach dem Vorbild der englischen Brassband entstehen: Dort gibt es spezielle Althörner und Register, die wir hier nicht kennen. Jetzt geht es darum, das deutsche Instrumentarium mit der Idee der Brassband zu verbinden. In einem Ort gibt es Blasorchester und Posaunenchöre nebeneinander. Wir brauchen aber Musik, die von allen zugleich gespielt werden kann.
Und welche konkreten Auswirkungen hat das auf Ihr Ensemble?
Sprenger: Wir stellen die neue Formation in einem Konzert vor – die Gruppe wird um sechs Spieler auf 16 wachsen. Das kommt durch die Neustrukturierung in den Registern, daraus entsteht ein sinfonisches Blechbläserensemble. Wir bekommen zum Beispiel einen Pauker und einen Schlagwerker sowie weiches Blech (Hörner) und spitzes Blech (Trompeten) hinzu. Das bekommt dann eine sinfonische Farbe. Das sind interessante Klangmischungen, die richtig Spaß machen.
Welche Rolle spielt die Kammermusik für die Ausbildung und das Berufsleben von Blechbläser*innen?
Sprenger: Die Kammermusik hat für uns eine extrem starke Bedeutung! Eine Posaune ist stets auf Mitspieler angewiesen, erst dann ergibt das ganze Üben einen Sinn. Und man erlernt dort das musikalische Handwerk, das wir später im Orchester brauchen. Diese Fähigkeit kammermusikalisch zu agieren ist für die Qualität im Orchester absolut maßgebend. Das Posaunen-Quartett ist für uns die Standardbesetzung, gerne spielen wir auch im Doppelquartett mit acht Posaunen. Darüber hinaus sind wir natürlich auch in der klassischen Zehnerbesetzung oder im Blechbläserquintett besetzt. Das Repertoire ist riesig und vielfältig. Es reicht von Originalkompositionen bis zu Arrangements aus dem Pop und Jazz. Posaunist*innen sind Grenzgänger, und jede/r klassisch ausgebildete Posaunist*in sollte auch schon mal in einer Bigband oder Combo gespielt haben, um sich auch mit dieser völlig eigenen Artikulation zu beschäftigen.
Wie bereiten Sie Ihre Studierenden auf Vorspiele für Orchesterstellen vor?
Sprenger: Beim Probespiel ist absolut entscheidend, sich mit der Situation vertraut zu machen, die absolut extrem ist. Ein Bewerber durchläuft mehrere Runden und startet in der Regel mit einem Probespielkonzert. In unserem Fall zum Beispiel mit dem romantischen Konzert von Ferdinand David. Dann geht es weiter in die Runden mit Orchesterstellen, die man vor dem ganzen Orchester präsentiert. Für Studierende gibt es zudem in der Regel ein Vorprobespiel als Qualifikation für das Hauptprobespiel. Es reicht also nicht aus nur an einem Tag seine absolute Leistung abrufen zu können. Man muss an der Konstanz und Abrufbarkeit seines Könnens arbeiten. Neben den musikalischen und klanglichen Aspekten in einem Probespiel geht es natürlich auch um die mentale Stärke. Möglicherweise spiele ich als erster oder als letzter. Wenn ich dann Zeit habe bis zu meinem Auftritt und warten muss, stellt man sich Fragen wie: Gehe ich noch etwas spazieren, lese ich ein Buch oder höre ich mir meine Konkurrenten an? Diese Fragen müssen vorher an der Hochschule beantwortet werden.
Was bezwecken Sie mit dem neuen Format „Slide Adventure“, das erstmals im November 2024 in Weimar stattfindet?
Sprenger: Das „Slide Adventure“ ist ein jährliches wiederkehrendes Posaunenfestival an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar für Posaunistinnen und Posaunisten aus allen Sparten – vom Studierenden über Schüler, vom Laien bis zum Profi. Mein Ziel ist eine Zusammenführung derjenigen, die sich in Thüringen und darüber hinaus mit der Posaune beschäftigen.
Wir haben als einzige Musikhochschule Thüringens eine Verantwortung, die Akteure, die es im Freistaat gibt, miteinander in Kontakt zu bringen. Dabei ist das gemeinsame Musizieren und die gemeinsamen morgendlichen Warm-Ups aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer und aller Akteure eine extrem wichtige Motivation. Ich bin sehr gespannt auf die Premiere.
Vielen Dank für das Gespräch!
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