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Merkwürdige Nahtstellen zwischen analog und digital

Untertitel
Zum Symposium „Acoustic Research“ im Rahmen der Jahrestagung der Gesellschaft für Musikforschung
Vorspann / Teaser

Die Musikwissenschaft befindet sich in einem Transformationsprozess von geradezu existenziellem Ausmaß. Als Spätfolge der diversen Paradigmenwechsel des späten 20. Jahrhunderts, welche als „cultural turns“ zusammengefasst werden, finden sich heutzutage neben den traditionell philologisch geprägten Ansätzen verstärkt auch medien- und kulturwissenschaftliche Perspektiven im Repertoire der Forschung. Unter diesen Bedingungen kann die Zusammenarbeit mit Vertreter*innen angrenzender Disziplinen wie etwa der künstlerischen Forschung, der Sound Studies und der Medientheorie neue Impulse liefern, um das Fach für die Diskursvielfalt des 21. Jahrhunderts empfänglich zu machen.

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In diesem Sinne stand das Hauptsymposium „Acoustic Research“ der diesjährigen Jahrestagung der Gesellschaft für Musikforschung, welche unter dem Titel „Kollaborationen – Wider den Methodenzwang“ vom 11. bis zum 14. September als gemeinschaftliche Veranstaltung der Hochschule für Musik und Tanz und der Universität zu Köln stattfand, ganz im Zeichen der Interdisziplinarität. Anna Schürmer, Professorin für Musikwissenschaft an der HfMT, entwickelte ein anspruchsvolles und facettenreiches Konzept: Jedes der vier einstündigen Panels wurde gestaltet von einem Trio – jeweils zwei Wissenschaftler*innen und ein*e Künstler*in, wobei die Präsentationsformen von den Teams frei gewählt werden konnten und neben klassischen Referaten auch Lecture Performances und Gesprächsrunden umfassten.

Zuvor hielt der derzeitige Professor für Digitale Innovation der HfMT, Florian Hollerweger, eine Keynote mit dem Titel „Code as Music– Music as Code“, in der er, konträr zur üblichen Auffasung von elektronischer Klangspeicherung als fixiertem und unveränderlichem Medium, die Aufmerksamkeit auf zunehmend fluide Erfahrungen mit digitaler Musik lenkte: So basieren beispielsweise Live-Coding-Sets immer seltener auf präkonfigurierten Daten und vielmehr auf generativen Algorithmen, deren Entfaltung sich in Echtzeit verfolgen lässt.

Daran anknüpfend beschäftigte sich das erste Panel des Tages unter der Leitung der Musikwissenschaftlerin und Klangkünstlerin Miriam Akkermann mit der „Human-Artificial Intelligence Relationship“, insbesondere im Hinblick auf die Frage, wie die künstlerische Forschung KI nicht nur als Tool zur Produktion von Musik einsetzen, sondern dadurch auch Erkenntnisse zum Verhältnis von Mensch und Maschine zutage fördern kann. Während der Vortrag des Musikwissenschaftlers Rolf Großmann ontologischen Fragen im Bezug auf Machine Learning nachging – Wie steht es um „Werk“ und „Autor“, wenn künstliche Intelligenz am Werk ist? Handelt es sich nur um die Reproduktion von bereits Vorhandenem oder kann ein qualitativer Sprung erreicht werden? –, präsentierte die Komponistin Artemi Maria Gioti ihre Erfahrungen mit der Entwicklung einer eigenen KI für ihr Klavierwerk „Bias II“, welche gerade dann interessante Resultate liefert, wenn sie das Spiel der menschlichen Pianistin ‚falsch‘ kategorisiert, diese Fehler sich in die Code-Substanz des Programmes einnisten und es dadurch zu unvorhersehbaren Resultaten kommt.

Dass die analoge und die digitale Klangspeicherung keine restlos voneinander geschiedenen Sphären darstellen, sondern merkwürdige Nahtstellen aufweisen und die Übersetzung von einem Medium zum anderen auch von künstlerischer Bedeutung sein kann, darum ging es im Panel „Stop | Rewind | Relisten – Materialität und Signalfluss des Tapes“. Nach einer Einführung in die Geschichte des Magnettonbandes durch die Musik- und Medienwissenschaftlerin Christina Dörfling führte der Komponist Hainbach dessen performatives Potenzial in einem Gesprächskonzert vor Augen und Ohren: Indem er eine Bandschleife über die halbe Bühne laufen ließ und sie gleichzeitig immer stärker malträtierte – zerknicken, beschmutzen, verbrennen – ließen sich die Auswirkungen des Trägermediums auf die gespeicherte Klanginformation anschaulich nachverfolgen. Der Medienwissenschaftler Shintaro Miyazaki, der im Anschluss über philosophische Materialitätsbegriffe referierte, sieht in solchen Vorgängen eine für die zeitgenössische Kunst paradigmatische Wiederkehr der Wahrnehmbarkeit der medialen Materialität, welche durch die technischen Innovationen – vom ersten Telefon bis zum digitalen Computer – im Grunde immer unsichtbarer wurde.

Auch in der anschließenden Podiumsdiskussion ging es um Gerätschaften aus der Pionierzeit der elektroakustischen Musik: Rainer Nonnenmann, Musikwissenschaftsprofessor an der HfMT, erörterte zusammen mit Miriam Akkermann, Hainbach, Anna Schürmer und Marcus Erbe, Professor für Sound Studies an der Universität zu Köln, die Bedeutung des Kölner Studios für elektronische Musik und die Möglichkeiten zur Konservierung dessen einzigartigen Inventars, wofür bis heute von den zuständigen Behörden noch keine Lösung gefunden wurde.

Ein weiteres Panel drehte sich um das Verhältnis von Musik, Politik und Videospielen. Nach einer Einführung in das relativ neue Feld der Ludomusicology durch eine ihrer Ikonen, Melanie Fritsch, schlug der Komponist und Multimediakünstler Marko Ciciliani die Brücke zur Konzertmusik mit der Präsentation seines künstlerischen Forschungsprojektes GAPPP, welches eine Reihe von audiovisuellen Kompositionen mit Computerspielelementen hervorbrachte, um Interaktionen von Publikum, Performer*innen und Werk zu erkunden. Anschließend analysierte Andra Ivanescu, Dozentin für Ludomusicology und Game Studies, vier Video­spiele, welche durch die spezifischen Wechselwirkungen von deren Soundtracks und den Entscheidungen der Spieler*innen Gesellschaftskritik üben.

Das Schlusspanel stand unter dem Titel „Sonic Diversity“. Gemeinsam erörterten die Musikwissenschaftlerin und Klangkünstlerin Sarah-Indriyati Hardjowirogo, der Komponist Laure M. Hiendl und der Professor für Acoustic Ecology und Sound Art John Levack Drever die Komplexität des Begriffes, der sowohl auf Biodiversität, als auch auf die Wahrnehmbarkeit marginalisierter Gruppen verweisen kann.

Zuletzt durfte auch das Publikum aktiv werden. Unter der Leitung von Winnie Huang, Professorin für künstlerische Forschung an der HfMT, wurden in einem offenen Workshop und Diskussionsforum die wichtigsten Themen und interessante Querverbindungen zwischen den gehörten Beiträgen herausgearbeitet.

  • Der Autor hat als studentische Hilfskraft im Organisationsteam der GfM-Tagung mitgewirkt.

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