Vom 11. bis 13. September veranstaltete der DTKV die 40. D-A-CH-Tagung zum Thema Bologna-Prozess. Redner waren Vertreter der Universitäten und Musikhochschulen sowie des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst. In einer abschließenden Podiumsdiskussion unter der Leitung von Andreas Kolb (nmz) wurden einige Themen der Tagung noch einmal aufgegriffen. Ein Mitschnitt von nmzMedia wird ab Mitte Oktober unter www.nmz.de/media zu sehen sein.
neue musikzeitung: Frau Tomasi-Fumics, Sie sind ECTS-Koordinatorin an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien und Leiterin der Arbeitsgruppe „Bologna“ des europäischen ERASMUS Netzwerk-Projekts „Polifonia“. Welche Bedeutung hat die neue Studienwährung ECTS?
Esther Tomasi-Fumics: ECTS umfasst mehr als nur die bekannten Kreditpunkte. Soweit Ihre Frage die Kreditpunkte betrifft, die den Arbeitsaufwand der Studierenden darstellen, eignen sie sich im Bereich der Musikausbildung eher dazu, um Studienpläne zu gewichten. Die Kontaktzeit, also die Stundenzahl, die der Studierende an der Universität anwesend sein muss, stellt einen Teil der Gesamtarbeitslast dar.
nmz: Frau Scholl, Sie sind Zentralpräsidentin des Schweizer Musikpädagogischen Verbandes SMPV. In Zukunft werden auch außeruniversitäre Einrichtungen Bachelor-Master-Ausbildungen anbieten. Welche Chancen sehen Sie darin?
Brigitte Scholl: Auf der einen Seite stehen die Befürchtungen, dass alles auf eine Quantifizierung hinausläuft. Auf der anderen Seite eröffnen sich uns auch Vertiefungsmöglichkeiten, die es in einem Ausbildungssystem, das noch in der Logik des 19. Jahrhunderts verhaftet war und bei dem viele arbeitslose Musiker produziert wurden, einfach nicht gab.
nmz: Frau Professor Jank, Sie betreuen den Lehrstuhl für Musikpädagogik und Musikdidaktik in Potsdam und sind Gutachterin für die deutschen Universitäten und Musikhochschulen im Akkreditierungsverfahren. Wie stellt sich der Bologna-Prozess aus Sicht der Schulmusik dar?
Birgit Jank: Jeder vernünftige Studiengang muss sich im Laufe der Zeit verändern. Allerdings sind große akademische Einrichtungen bei Veränderungen sehr schwerfällig und brauchen lange, um diese durchzusetzen.
nmz: Herr Heller, Sie sind stellvertretender Vorsitzender des Landesverbands Bayerischer Tonkünstler und leiten den Regionalverband Augs-burg-Schwaben. Warum gibt es erst jetzt eine D-A-CH-Tagung zum Thema Bologna?
Richard Heller: Die Umsetzung des Prozesses ist in Deutschland erst vor wenigen Jahren angelaufen. Informationen konnte man also erst zu einem so späten Zeitpunkt sammeln. Die Ansätze an den einzelnen Instituten sind so unterschiedlich, dass ein vermehrter Austausch zwischen den Universitäten beziehungsweise Hochschulen zwingend erforderlich ist.
nmz: Herr Limbach, Sie studieren an der Universität in Potsdam Schulmusik. Gab es Proteste gegen die neuen Studienstrukturen?
Oliver Limbach: Wenn man Lehramt studiert ist der Bachelor als Abschluss nichts wert. Deswegen muss man sein Studium auf den Master ausrichten. In diesem Zusammenhang kam es zu Protesten, denn hier ist die von Bologna geforderte individuelle Studiengestaltung und Flexibilität nicht gegeben.
nmz: Herr Professor Straub, Sie sind Vize-Rektor der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz. Welche positiven Seiten hat der Bologna-Prozess bei seiner Umsetzung in Graz gezeigt?
Eike Straub: Die Vorgaben zu Bologna zwingen dazu, seine eigenen Inhalte sehr genau anzusehen. Dabei entdeckt man eigene Inkonsistenzen. Hier sehe ich Bologna als Chance für innere Korrekturmöglichkeiten. An unserer Universität hat sich auch dadurch die Qualität der Ausbildung sicherlich verbessert.
nmz: In der Schweiz ist Bologna so gut wie abgeschlossen. Herr Professor Swanepoel, Sie sind Professor an der HdK Zürich und waren maßgeblich an der Einführung des neuen Studiensystems beteiligt. Was waren die größten Herausforderungen?
Cobus Swanepol: Systemische Probleme sind bei einem europaweiten Projekt in dieser Größenordnung zu erwarten. Man hat im weiteren Verlauf des Bologna-Prozesses auch noch die Möglichkeit, die Gesetzgebung anzupassen und mitzubestimmen, was am System sinnvoll ist und was nicht.
nmz: Einer der zentralen Punkte der dreitägigen Diskussion waren die Einsparungen, die mit der Creditpunktvergabe passiert sind.
Straub: Der Bologna-Prozess hat sicher tendenziell zu Einsparungen im Bildungssystem geführt. Diese Kritik teile ich. Daran sind aber nicht die ECTS schuld, die einfach ein guter Gradmesser für die Studierbarkeit und den Sinn des Verhältnisses zwischen Kontaktzeit und Workload sind. Das führt an vielen Universitäten zu Korrekturen der Curricula, weil die Kontaktzeit vorher einfach zu lang war, was von den Betroffenen an den Instituten ungerechtfertigt als Einsparung empfunden wird.
Jank: ECTS beinhaltet den richtigen Grundgedanken, dass ein Student in seinem Studentenleben nur eine bestimmte Zeit auszugeben hat. Durch die Eignungsprüfung und die tägliche Übungszeit, die es bei künstlerischen Studiengängen als Spezifika gibt, gilt dieser Gedanke hier nur bedingt. Deswegen sollte man bei der Übernahme der ECTS-Währung auf künstlerische Studiengänge und die Schulmusik die genaue Umrechnung in ECTS-Credits relativieren und flexibel gestalten ...
nmz: Bologna ist nicht umkehrbar. Wie wird es weitergehen?
Swanepol: Besonders wichtig für den langfristigen Erfolg des Modells werden in Zukunft Vertrauen und Kommunikation sein. Es ist unabdingbar sich laufend sowohl auf internationaler Hochschulebene und Regierungsebene als auch hochschulintern mit Dozierenden und Studierenden auszutauschen und einander zu trauen.
Heller: Die Gefahr ist, dass das, was Bologna wollte, also einen vergleichbaren Bildungsraum mit vergleichbaren Ab schlüssen zu schaffen, nicht nur nicht erreicht wird, sondern, dass im Gegenteil irgendwann wegen zu großer Unterschiede durch die überall völlig andere Umsetzung der Rahmenvorgaben gar kein Austausch mehr möglich ist.
Scholl: Die systemischen Mängel des Bologna-Prozesses betreffen aber nicht nur unseren Beruf und das ist vielleicht eine zusätzliche Chance. Denn andere Disziplinen haben ähnliche Probleme, so dass wir die Möglichkeit haben, uns über die Musikausbildung hinaus zu öffnen und eine größere Akzeptanz für unsere Berufe zu erreichen.
Jank: Ich sehe auch die Möglichkeit, sich durch die Zweistufigkeit der Studiengänge an die Berufswirklichkeit und die europäische Entwicklung anzupassen. Das ist nicht nur gewünscht, sondern auch absolut notwendig, damit junge Leute ihre Zukunft gestalten können. Hoch anzurechnen ist der Reform, dass neue Lerninhalte und Lernformen Eingang in die Kurse gefunden haben.
Tomasi-Fumics: Im Bologna-Prozess ist die Internationalisierung ein wichtiges Thema. Man versucht, eine gemeinsame Sprache zu finden. Das entbindet uns aber nicht von der Pflicht, uns zu informieren und zwar über die Besonderheiten in den anderen Ländern und über die Kultur, die dahinter steht.
Straub: Das Verständnis darüber, was ein Musiker wissen und können muss, ist bereits vorhanden. Die Standardisierung der Struktur können wir als Impuls verwenden, um als Universitäten die Verantwortung für die Inhalte zu übernehmen.
Limbach: Ich finde, dass man auf allen Seiten der Realität ins Auge schauen und sich damit abfinden muss, dass Bologna existiert und es wirklich kein Zurück mehr gibt. Dann kann man gemeinsam Lösungen schaffen vor allem für das Problem eines reibungslosen Übergangs vom Bachelor zum Master.