„Verschwimmende Verantwortlichkeiten“ zu Lasten von Schülerinnen und Schülern an der Ballettakademie der Wiener Staatsoper – das ist einer der massiven Kritikpunkte einer Kommission. Die Staatsoper wehrt sich.
An der Ballettakademie der Wiener Staatsoper ist nach Darstellung einer Sonderkommission der Kinderschutz grob missachtet worden. So sei die gesundheitliche Betreuung der Schülerinnen und Schüler mangelhaft. Darüber hinaus gebe es weder klare Verantwortlichkeiten noch seien Prüfungskriterien transparent, befand die im Frühjahr von der Regierung eingesetzte Kommission in ihrem am Dienstag vorgelegten Abschlussbericht. Kulturminister Alexander Schallenberg sprach von „erschütternden Zuständen“. Die Staatsoper wiederum wies die Vorwürfe zurück. Es seien viele Maßnahmen ergriffen worden, die Situation habe sich bereits grundlegend verbessert.
Anlass der Überprüfung waren Vorwürfe, in denen von Demütigungen, Gewalt und Drill die Rede war. Schülerinnen seien durch ein Verspotten ihrer Körper in die Bulimie (Ess- und Brechsucht) oder Anorexie (Magersucht) getrieben worden.
Es sei Kindern geraten worden, mit dem Rauchen anzufangen, um die Figur zu halten, fand die Kommission heraus. Kinder seien mit Vornamen und Konfektionsgröße angesprochen worden. Dieses Verhalten sei von einzelnen Lehrern über einen längeren Zeitraum gezeigt worden, sagte die Kommissionsvorsitzende Susanne Reindl-Krauskopf.
Harte Kritik äußerte die Kommission an der Leitung von Staatsoper und Ballettakademie. „Die Qualitätskontrolle durch diese beiden übergeordneten Organisationseinheiten ist so gut wie inexistent“, heißt es in dem Bericht weiter. Zudem würden wichtige Vorgänge nicht dokumentiert. Es fehlten schriftliche Kriterien für Prüfungen oder für das Aufnahmeprozedere neuer Lehrer. Entscheidungsprozesse seien nicht klar nachvollziehbar. Insgesamt sei „eine Situation verschwimmender Verantwortlichkeiten“ entstanden.
Aus Sicht der Staatsoper sind die Vorwürfe überholt. Es seien Schritte unternommen worden, um in Zusammenarbeit mit den Behörden für eine lückenlose Aufklärung aller Vorwürfe zu sorgen sowie etwaige Missstände zu beheben, hieß es in einer Stellungnahme von Staatsopern-Direktor Dominique Meyer. Dazu gehörten eine grundlegende Verbesserung in der medizinischen und psychologischen Betreuung der Schülerinnen und Schüler sowie die Erarbeitung eines Kinderschutzkonzepts, eine Schulung aller Mitarbeiter, ein neuer Verhaltenskodex und die Einrichtung eines Kinderschutzteams.
Meyer, der 2020 an die Mailänder Scala wechselt, hatte sich bei Bekanntwerden der Vorwürfe sehr betroffen gezeigt. Unlängst hatte der 64-jährige Kulturmanager in einem dpa-Interview darauf verwiesen, dass sich nur zwei von insgesamt 15 Lehrern schlecht benommen hätten.
„Zur Wahrheit gehört auch, dass 90 Prozent der Eleven eine Anstellung finden, und dass die Compagnie sich zu 40 Prozent aus Schülern aus dem eigenen Haus rekrutiert.“
Die Schritte der Staatsoper zur Verbesserung des Kinderschutzes würdigte die Kommission zwar im Grundsatz. Doch erweckten die Maßnahmen den Eindruck, „dass die Motivation der Änderungen nicht primär dem Wohle der Kinder und Jugendlichen gilt“, sondern um im Blick der Öffentlichkeit möglichst aktiv zu wirken.
An der Ballettakademie, die als Sprungbrett für eine Karriere auf der großen Bühne gilt, lernen zurzeit rund 130 Schüler und Schülerinnen im Alter von zehn bis 18 Jahren. Vier von fünf Eleven kommen aus dem Ausland.