Zwischen dem Unterricht und einem Konzert bei der 8. Internationalen Sächsischen Sängerakademie Torgau ergab sich am 18. Juli 2018 ein Gespräch mit Prof. Roland Schubert (geb. 1962 in Gentha bei Lutherstadt Wittenberg). Seit 30 Jahren steht der Bassbariton auf der Bühne, seit 2004 hat er eine Professur für Gesang an der Leipziger Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy inne. Roland Schubert studierte an der damaligen Leipziger Musikhochschule bei Hermann Christian Polster. Nach seinem Abschluss war er an der Oper Leipzig engagiert, seit 1991 an der Wiener Staatsoper, seit 2000 an der Deutschen Oper Berlin. In über 100 Partien arbeitete er mit Regisseuren wie Ruth Berghaus, Götz Friedrich, Peter Konwitschny, Herbert Wernicke, David Pountney, Jonathan Miller und Willy Decker zusammen.
Der Beruf des Musiktheatersängers erfordert vorsichtige Strategien zwischen Identität und Moden des Klassikmarktes. Hat das Einfluss auf den Unterricht?
Das ist eine starke Herausforderung. Denn alle Stimmlagen klingen heute anders als vor zwanzig Jahren. Derzeit sind dunkle Stimmen im Trend. Agenturen suchen vor allem baritonale Tenöre und „mezzofarbene“ Soprane, Kopfklang ist momentan out. Aber natürlich erfüllt nicht jedes Stimmmaterial die Voraussetzung dafür.
Greifen Sie Trends im Unterricht auf und sagen: Das ist mein Ziel mit den Studierenden…
Ansprüche der Agenturen spiegeln wider, was Musiktheater und Veranstalter an sie herantragen. Natürlich müssen wir uns diesen Forderungen stellen im Rahmen dessen, was wir Pädagogen verantworten können. Aber wir dürfen die Studierenden nicht in schädliche Stimmfächer lenken, das spezifische Timbre verändern und den Nachwuchs so daran hindern, mit ihrem Ausbildungsberuf langfristig den Lebensunterhalt bestreiten zu können.
Wie kommt es zu solchen Trends für einen Beruf, in dem gleichzeitig starke vokale und persönliche Individualität verlangt wird?
Heute sitzen Regisseure und Dirigenten vor Live-Streams, zum Beispiel von „Andrea Chénier“. Da singt Jonas Kaufmann den Part so dunkel wie fast niemand vor ihm, er ist schlank und sieht sehr gut aus. Dann heißt es: Wir wollen das so und nicht anders. Dieser Auftrag landet über die Agenturen bei uns und der Frust beginnt. Schicken wir Absolventen zu Vorsingen, hören diese manchmal: „So wie Sie aussehen, geht das überhaupt nicht.“ Wenn Sie die Fachzeitschriften durchblättern, denkt man heute, das sind Modemagazine mit Supermodels, die singen.
Was sagen Sie Ihren Studierenden? Nimm dir Zeit, obwohl die Gesetze des Marktes dann bremsen, oder empfehlen Sie die Nutzung der spontanen Chance?
Wir müssen ermutigen, im richtigen Augenblick „Nein“ zu sagen. Ein junger Bariton hat in einer Hochschulproduktion bereits den „Don Giovanni“ gesungen, also eine sehr lange und ziemlich tiefe Partie. Jetzt ist er Ensemblemitglied an der Deutschen Oper Berlin. Dort wurde ihm die Tenor-Rolle des Eisenstein in „Die Fledermaus“ angeboten. Da habe ich darauf hingewiesen, dass der junge Sänger sich wirklich aufs Glatteis begibt, weil sogar Tenöre mit den vielen hohen Stellen kämpfen. Das ist nur ein Beispiel von vielen für Konfliktmomente gerade junger Karrieren. Die Absolventen trauen sich natürlich nicht, vor der Opernleitung eine Besetzung in Frage zu stellen. Der Blick auf ein langjähriges Engagement steht im Mittelpunkt für sie.
Hat Stress durch Nebenfaktoren Einfluss auf die Haltbarkeit und das Qualitätsspektrum von Stimmen?
Im Jahr 1988 waren wir an der Oper Leipzig 52 Solisten, seither wurde das Ensemble radikal verkleinert. Aber ein ständiges Springen zwischen den Fächern ist für junge Sänger Gift. Das wird aber zunehmend zum Normalfall und B-Besetzungen gibt es immer weniger. Zugleich wächst, wie in sog. normalen Berufen, die Angst sich krank zu melden. Agenturen bestimmen das Tempo und den Umfang des Repertoires, sogar großer Namen. Dazu kommt der Druck durch soziale Netzwerke, wo man Indizien auf Karriereknicks wahrnehmen kann. Dafür braucht man die Robustheit von Stahlsaiten.
Haben Sie und Ihre Kollegen Methoden zur Steigerung der Stressresistenz?
Viele sind diesem Druck nicht gewachsen, entscheiden sich für eine Chor-Karriere oder hören ganz auf. Die Zahl der Studierenden, die während des Studiums eine mehrmonatige Auszeit nehmen, ist größer geworden. Das junge Berufsfeld Musikermedizin ist deshalb wichtiger denn je. Die jungen Sänger müssen sich auf ihre Stimme technisch verlassen können, das ist ein großer Anspruch in der Ausbildung an uns Pädagogen.
Versuchen Sie in kritischen Phasen zu motivieren?
Natürlich ist es sehr wichtig, die Studierenden bestens vorzubereiten. Aber wir sollten ihnen nicht das Theater als eine „kuschelige Spielwiese zur Selbstfindung“ vorspielen. Der Bühnenalltag sieht anders aus! Studieren ist noch Naturschutzgebiet.
Kooperieren Sie mit Häusern, mit der Oper Leipzig bietet sich das ja an?
Studierende der Musikhochschule erhalten dort für eine sehr geringe Aufwandsentschädigung die Gelegenheit zu Auftritten in kleinen Partien. Aber selbst diese sind Möglichkeiten auszuprobieren, ob Sänger wirklich der Traumberuf ist. Wir sind auch sehr glücklich über Kooperationen mit Theatern in Dessau, Nordhausen, Chemnitz, Freiberg, Cottbus und anderen. Absolventen begannen ihr Engagement in Cottbus, Radebeul, Chemnitz, Mannheim und Wiesbaden.
Sind die Forderungen nach Quantität und Qualität heute anspruchsvoller als vor einigen Jahren?
Es ist unbestreitbar, dass sich die Qualität durch die vielen sehr guten internationalen Sänger, die schon bühnenreif sind und ihrer Qualifikation an einer deutschen Musikhochschule noch den letzten Schliff geben wollen, enorm gesteigert hat. Ich bin immer wieder verblüfft, mit welch hohem Potential Studierende beginnen. Früher bestand in der DDR, deren Ausbildung sehr gut war, wie die hohe Anzahl international tätiger Spitzensänger belegt, Kündigungsschutz. Heute wird man im spätestens 13. Jahr an einem Theater nicht verlängert und hat kaum soziale Absicherung. Die Situation ist also extrem zweischneidig.
Raten Sie zu einem Plan B, falls es mit der Wunschkarriere als Sänger schwierig werden sollte?
Ich spreche es schon an, falls sich nach meiner Wahrnehmung abzeichnet, dass der ersehnte Optimierungsschub nicht eintritt. Da rate ich Absolventen mit Bachelor zu einem Wechsel etwa ins Musikmanagement. Ich halte diese Ehrlichkeit für wichtig, weil wir Pädagogen eine Verantwortung für die jungen Menschen haben.
Bedauern Sie den Verlust an Vertrautheit zwischen Sängern und Publikum, wie er sich infolge der größeren Mobilität entwickelt hat?
Paradox an der Mobilität ist, dass die Vielfalt der Interpretationen sich etwas reduziert. Dirigenten kommen mit ihren Klangvorstellungen von einem Opernhaus an das nächste. Probenzeiten verkürzen sich, das erfordert gesundes Vertrauen in Professionalismus. Auch deshalb bin ich glücklich über die Ensembletheater in der Schweiz, in Österreich und Deutschland, denn in diesen ist noch eine große Vielfalt und individuelle Interpretation möglich. Dass diese Theaterdichte mit jungen begeisterten und gut ausgebildeten Sängern bereichert wird, daran arbeite ich!
Interview: Roland H. Dippel