Interdisziplinarität wird im Alltag deutscher Hochschulen eher klein geschrieben, schon gar in den künstlerischen Fächern. Da ist es bemerkenswert, wenn sich in Mainz Studierende der Musikhochschule, der Kunstakademie und der Hochschule für Gestaltung zu einem Klangkunst-Festival zusammentun. Zwar liegen alle Institute innerhalb oder in Nachbarschaft des Universitätscampus. Aber was will räumliche Nähe schon heißen unter dem Zeichen der Bologna-Reform?
„Laut“ nennen die Akteure doppeldeutig ihr Klangkunst-Festival, und als Veranstaltungsort haben sie sich – onomatopoetisch adäquat – das „Pengland“ ausgesucht. Prosaisch betrachtet handelt es sich dabei um eine leerstehende, ziemlich trostlos wirkende Schule im Mainzer Stadtteil Hartenberg. Ideell gesehen ist das Pengland Eldorado für Kreative, laut Eigenbeschreibung „eine Art Gesellschafts- oder Bürgerkunstraum, der ganz ohne staatliche Fördermittel einen gesamtgesellschaftlichen Auftrag wahrnimmt“. Getragen wird es von „Peng“, einem 2006 gegründeten Verein zur Förderung von Design, Kunst und Kommunikation, der sich „als Wohnzimmer, Treffpunkt, soziales Netzwerk (…), Spielwiese und Werkstatt“ versteht. Kommerzielle Ziele hat man nicht. Auftretende Künstler dürfen um Spenden bitten, Eintrittsgelder sind tabu.
Schon beim Pressetermin zeigt das Pengland ein doppeltes Gesicht. An manchen Ecken spürt man hektische Betriebsamkeit, an anderen herrscht völlige Ruhe. Übersicht lässt sich schwer erzielen, und auch der Rundgang durch die Klanginstallationen im Gebäude folgt keinem vorhersehbaren Plan. Angekündigte Termine verschieben sich deutlich nach hinten. „Das Genie beherrscht das Chaos“, fällt einem als altes Klischee ein. Marianne Grosse, die Mainzer Kulturdezernentin, begrüßt mit wohlwollend unverbindlichen Worten. Aus den kurzen Ansprachen der Professoren Dieter Kiessling von der Kunsthochschule und Egon Bunne von der Fachhochschule ist der Respekt vor dem Engagement der Studierenden und ihrem Mut zur Interdisziplinarität herauszuhören, auch wenn das Projekt etwas kurzfristig angegangen wurde. Professor Peter Kiefer vom Musikhochschul-Studiengang Klangkunst ist nicht da. Prorektor Professor Dejan Gavric vertritt das Haus und stellt fest, Bildende Kunst und Musik hätten doch mehr gemeinsam, als man gemeinhin annehme. (Vielleicht ein erster Erfolg des Unternehmens?)
Die Organisatoren und die anwesenden Klangkünstler – teils Studierende, teils Absolventen, teils eingeladene Auswärtige – sind hörbar stolz auf das Erreichte. Geradezu explodiert sei das Projekt, heißt es. Das Reden über die eigenen Werke ist allerdings nicht jedermanns Sache. Der eine ringt um Worte, dem anderen gelingt es, den Besucher neugierig zu machen, ein dritter beherrscht schon den Jargon des Kunstmarktes und wirft mal eben Ludwig Wittgenstein in den Raum. Die Installationen sind sehr verschiedenartig. Viele Bildschirmarbeiten sind erst für die nächtliche Dunkelheit konzipiert. Ein „Synästhesiehelm“ erscheint als verquaste Spielerei. Das Angebot, eine Art Tischharfe mit Alltagsgegenständen zu traktieren, gibt sich innovativ, als ob es einen John Cage oder einen Mauricio Kagel nie gegeben hätte. (Deren Ansätze zum Umgang mit Alltagsgegenständen finden sich immer noch im rheinland-pfälzischen Oberstufen-Lehrplan Musik.) Von wohltuender Klar- und Nüchternheit ist Judith Spangs „anobium punctatum“. Holzwurm-Löcher aus drei Alltagsgegenständen wurden auf Lochkarten übertragen, die sich mit Spieluhren abspielen lassen. Dass die kompositorischen Fähigkeiten des gemeinen Nagekäfers sich in Grenzen halten und es keine prästabile Harmonie des Nagertums gibt, ist die naheliegende Schlussfolgerung des kurbelnden Betrachters.
Vom Spätnachmittag bis nach Mitternacht geht an drei Wochenend-Tagen das Programm mit Konzerten, Filmen, Klang- und Geräuschaktionen. Der Berichterstatter entscheidet sich, am Sonntag mit seinem Fahrrad zum Slowbiking wiederzukommen. Das „Langsamradeln“ ist eine wirklich neue Idee, die der Mainzer Klangkunst-Absolvent Kaspar König in China kennengelernt hat. In Deutschland und den Niederlanden gewinnt sie gerade erste Freunde. Es geht darum, eine Strecke von elf Metern mit einem unmotorisierten Zweirad (ohne Stützräder) so langsam wie möglich zu befahren, ohne dabei mit den Füßen den Boden zu berühren oder die Spur zu verlassen. Die Fahrt eines jeden Teilnehmers wird live interpretiert von Musikern. Dass neben der ästhetischen Komponente eine gesellschafts- oder zivilisationskritische Bedeutung mitspielt, macht besonders neugierig. Leider ist das Slowbiking von 16 Uhr auf 19.30 Uhr verschoben, und die nachfolgende Veranstaltung von 17 Uhr auf 18 Uhr. Das Publikum, erfährt man auf Nachfrage in der fast menschenleeren Anlage, komme eben erst abends. Leise und langsam radelt der Berichterstatter wieder heimwärts.