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Ukrainische Studierende an der HfM Freiburg, links stehend Ludwig Holtmeier. Foto: R. M. Schneeweiß
Ukrainische Studierende an der HfM Freiburg, links stehend Ludwig Holtmeier. Foto: R. M. Schneeweiß
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Trotz allem mutig und selbstbewusst

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Freiburgs Rektor Ludwig Holtmeier zur Situation ukrainischer Studierender
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In der April-Ausgabe der nmz (S. 21) berichteten wir von ersten ukrainischen Studierenden, die an der Hochschule für Musik Freiburg aufgenommen oder an andere Musikhochschulen Baden-Württembergs weitervermittelt wurden. Für das Hochschulmagazin hat Patrick Erb den Freiburger Rektor Prof. Dr. Ludwig Holtmeier nun zur aktuellen Situation befragt.

Wie viele geflüchtete Studierende aus der Ukraine haben sie seit März aufnehmen können?

Die Musikhochschule Freiburg hat bis jetzt insgesamt 23 Studierende aufgenommen: 11 sind bereits eine Woche nach Kriegsbeginn zu uns gekommen. Bisher sind auch alle, mit Ausnahme einer Studentin, geblieben.

Gab es Schwierigkeiten für Sie oder die Studierenden, den Weg nach Freiburg zu finden?

Tatsächlich war nach den Erfahrungen der ersten Gruppe die Anreise mit der Sorge verbunden, dass diese emotional belasteten jungen Frauen an den Bahnhöfen bedrängt werden könnten, weshalb wir einen Bus gechartert haben, um etwa 60 Studierende aus dem polnischen Rzeszów nach Freiburg zu begleiten. Diese Studierende – fast ausschließlich Studentinnen – wurden dann auf die Musikhochschulen in BW und die Partnerhochschulen in Triest und Vigo weiterverteilt. Die (formelle) Aufnahme an der Hochschule war weniger problematisch. Die Studierenden haben für die nächsten zwei Semester zunächst einen Gaststudierendenstatus erhalten. Einige wollen nun eine offizielle Aufnahmeprüfung absolvieren. Auch wenn der Standort Freiburg sehr gefragt ist und die Deputate der Lehrenden vollständig ausgereizt sind, haben diese sich dazu bereit erklärt, freiwillig zusätzliche Deputate zu übernehmen. Die ungebrochene Bereitschaft dazu hält bis heute an, dafür bin ich sehr dankbar. Bei der Verteilung auf die Musikhochschulen haben wir Wert darauf gelegt, dass die Studierenden mit ihren Freunden und Bekannten an die gleiche Institution kommen können. In einer solchen Situation müssen die sozialen Bindungen so stark wie möglich erhalten bleiben. Natürlich muss es auch in Relation zu der fachlichen Ausprägung der jeweiligen Musikhochschule und ihrer verfügbaren Plätze stehen.

Wie konnten Sie die ukrainischen Gäste finanziell und logistisch unterstützen?

Über das Studierendenwerk Freiburg konnten wir einige Wohnungen in Reserve halten, um dann dort die meisten der ukrainischen Flüchtlinge langfristig unterzubringen. Darüber hinaus hat die Musikhochschule Freiburg einen engagierten Freundeskreis, über den die Studierenden anfangs in Familien privat untergekommen sind. Die meisten unter ihnen haben ihre Instrumente aus der Ukraine retten können. Ist dies nicht möglich gewesen, konnte auch hier der Freundeskreis oder auch die Lehrenden helfen, Übungsinstrumente wie auch wettbewerbsfähige Instrumente zu organisieren.

Gab es bei der Aufnahme der Studierenden Hürden zu überwinden beziehungsweise gibt es Differenzen in den Lehrmethoden zwischen der Ukraine und Deutschland?

Wir haben uns darüber gefreut, wie gut sich die Studierenden in Freiburg einbringen konnten. Die meisten kommen aus den weltoffenen Metropolen Kiew und Odessa, können gut Englisch, manche auch ein wenig Deutsch. Die Kommunikation war also von Anfang an problemlos möglich. Die ukrainischen Studentinnen und Studenten waren wiederum von dem hohen Niveau in Freiburg überrascht und angetan. Unsere Lehrmethoden sind im Vergleich zur Ukraine vielleicht etwas weniger autoritär – eine Umstellung, die mir aber von den jungen Künstlern positiv aufgenommen worden zu sein scheint. Schwieriger waren dagegen einige kulturelle beziehungsweise institutionelle Unterschiede: Während die Integration von „klassischen“ Orchestermusikern problemlos möglich war, stellte vor allem die ukrainische Volksmusik für uns eine Herausforderung dar. Für diesen Bereich waren und sind wir auf die Hilfe von Musikhochschulen in ganz Europa angewiesen. Die Ukraine besitzt auch eine lebendige Jazz-Szene, deren Bedeutung wir mit unseren Ressourcen hier in Freiburg nicht begegnen können.

Die meisten der Studierenden sind seit mehr als einem halben Jahr in Deutschland. Können sie sich hier gut entwickeln?

Was ich an diesen jungen Menschen bewundernswert finde, ist der Mut und das hohe Selbstbewusstsein. Die sind bei der Sache, stehen trotz der schwierigen Umstände vollständig im Leben, können auch wieder lachen. Natürlich ist es schwer zu sagen, was im Inneren vorgeht. Zum Glück haben wir eine eigene Musikermedizin, die auch von vielen der Studierenden im Verlauf der Zeit aufgesucht worden ist, sowohl für psychische wie physische Leiden. Was wir in der nächsten Zeit verantwortungsvoll im Blick behalten müssen, ist die Frage, was die geflüchteten Studierenden vom Studium erwarten, was sie erreichen wollen und welche Richtung sie – inhaltlich und geographisch – einschlagen wollen– eine Entscheidung, für die inländische Studenten sich in der Regel mehr Zeit lassen können. Wir unterstützen unsere Partnerhochschulen in Kiew und Odessa durch enge Kooperation dabei, dem Brain Drain, den die Ukraine gegenwärtig erlebt, etwas entgegenzusetzen, aber letztlich werden die jungen Studierenden selbst über ihre nähere Zukunft entscheiden müssen.

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