Auf dem iPad von Florian Ludwig, dem Leiter des Detmolder Hochschulorchesters, erscheinen die Noten für das kommende Orchesterkonzert – Johann Strauss’ Kaiserwalzer. Mit zwei Fingertipps öffnet sich eine Leiste mit einer Notizfunktion, die als „Violine“ gekennzeichnet ist. „Wir können diese Ebene sogar um weitere Eintragungen ergänzen“, erklärt Ludwig stolz. Seit Kurzem arbeitet die Hochschule für Musik Detmold mit 48 iPads und der cloudbasierten Software der Firma Newzik, die die Orchesterarbeit effizienter und nachhaltiger gestaltet. Farbige Notizebenen können für verschiedene Instrumentengruppen – etwa Viola, Kontrabässe oder das gesamte Orchester – erstellt und bei Bedarf auf Knopfdruck ein- oder ausgeblendet werden.
Umblättern ohne Rascheln
„Das ist ein großer Vorteil“, ergänzt Elisaweta Oreschkow, derzeit eine der Konzertmeisterinnen des Hochschulorchesters. Sie berichtet, dass das digitale System bereits in einer ersten Probenphase mit dem kompletten Orchester getestet und von allen positiv aufgenommen wurde. Anfangs herrschte jedoch Skepsis: Was, wenn die Technik streikt und ein iPad kurz vor Konzertbeginn versagt? Die Sorge war groß, doch diese Bedenken erwiesen sich in der Praxis als nebensächlich. Viel wichtiger ist die Zeitersparnis: Die Eintragungen, die früher 50 Stunden Arbeit für Ludwig und sein Team bedeuteten – etwa das Markieren von Bogenstrichen oder Atemzeichen in den einzelnen Notenstimmen – können nun zentral erstellt und mit einem Klick auf alle Instrumentengruppen übertragen oder gelöscht werden.
Einen wertvollen Einblick in die Praxis der digitalen Notenverwaltung bringt Christopher Widauer ein, der das Newzik-System bereits an der Wiener Staatsoper, der Mailänder Scala und in Berliner Ensembles wie dem Rundfunkchor Berlin implementiert hat. „Jahrzehntelang haben große Klangkörper gedruckte Noten verwendet, mit aufwendigen Prozessen für Anmerkungen, Ein- und Aussammeln von Noten und späteres Entfernen der Eintragungen. Dazu kam die Logistik: Der Verlag musste die Noten über Tausende Kilometer weltweit verschicken.“ Für Widauer war eine digitale Lösung naheliegend, und so kam er über einen Kontakt zu Florian Ludwig nach Detmold. „Auch die Verlage sehen inzwischen die Notwendigkeit für wirtschaftlichere und nachhaltigere Ansätze.“
Newzik stellt dabei kein einfaches Notenarchiv bereit. Vielmehr bietet das System eine digitale Plattform, auf der Notizen erstellt und verschiedene Nutzungsrechte verwaltet werden können. „Die Abläufe einer gesamten Produktion werden effizienter“, bestätigen die Beteiligten. Auch die Zusammenarbeit verbessert sich: Inspizient*innen wissen durch die digitale Plattform, wann der Chor benötigt wird, und das Technik-Team erhält präzise Lichtregieanweisungen. Ein blaues Wasserzeichen erscheint auf Florian Ludwigs iPad: Lizenz nicht mehr verfügbar. Ein Beweis dafür, dass die Ausleihfrist für das Material seitens des Verlages erloschen ist, womit belegt ist, dass auch die Schnittstelle zwischen Verlag und Orchester funktioniert.
Die Hochschule für Musik Detmold darf sich als erste Musikhochschule in Deutschland glücklich schätzen, über so eine Möglichkeit zu verfügen. Damit ergänzt sie nicht nur ihre Digitalisierungsstrategie, sondern erreicht auch ein wichtiges didaktisches Ziel, das zugleich eine lang gehegte Zukunftsvision von Florian Ludwig ist: „Unser Ziel ist es, wichtige Probespielstellen direkt in digitalen Noten verfügbar zu machen – bislang wurden diese oft aus dem Kontext gerissen“, so der Dirigier-Professor. Und das dürfte auch ganz im Sinne der Hochschule sein, die ihre Studierenden auf die berufliche Praxis vorbereiten möchte.
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