Seit den späten 1990er-Jahren hat der Begriff der Musikvermittlung in künstlerischen und musikpädagogischen Kontexten einen außerordentlich hohen Stellenwert in der Fachdiskussion erlangt. Simon Rattle hat 1999 mit seinem mittlerweile vielfach für die Akquise von Geldgebern zitierten Ausspruch „To be a performing artist in the next century, you have to be an educator, too“ zu einer rasanten Entwicklung auf dem weiten Feld der Musikvermittlung beigetragen. Knapp zehn Jahre später wird es auch für die Musikhochschulen höchste Zeit, ihren Studierenden das dafür nötige Handwerkszeug vom ersten Studientag an in vielfältigen Zusammenhängen und Kontexten zu vermitteln.
Die bundesdeutschen Musikhochschulen haben sich während einer Hochschulrektorenkonferenz vor einigen Jahren verpflichtet, mit Einführung der modularisierten Bachelor- und Masterstudiengänge Module einzuführen, die sich mit Musik und deren Vermittlung befassen. Dabei wurde die inhaltliche Ausgestaltung jedoch offen gelassen, und es existiert kein Pflichtfachkanon für die einzelnen Fächer dieses Vermittlungsmoduls. Aus dieser Vielfalt ergibt sich, dass beispielsweise der Fachbereich Musik der Universität Münster „Musikvermittlung“ als Pendant zu seiner künstlerischen Ausbildung versteht, während sich die Hochschule für Musik Detmold mit ihrem Musikvermittlungsstudiengang ganz auf das weite Feld der Konzertpädagogik konzentriert.
Die Hochschule für Musik und Theater Hannover wiederum betitelt alle musikpädagogischen und musikwissenschaftlichen Fächer als Angebote der Musikvermittlung, und darüber hinaus wird der große Bereich des Kulturmanagements an deutschen Ausbildungsinstitutionen für Musik zunehmend unter der Rubrik der Musikvermittlung subsumiert. Auch an der Hochschule für Künste Bremen wurde der Auftrag, ein neues Modul der Musikvermittlung zu kreieren, gerne angenommen. In einem intensiv geführten Dialog mit Lehrenden und Studierenden aller Studienrichtungen ist im Laufe eines Jahres ein viersemestriges Pflichtmodul der Musikvermittlung entstanden, das zukünftig alle Bremer Musikstudierenden vom ersten Studientag an zu absolvieren haben.
Die Diskussion in dieser eigens dafür eingerichteten Arbeitsgruppe zeigte anschaulich, dass jedes einzelne Mitglied unterschiedliche Vorstellungen einbringt, da individuell sowohl verschiedene Tätigkeiten als auch eigenständige Handlungsfelder sowie spezifische Arten im Umgang mit Musik unter dem Label der Musikvermittlung verstanden werden. Schnell wurde deutlich, dass zukünftige Absolventen musikbezogener Studiengänge zunehmend über Mehrfachqualifikationen künstlerischer, pädagogischer, musikwissenschaftlicher und/oder konzertpädagogischer Art sowie über kulturmanagement-spezifische Fähigkeiten verfügen müssen. Nur so werden sie in der Lage sein, ihre vielfältigen Tätigkeiten im Umgang mit Musik durch besonders individuelle Persönlichkeitsprofile, Ideale, Umgangs- und Herangehensweisen selbst bestimmen zu können.
Ziel der gemeinsamen Planung in Gesprächen mit den Studierenden war es, dem dringenden Wunsch gerecht zu werden, dass künstlerische Ansprüche, pädagogische Verantwortung und organisatorische Kompetenzen unter dem „Dach der Musikvermittlung“ zukünftig auch schon in grundständigen Studiengängen vereint werden sollen und sich im Rahmen der studienspezifischen Anforderungen in Form unterschiedlicher Verfahrensweisen produktiver, interpretatorischer, reflexiver, intellektueller, übertragender und koordinierender Art noch unmittelbarer durchdringen müssen.
Die oben genannten Überlegungen bildeten die Basis, anhand derer folgende Fächerkombination für das Modul der Musikvermittlung entstanden ist:
- Kommunizieren/Interagieren/Üben
- Didaktische Grundlagen der Musikvermittlung
- Konzertpädagogik
- Kreatives Schreiben
Davon ausgehend, dass alle Formen der Vermittlung auf vielfältigen Arten der Kommunikation basieren, verfügen die Studierenden mit Abschluss des Moduls über umfassende Grundlagen in diesem Bereich. Letztere bilden das Fundament, um den immer umfangreicher werdenden Anforderungen an eine professionelle Musikausübung mit all ihren musikalisch-künstlerischen, rhetorischen, interaktiven, sprachlichen, planerischen und musikpädagogischen Kompetenzen sowie allgemein kreativen Anlagen gerecht zu werden. Darüber hinaus verfügen die Studierenden über die Bereitschaft, sich in experimentelle Improvisations-, Spiel- und Auftrittssituationen zu begeben. In diesen Kontexten erfahren sie eine erhöhte Sensibilität bei Vorgängen des eigenen Musizierens in Verbindung mit einem vertieften Verständnis für die künstlerischen Prozesse und erwerben die Fähigkeit, Vorgänge beim Üben auf Grundlage von wahrnehmungspsychologischen Erkenntnissen anwendungsbezogen zu reflektieren.
Auch das Arbeitsfeld der Konzertpädagogik spielt an der Hochschule für Künste Bremen bereits seit vielen Jahren eine besondere Rolle. Jedes Semester gestaltet eine Instrumentalklasse oder Studienrichtung der HfK ein Konzert für Kinder im Rahmen einer etablierten Familienkonzertreihe der Glocke Bremen GmbH. Mit Abschluss des Musikvermittlungsmoduls sollen die Studierenden noch selbstständiger imstande sein, konzertpädagogische Konzepte zu entwickeln, ein Konzert unter musikdramaturgischen Prämissen zielgruppengerecht umzusetzen und publikumswirksam zu inszenieren. Dabei gilt es, neben werkimmanenten Sachverhalten auch subjektive Hörerperspektiven anschaulich zu kommunizieren. Prinzipien des Konzertmanagements und Kulturjournalismus lernen sie für eigene Projekte anzuwenden, indem sie sich darin üben, ausgewählte Werke, Musik vermittelnde Tätigkeiten und gesellschaftliche Phänomene aufeinander zu beziehen.
Die Erwartungen sind hoch, und die vielfach zitierte „Eier legende Wollmilchsau“ wurde auch im kleinen Bundesland Bremen noch nicht geboren. Tätigkeiten und Überlegungen, die jahrelang unter „naturgegebenen Begabungen“ verbucht wurden, rücken zukünftig in den Fokus intensiver Arbeitsprozesse. An der Hochschule für Künste Bremen ist man jedoch zuversichtlich, den Studierenden schon während ihres Studiums das Gefühl geben zu können, dass es möglich ist, auf tiefgreifende gesellschaftliche und kulturelle Wandlungen sowie sich verändernde bildungspolitische Gegebenheiten mit ansprechenden Angeboten aktiv und phantasievoll zu reagieren.