Eigentlich sollte es erstaunen, dass Musikhochschulen, die vor allem den Bezug zu einer europäischen Kulturpraxis des 18. und 19. Jahrhunderts ins Zentrum stellen, in ihrer Studierendenschaft zu den internationalsten Ausbildungsinstitutionen Europas gehören. Sicherlich spricht das für die Anschlussfähigkeit dieser Musik über ihre Zeit und Kultur hinaus und eventuell für die transkulturelle Verständlichkeit von Musik im Allgemeinen. Aber wenn es um die Frage der Internationalität geht, lohnt es sich, genauer hinzuschauen
Wie Kunst sich organisiert
Wer sich nämlich im transnationalen Raum zwischen den europäischen Musikhochschulen bewegt, stellt fest, wie stark sich lokale Traditionen und Praktiken in den verschiedenen Institutionen etabliert haben: So sind Hochschulen in Österreich, Frankreich, Großbritannien oder den USA zwar ähnlich international im Hinblick auf die Herkunft ihrer Studierenden, aber gleichzeitig lokal geprägt, was die gelehrten Inhalte betrifft. Auch führt die Internationalität der Studierenden nicht immer zu einem Austausch – gerade die jeweils einheimischen Studierenden wagen selten den Schritt aus dem eigenen Umfeld. Der unmittelbare internationale Dialog bleibt darum nach wie vor notwendig, um Erfahrungen in transkulturellen Räumen zu machen.
In der Neuen Musik zeigt sich das Bild noch differenzierter: Auch wenn Spuren der europäischen Musikgeschichte – von der Entwicklung der Notenschrift, über die Tonalität und deren Überwindung mit den unterschiedlichen Avantgarden – wirksam bleiben, so zeitigt die dabei vollzogene Öffnung des Musikbegriffs Folgen, welche die Verbindungen zu anderen Musikkulturen gleichermaßen möglich wie nötig machen. Neue Musik könnte sich einen Raum erobert haben, der durch seine offenen Definitionen wirklich eine transkulturelle Spielwiese bietet.
Aber auch hier ist Vorsicht geboten: Eventuell ist diese offene Spielwiese nicht die gleiche an unterschiedlichen Orten. Vielleicht beeinflussen lokale Kulturen und Praktiken auch hier die musikalischen Entwicklungen stärker, als wir dies aus der eben beschriebenen Metaperspektive bemerken.
Gelebter internationaler Austausch
In diesem Spannungsfeld positioniert sich ein Projekt im Bereich zeitgenössische Musik, das einen regelmäßigen Austausch von Studierenden – Musizierenden wie Komponierenden – zwischen der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt (HfMDK) und der Manhattan School of Music (MSM) in New York realisiert. Konkret sieht das so aus: Sechs Komponist*innen, drei von jeder Hochschule, komponieren ein neues Werk. Dieses wird von einem Ensemble aus Studierenden der Instrumentalstudiengänge beider Hochschulen – neun Studierende (acht Instrumentalist*innen und einem/r Dirigenten/in) – in Frankfurt und New York aufgeführt. Die unmittelbare Zusammenarbeit zwischen Komponist*innen und Musiker*innen, das gemeinsame Proben ermöglicht so echten internationalen Austausch: Es geht nicht nur um musikalische Konzepte und innermusikalische Erfahrungen, sondern um die konkrete Organisation eines gemeinsamen Probenprozesses an beiden Orten, die Durchführung von Konzerten – also um die kleinen alltäglichen Freuden und Leiden des Komponist*innen- beziehungsweise Musiker*innendaseins. Möglich wurde dieses Projekt durch die Zusammenarbeit mit Prof. Reiko Füting, dem Leiter der Kompositionsausbildung der MSM. Wir hatten uns in Weimar kennengelernt, wo es bereits zu einer ersten Auflage des Austauschprojektes kam; nachdem ich die Professur in Frankfurt angetreten hatte, war für mich klar, dass ich es dort weiterführen wollte.
Begegnung Frankfurt-New York
Am 14. April landeten vier Musiker*innen, drei Komponist*innen und ein Dirigent der MSM in Frankfurt, um in die erste Phase des Austauschprojekts mit ihren Kolleg*innen aus der HfMDK zu starten.
Wir begannen mit den Proben in Frankfurt, bei denen sich die Musiker*innen und Komponist*innen kennenlernen konnten. Immer standen neben der musikalischen Arbeit während der zwei Projektwochen in Frankfurt und New York Freizeitaktivitäten auf dem Programm, um persönliche Bindungen zwischen den Studierenden zu erleichtern und zu festigen. Nach vier intensiven Arbeitstagen folgte das erste Konzert mit den Premieren der Werke am 19. April im Großen Saal der HfMDK und das zweite einen Tag später in der Akademie für Tonkunst in Darmstadt, begleitet von einem Workshop für die Studierenden dort. Dann stand der zweite Teil an: Der Flug nach New York, wo wir Gäste aus Deutschland auch am Hochschulleben der MSM teilnehmen konnten, etwa im Kompositionskolloquium, in dem die Studierenden ihre Werke vorstellten. Und auch hier wurde die Arbeitsphase durch zwei Konzerte in der Manhattan School und in einer Kirche in Greenwich Village gekrönt. Selbstverständlich blieb neben den offiziellen Aktivitäten Zeit, unsere Gastgeber und deren Lebenswelten näher kennenzulernen – bei gemeinsamen Abendessen, Museumsbesuchen und anderen Freizeitbeschäftigungen. Die MSM hat ein Master-Programm für zeitgenössische Musikinterpretation, das der Internationalen Ensemble Modern Akademie (IEMA) in Frankfurt ähnlich ist. Und es war interessant zu beobachten, ob sich hier strukturelle Unterschiede zeigen, die auf größere Kontexte verweisen, was die Positionierung der neuen Musik in den USA im Vergleich zu Deutschland betrifft.
Zunächst stellte sich heraus, dass die Interaktion bei Proben zwischen Musiker*innen, Komponist*innen und Dirigent immer funktioniert. Die Leichtigkeit, mit der man über musikalische Inhalte kommunizieren kann, begeistert mich jedes Mal: Wenig verbindet so sehr wie gemeinsames musikalisches Arbeiten. Dabei war die Gruppe in mehrfacher Hinsicht heterogen: Studierende aus Deutschland, USA, Spanien, Italien, Schottland, Südkorea, China, Kolumbien und Argentinien, die in New York und Frankfurt studieren, waren versammelt. Auch während der Probenarbeit in Frankfurt und New York offenbarten sich keine Unterschiede, solange es um die konkrete Arbeit am Klang und die kompositorischen Ideen ging. Dabei ist bemerkenswert, dass sich die Zusammensetzung in der Internationalität der Studierenden an den beiden Hochschulen kaum unterscheidet – eventuell finden sich mehr europäische Studierende in Frankfurt und mehr südamerikanische in New York, aber das sind marginale Unterschiede.
Interessant waren die Herangehensweisen der Komponist*innen: Während die Stücke aus Frankfurt eher konzeptionelle Zugriffe zeigten – jedes Stück hatte eine Kernidee, die ausgebreitet wurde –, hatten die in New York studierenden Kolleg*innen einen narrativeren Zugang zum Komponieren; ihre Stücke folgten erzählerischen Verläufen mit Kontrasten und wechselnden Texturen. Auch die Verwendung elektronischer Mittel war eher Sache der Frankfurter. Aber diese Beobachtungen können sicher nicht verallgemeinert werden, da alle Kompositionen in erster Linie die Persönlichkeiten derer erkennbar machten, die sie komponiert hatten, ihre individuellen, kulturellen und persönlichen Erfahrungen – wie der Klang der Frösche im heimatlichen Garten in Kolumbien, Gesangstraditionen der Pekingoper oder ein spanischer Roman als Inspiration. Eventuell liegt hier das Geheimnis künstlerischer Kommunikation: Wenn Erfahrungen oder Konzepte persönlich werden, überschreiten sie kulturelle Räume und werden kommunizierbar, Kultur tritt aus der Abstraktion heraus und wird teilbar.
„Its the infrastructure, stupid“
Aber Musizieren ist mehr als Proben und musikalischer Gehalt. Musik braucht Infrastruktur: Orte, an denen sie stattfindet, Räume, in denen es möglich ist, sich zu konzentrieren. Und hier zeigten sich Unterschiede: So war es zum Beispiel nötig, große Teile der elektronischen Hardware in die USA mitzunehmen – eine Herausforderung für die Security am Flughafen, die offenbar selten mit Mikrofonen und Mischpulten zu tun hat. Auch der Aufbau der Setups für Proben und Konzerte in New York barg Probleme: Mal fehlten Adapter, mal Kabel und immer war die Zeit knapp – es war bewundernswert, wie gut die Frankfurter Studierenden damit umgingen und die wilde Mischung aus verschiedenen Equipments an allen Orten zum Funktionieren brachten.
„Its the infrastructure, stupid“: Wer nach Schwierigkeiten und Unterschieden sucht, wird hier fündig. Frankfurt und New York sind sich in bestimmter Weise ähnlich: Die Städte sind eng und teuer – das zeigt sich auch an den Hochschulen. Allerdings sind die Dimensionen unvergleichbar. In Frankfurt war es – wenn auch mit Schwierigkeiten – möglich, alle Proben im gleichen Raum zu machen. In New York ging das nicht: Der Begriff Raummangel wird der Situation an der Manhattan School nicht annähernd gerecht. Auch praktische Fragen, wie das Leihen einer Bassklarinette von brauchbarer Qualität, stellten sich als schwierig heraus. Kurz gesagt: In New York musste man die Möglichkeit, sich auf Kunst konzentrieren zu können, hart erkämpfen. Vieles wurde spontan und informell gelöst, selten gab es Vorbereitungszeit, und meist waren die Studierenden auf sich gestellt, wie beim Umtausch der bereits erwähnten, nahezu unspielbaren Bassklarinette in ein besseres Exemplar.
Wie geht man mit solchen Situationen um? Es ist vielleicht die wertvollste Erfahrung zu sehen, wie sich Kunst in den unterschiedlichen Umfeldern organisiert. Kunst muss sich immer wieder behaupten – zwar schätzt man Künstler, um verfallende Städte wiederzubeleben (wie im New York der 80er Jahre, oder im Berlin der 90er). Aber wenn die Immobilienpreise wieder steigen, wird man sie schnell wieder los. Kürzungen, die in einem grundsätzlich unter extremem finanziellen Druck arbeitenden Berufsfeld größere Auswirkungen haben als anderswo, gehen besonders in Zeiten populistischer Politik leicht von der Hand aber zerstören über Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte gewachsene Institutionen – und sparen dabei nur Minimalbeträge. Auch wenn sich Kunst allen Widrigkeiten zum Trotz ihre Räume immer wieder schafft, weil sie nun mal menschliches Grundbedürfnis, Selbstvergewisserung und Selbstreflexion ist, bedarf sie doch einer Infrastruktur, die Ihre Ermöglichung garantiert. Der Studiengang Neue Musik Interpretation an der Manhattan School hat etwa nicht die räumlichen und personellen Ressourcen wie der IEMA-Studiengang in Frankfurt. Während man in Frankfurt eine Situation realisiert hat, in der man sich ganz auf Kunst konzentrieren kann (und der Kampf um ihre Ermöglichung zumindest im Studium vor der Tür bleibt), muss diese Infrastruktur in New York jedes Mal neu hergestellt werden. Das ist anstrengender, aber vielleicht lebensechter? In jedem Fall kann die Erfahrung solch gefährdeter Infrastruktur den Blick auf die Zerbrechlichkeit der Eigenen schärfen.
Die Begegnung Frankfurt-New York war für alle Beteiligten wertvoll. Hier konnten wir voneinander über die Bedingungen des Kunstmachens lernen. Dies geht nur im direkten Austausch, in der Konfrontation mit Problemen und der Lösungsfindung. Darum ist für Reiko und mich dieses Austauschformat so wichtig: Es basiert auf der Zusammenarbeit auf allen Ebenen – beim Proben, Konzertieren und Organisieren. Und wir wollen diesen Austausch weiterführen. Betrachtet man die gegenwärtigen politischen Spannungen, werden solche Projekte nicht einfacher. Umso wichtiger sind sie aber, damit Kunst nicht zum Kollateralschaden globaler Entfremdung wird. Im gemeinsamen Spielen und Sprechen über Kompositionen entsteht Gemeinsamkeit. Diese sollten wir herstellen, so oft und so gut wir können.
Die Begegnung Frankfurt–New York 2024 wurde auf Frankfurter Seite gefördert vom Deutschen Akademischen Austauschdienst, der Gesellschaft der Freunde und Förderer der HfMDK sowie durch QSL-Mittel der Hochschule (für Qualitätsverbesserung in Studienbedingungen und Lehre). Die New Yorker Studierenden erhielten finanzielle Unterstützung von der Dwight und Ursula Mamlok-Stiftung.
Autor Prof. Dr. Ulrich Kreppein unterrichtet seit Oktober 2022 Komposition und Musiktheorie an der HfMDK Frankfurt.
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