Comedy-Star Anke Engelke dirigiert in einer TV-Show ein Jugendorchester. Das Münchner Rundfunkorchester arbeitet unter Anleitung der amerikanischen Geigerin Monique Mead für ein Jugendprojekt mit dem FC Bayern Junior Team zusammen. Während des Lucerne Festivals 2002 trat DJ Spooky live mit einem Remix von Pierre Boulez‘ „pli selon pli” vors Publikum. Erst kürzlich lud Dirigent Christian von Borries acht DJs und Elektronikmusiker dazu ein, Claude Debussys „Prélude à l’Après- midi d’un Faune” nicht für den Konzertsaal, sondern für die After Work Party im Clubambiente neu zu interpretieren.
Dies sind nur einige Beispiele für Events und Experimente, wie sie inzwischen im Konzertbetrieb gang und gäbe sind. Man sollte sie nicht nur als Moden abtun, denn es sind Symptome für einen tiefer gehenden Wandel. Das klassische Bild des Musikers, der aufs Podium geht, im Kopf ein Repertoire mit Ewigkeitswert, oder des Orchestermusikers, der mit 26 sein Probespiel absolviert und bis zur Pensionierung im Orchester bleibt, das sind nur noch zwei Möglichkeiten unter vielen.
Der Wandel ist offensichtlich: Gab es 1992 noch 168 Kulturorchester, so schrumpfte die Anzahl innerhalb von zehn Jahren um etwa 17 Prozent auf 139. Das blieb nicht ohne Folgen. Gab es 1992 etwa 12.000 Orchester-Planstellen, so waren es 2002 gerade noch 10.000. Das entspricht den oben genannten 17 Prozent minus. In den Jahren von 1998 bis 2002 gab es 848 freie Planstellen, denen im selben Zeitraum 7.500 Hochschulabgänger gegenüber standen. Was machen die zirka 6.652 Instrumentalisten, die keine Planstelle erspielen konnten? Auch wenn sie nicht in „Orchester-Pools“ outgesourct sind oder als Springer „Personalspitzen“ bei Mahler und Bruckner-Aufführungen abbauen, macht dieser „Rest“ oftmals sehr Vernünftiges. Junge Absolventen gründen Ensembles für Neue oder Alte Musik, sie rufen Kammermusikensembles oder Salonorchester ins Leben, sie jazzen, sie unterrichten oder sie werden Radioredakteure, Kulturmanager oder Musikvermittler, Filmmusikkomponisten und Sounddesigner. Kurz: sie bereichern unser Kulturleben.
Der musikalische Gelegenheitsauftritt, früher stillschweigend akzeptiertes Zubrot gut situierter Orchestermusiker, ist für viele freiberuflich agierende Künstler zur Haupteinnahmequelle avanciert. Noch ein paar Zahlen: etwa 500 Pianisten drängen Jahr für Jahr neu aufs Konzertpodium. 20 verkrafte der Markt, sagt man. Was geschieht mit den restlichen 480? Endlich sind wir beim Thema: der Ausbildung von Musikern. Ein Musikhochschulstudium ist – im Gegensatz zu vielen universitären Studiengängen – schließlich noch immer eine Berufsausbildung. Auf der einen Seite gibt es die„Überproduktion“ junger Musiker mit Konzertdiplom, auf der anderen Seite herrscht Mangel an ausgebildeten Schulmusikern (zumindest an gehaltenen Musikstunden).
Klassik und E-Musik sind an allgemeinbildenden Schulen aus dem Bildungskanon herausgefallen, die musikalische Sozialisation und Ausbildung findet außerschulisch statt. Hier ist natürlich die Musikschule gefragt, bei der die Nachfrage nach Unterricht allerdings ungebrochen ist. Doch was ist mit denen, die kein Instrument erlernen? Die Mehrheit der Jugendlichen kennt nur noch die „Curricula“ von MTV, VIVA und RTL 2. Kein Wunder, dass die Klassik als Konzertmusik aus dem Bewusstsein einer ganzen Generation verschwunden ist.
Die Ausbildungsinstitute kennen die Probleme und sind aufgefordert, sich wieder einmal neu zu legitimieren. Da kann die Rektorenkonferenz vom Mai vergangenen Jahres als ein positives Beispiel herangezogen werden. Die sieben Beschlüsse dieses Gremiums zeigen Reformwillen und Anpassungsfähigkeit an geänderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen (Klaus-Ernst Behne geht in seinem Artikel „Quo vadis Musikhochschule“ auf Seite 49 ausführlich darauf ein). Deutschlands Musikhochschulen werden weiter internationale Spitzeninstitute mit internationaler Ausstrahlung sein, doch sie werden stärkere Akzente auf die künstlerisch-pädagogischen Studiengänge legen, neue Bachelor- und Master-Studiengänge anbieten. Und sie werden sicher noch selbstbewusster ihre Rolle als städtische und regionale Kulturzentren wahrnehmen.
Doch nicht nur die Anpassung und Neuausrichtung der Institutionen ist gefragt. Auf die Künstler selber kommt es an. Heute braucht es Musiker, die kreativ auf neue Lebens- und Arbeitsumstände reagieren können. Die den Mut zur Neuen Musik haben, die sich nicht scheuen, Genregrenzen niederzureißen, die neue Veranstaltungsformen entwickeln und erproben. Musiker, die ein Ensemble als GmbH gründen oder im städtischen Orchester gemeinsam mit Schule, Musikschule neue Musikvermittlungsformen suchen und probieren. Die dafür nötigen „neuen“ Kompetenzen zu vermitteln, wird immer stärker Aufgabe der Musikhochschulen werden müssen – die ersten Schritte in diese Richtung sind bereits getan.
Information zu Bildungspolitik und Hochschule finden Sie im Dossier „Musikhochschule”. Oder recherchieren Sie im Web-Archiv der nmz. Allein unter dem Suchbegriff „Musikhochschule” finden Sie dort 515 Artikel (Stichtag 25. Januar 2003) aus den vergangenen fünf Jahren, geschrieben von Fachleuten aus Hochschule, Fachpresse und natürlich von Musikern selbst.