Inzwischen kann Simon Hochberger wieder schmerzfrei in die Tasten greifen. „Doch vor kurzem, da ging gar nichts mehr“, sagt der 20 Jahre alte Student, der Musiklehrer am Gymnasium werden möchte: „Das war wie ein Blitzeinschlag in meinem Rücken.“ Bereits im zweiten Semester wird der junge Mann wegen seiner Verspannungen von Uschi Hartberger, Spezialistin für Alexandertechnik, begleitet. Seit zehn Jahren bietet die studierte Juristin diese Technik an der Würzburger Musikhochschule an.
Körperbewusstsein ist für Musik am Instrument die zentrale Instanz: Nur so können beim Spiel jene Bewegungsformen gefunden werden, die eine gute, persönliche Interpretation erlauben. Wie schwierig es allerdings ist, den eigenen Körper beim Spielen zu spüren, davon berichtet Sarah Neuroth, 28 Jahre alte Gitarre-Masterstudentin in Würzburg, ihrer Alexandertechnik-Lehrerin.
Derzeit studiert Sarah ein temporeiches, anspruchsvolles Stück von Astor Piazzolla ein. „Ich bin so sehr auf die linke Hand konzentriert, die rechte reagiert immer nur“, schildert sie Uschi Hartberger ihr Problem. Der Arm wird sehr schnell unglaublich „fest“ und Sarah fühlt sich völlig verspannt.
Gute Position finden
Egal ob Musiker ein Tasteninstrument, Gitarre, Geige oder Flöte spielen: Es ist nicht einfach, eine gute Position einzunehmen. „Durch Alexandertechnik können der Bewegungsfluss beim Musizieren und die sensomotorische Körperkontrolle verbessert werden“, sagt Hartberger. Fehlhaltungen werden erkannt, haltungsbedingten Schmerzen wird vorgebeugt.
Alexandertechnik ist gerade auch vor einem stressigen Examen oder einem Auftritt, der schon lange im Vorfeld nervös macht, eine gut geeignete Methode. „Über die mentale Steuerung in der Alexandertechnik können Lampenfieber oder Stress bearbeitet werden“, erläutert Hartberger. So baut sie Sarah Neuroth in ihrer heutigen Übungseinheit für das Konzert am nächsten Tag auf. Simon Hochberger versucht mit Hartbergers Hilfe nicht nur, seine Rückenschmerzen in den Griff zu bekommen: Wichtig für ihn ist gleichzeitig, seinen Alltag, der ihn oft zu „erschlagen“ droht, mit den Tipps und Kniffen der Alexandertechnik besser zu strukturieren.
Dass sich Musiker sehr leicht einseitig belasten, ist für die meisten Dozenten an Musikhochschulen noch immer kein Thema. Sie bringen ihren Studierenden bei, wie sie ein Instrument meisterlich handhaben. Über gesunde Bewegungsabläufe beim Spielen wird kaum gesprochen. Die Hochschulen selbst nehmen das Thema „Musikergesundheit“ allerdings zunehmend in den Blick. Detmold hat mit der Professorin Maria Schuppert eine ausgewiesene Expertin für dieses Thema. In Dresden und Hannover gibt es eigene Institute für Musikermedizin. In Frankfurt beschäftigen sich Professor Dr. Jochen Blum und Alexandra Türk-Espitalier mit Musikergesundheit.
Vorbeugen ist besser, als später ständig Pillen einzuschmeißen, bloß um den Schmerz nicht zu spüren. Dass Prävention immer stärker an Bedeutung gewinnt, bestätigt Professor Dr. Eckart Altenmüller, Direktor des Instituts für Musikphysiologie und Musikermedizin der Hochschule für Musik und Theater in Hannover. „Die Luft wird dünn für Musiker. Sie müssen heute körperlich und seelisch enorm belastbar sein. Sonst macht die Konkurrenz das Rennen.“ Seit 1974 ist „Musikergesundheit“ in Hannover ein Thema. Altenmüller: „Unser damaliger Präsident wollte es den Sportwissenschaften gleich tun und wissenschaftlich basierte Trainingsmethoden in die Musik einführen.“
Musikphysiologie gibt, ähnlich wie Sportphysiologie, Aufschluss darüber, welche Vorgänge beim Üben und Musizieren ablaufen. „Die Prozesse der Bewegungssteuerung, die dem musikalischen Lernen und Üben zugrunde liegen, waren in den letzten Jahren Gegenstand intensiver Untersuchungen“, erläutert der Musikermediziner Professor Dr. Hans-Christian Jabusch von der Dresdner Musikhochschule. Dass die dabei gewonnenen Erkenntnisse in die musikalische Ausbildung einfließen, sei ein Hauptanliegen seines Faches: „Ziel ist unter anderem eine Anpassung der Übestrategien.“
Musikphysiologie trägt dazu bei, dass Musikerinnen und Musiker mehr von ihrem Talent haben. Um diesen Mehrwert weiter zu steigern, packt das Dresdner Institut immer neue wissenschaftliche Projekte zu den klassischen Themen der Musikphysiologie. Diagnostik, Therapie und Prävention von musikerspezifischen Gesundheitsstörungen sollen weiter optimiert werden. Sinn macht dies freilich nur, wenn die gewonnenen Erkenntnisse in die Ausbildung der Studierenden einbezogen werden: „Sowohl in theoretische Angebote als auch in praktische Kurse.“ Dies geschieht in Dresden. Parallel wird eine Ambulanz für Musiker mit Gesundheitsstörungen aufgebaut.
Die Notwendigkeit, Gesundheitsvorsorge zu verstärken, resultiert auch für Jabusch aus den steigenden körperlichen und seelischen Belastungen der Berufsmusikerinnen und Berufsmusiker. „In den letzten Jahren wurden zahlreiche Kulturorchester aufgelöst oder zusammengelegt“, so der Mediziner und Pianist. Planstellen wurden reduziert. Viele Profimusikerinnen und Profimusiker seien in ihrer beruflichen Existenz bedroht. Gleichzeitig nimmt das Durchschnittsalter zu: „Mit zunehmendem Alter wiederum wird der Leistungsdruck im Orchester als höher wahrgenommen.“
Auch junge Menschen sind betroffen
Auch für Studierende der Schulmusik und junge Menschen, die in Musikschulen unterrichten möchten, ist es wichtig, umfassende Kenntnisse über Musikergesundheit zu haben, betont Dr. Maria Schuppert von der Detmolder Musikhochschule. Stellen sie doch die Weichen dafür, ob junge Menschen von Anfang an richtig üben – oder eben nicht. Mit allen negativen Begleitumständen. Wie Musiker richtig üben, darüber informierte Schuppert im Januar bei einem erstmals veranstalteten Blockseminar über Musikphysiologie und Musikergesundheit an der Musikhochschule in Würzburg, wo diese Themen stärkeres Gewicht erhalten sollen.
Nonstop Stakkatos zu üben ist ebenso falsch, wie selbst dann zu üben, wenn der Kopf voller Probleme steckt. „Es kommt nicht darauf an, wie viele Stunden man übt“, betont die Leiterin des Detmolder Zentrums für Musikergesundheit. „Viel wichtiger ist, wie man die Übestunden gestaltet.“
Bevor der Musiker am Morgen beginnt, sich einzuspielen, sollte er sich die Frage stellen, was er mit seinem Üben heute ganz konkret erreichen möchte. Sich vor dem Üben körperlich aufzuwärmen, sei ebenfalls wichtig, um Spannungen abzubauen. Schuppert: „Meistens tut es gut, danach mit etwas zu beginnen, das wirklich Spaß macht. Um einzutauchen in die Musik.“
Die Tatsache, dass man eigentlich überhaupt keine Lust hat zu üben, schafft man durch verbissenes Weiterexerzieren am Instrument nicht aus der Welt. Denn dann wird das Üben nur ineffizient und mechanisch. Schuppert: „Üben kann zum Gegenteil dessen führen, was man sich wünscht, wenn es unüberlegt geschieht.“
Geübte Übende achten darauf, dass ihre Motivation nicht nachlässt. Sie bringen Abwechslung in ihre Übepläne. So folgt auf ein schnelles Stück, das geübt wird, ein langsameres. Auf ein Stück aus der Moderne folgt eines aus der Romantik. Schließlich ist es laut Schuppert auch sinnvoll, mental, also rein im Kopf zu üben: „Vor allem dann, wenn man muskulär angespannt ist.“
An jedem Mittwoch um 18 Uhr bieten der Musikermediziner Professor Dr. Jochen Blum und die Physiotherapeutin Alexandra Türk-Espitalier in Frankfurt ein Seminar zum Thema „Haltung und Bewegung am Instrument“ an. Im Anschluss daran gibt es eine Sprechstunde. Laut Türk-Espitalier ist es für Musiker wichtig, von Spezialisten zu erfahren, welche falschen Bewegungen am Instrument bestimmte Schmerzen verursachen. „Natürlich hilft es vorübergehend auch, wenn der Hausarzt eine Spritze gibt“, sagt sie. Doch eben nur vorübergehend. Allein ausführliche Bewegungsanalysen am Instrument verhinderten, dass die Schmerzen immer wieder auftreten. Nun wissen die wenigsten Ärzte, Schmerzen mit einem Musikinstrument zu verknüpfen. Darum sind Musiker bei Experten für Dispokinesis, einer Haltungsschulung von Musikern für Musiker oft viel besser aufgehoben. „Diese Musiker sind speziell ausgebildet in allen Belangen rund ums Instrumentalspiel“, erläutert Angelika Stockmann von der Praxis für Dispokinesis und Formative Psychologie. „Und zwar in Bezug auf die konkreten Fragestellungen aller Instrumenten, der Stimme, der Atmung und des Dirigierens.“ Als Musiker können sie sich gut in das Lebensgefühl ihrer Klienten einfühlen: „Dies gilt insbesondere auch für Lampenfieber und Bühnenangst.“
Drei Wünsche listet Angelika Stockmann in Bezug auf die Musikergesundheit auf. Zum einen erhofft sie sich eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den „Körperarbeitern“ und den Instrumentalfachlehrern mit unterschiedlichen Kompetenzschwerpunkten an den Musik- und Musikhochschulen wünschenswert. Aufgebrochen werden müsste die starke Fixierung auf einen Hauptfachlehrer: „So dass unterschiedliche Lehrerpersönlichkeiten im Team miteinander, statt konkurrierend gegeneinander arbeiten.“ Die Instrumentalpädagogik bedarf ihrer Ansicht nach außerdem dringend einer Aufwertung – nicht zuletzt hinsichtlich musikphysiologischer Kompetenzen.