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Akzeptanz, Wertschätzung und Solidarität

Untertitel
Kollegiale Beratung und Supervision zur Erhaltung der beruflichen Gesundheit von Musikpädagogen
Publikationsdatum
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Die Erfahrungen im Beruf eines Musikpädagogen können sehr unterschiedlich sein. Einerseits erlebt man im Laufe des Berufslebens viele glückliche Momente: sich entwickelnde Schüler, entgegengebrachtes Vertrauen, funktionierende Teamarbeit mit Kollegen und Vorgesetzten. Andererseits sind Musikpädagoginnen und Musikpädagogen oftmals auch vielfältigen Belastungen ausgesetzt: Aufgrund von strukturellen, persönlichen oder situativen Bedingungen können sowohl bei Berufsanfängern als auch bei langjährig Tätigen Gefühle der Verunsicherung und Überforderung entstehen. Schlimmstenfalls beginnt man sogar am Sinn der eigenen Arbeit zu zweifeln.

Auslöser hierfür können beispielsweise Veränderungen der beruflichen Routine, Kommunikationsprobleme im Unterricht oder Konflikte mit Eltern, Schülern, Kollegen oder Vorgesetzten sein. Viele Musikpädagoginnen und Musikpädagogen – insbesondere die Berufsanfänger – fühlen sich dann nicht selten mit ihren Problemen allein gelassen. Gelegenheiten zum Austausch mit Kollegen ergeben sich – je nach Struktur des Arbeitsfeldes – kaum. Aus Angst, als schwach oder inkompetent angesehen zu werden, trauen sich manche auch nicht, berufliche Schwierigkeiten zu äußern. Jede Pädagogin und jeder Pädagoge geht sicher auf ganz individuelle Art und Weise mit den Problemen des Arbeitslebens um und kann natürlich für sich geeignete Bewältigungsstrategien entwickeln. Wenn es jedoch zu einer dauerhaften beruflichen Überbelas-

tung kommt, sind die Folgen mitunter gravierend und können bis zum sogenannten Burnout-Syndrom führen. Verfahren der beruflichen Beratung wie Supervision oder Intervision wirken hier vorbeugend und schaffen bisweilen auch in akuten Konfliktsituationen Abhilfe.

Mittlerweile haben einige Musikschulen und Bildungsinstitutionen das Potenzial dieser Form der Beratung erkannt und ermöglichen dem Kollegium die Teilnahme an Gruppen- oder Einzelsupervision beziehungsweise unterstützen Initiativen zur Intervision im Kollegenkreis. Wünschenswert wäre sicher, dass insbesondere in der Berufsanfangsphase, aber auch bei größeren strukturellen Veränderungen im beruflichen Umfeld, solche Angebote selbstverständlich werden. Die Investition würde sich sicher lohnen, motivierte und dauerhaft gesunde Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wären die Folge. Aber auch wenn die finanziellen Ressourcen für eine externe Supervision seitens der Institution nicht aufgebracht werden können, wäre durch die Anregung und Unterstützung von Intervisionsgruppen im Kollegium oft schon viel erreicht.

Das KoBeSu-Verfahren nach Jörg Schlee

Im Folgenden soll daher ein Modell der kollegialen Beratung vorgestellt werden, das speziell für pädagogische Berufe entwickelt wurde. Das Verfahren der so genannten Kollegialen Beratung und Supervision (KoBeSu) wurde vor etwa 20 Jahren von dem Psychologen und Pädagogen Jörg Schlee etabliert. Das Hauptziel der KoBeSu-Gruppen ist die gegenseitige kollegiale Unterstützung in Form von Hilfe zur Selbsthilfe bei akuten Problemfällen. Ebenso wichtig ist das Erlebnis der Solidarität, denn die Gruppenarbeit gibt den Teilnehmenden das Gefühl, dass sie mit ihren Schwierigkeiten nicht alleine sind. Schließlich beabsichtigt KoBeSu, die Teilnehmenden in ihrem Berufsleben zufriedener und handlungsfähiger zu machen, ihre Selbstverantwortung zu erhöhen und ihre Kreativität im Beruf zu fördern.

Für Menschen in pädagogischen Berufen ist Beratung keine neue Tätigkeit. Allerdings soll sie im Kontext des KoBeSu-Verfahrens neu begriffen und erlernt werden, da sie hier nicht vertikal, sondern horizontal verläuft. Horizontale Beratung bemüht sich nicht darum, eventuelle Wissenslücken eines ratsuchenden Menschen zu füllen, sondern vielmehr sein eigenes Reflexions-, Kommunikations- und Autonomiepotenzial zu stärken. Aus diesem Grund sind vorschnelle Ratschläge, Tröstungen oder Aufmunterungen nicht vorgesehen, da sie an Bevormundung grenzen und die Autonomie der oder des Ratsuchenden beeinträchtigen können. Das Verfahren der Kollegialen Beratung verzichtet auf die Anwesenheit eines Experten (z.B. ausgebildeten Supervisors, Coaches, Moderators oder Psychotherapeuten) und bedarf daher eindeutiger Vorgaben. Festgelegte Regeln und Prinzipien garantieren die theoretische Fundierung, das Expertentum liegt also im Konzept, das von den Teilnehmenden zunächst erlernt und dann konsequent eingehalten werden soll.

Wesentlich für das KoBeSu-Verfahren ist die Herstellung transparenter Strukturen und klarer Orientierungen im Beratungsprozess. Dazu dienen unter anderem bestimmte Rituale, Hilfsmittel und Rollenverteilungen, die bei jedem Treffen greifen. Beispielsweise gibt es eine sogenannte Standardtagesordnung. Darüber hinaus sind verschiedene Aufgaben beziehungsweise Rollen für jedes Gruppenmitglied klar formuliert. Zum Beispiel ist es die Aufgabe der Zeitwächterin, die Gruppenmitglieder während der Sitzung behutsam an die Zeitabsprachen zu erinnern. Die Chairperson bemüht sich um Konsens in der Gruppe, moderiert den Ablauf und erläutert immer wieder den Prozess metakommunikativ. Die Gastgeberin sorgt sich um die äußeren Gegebenheiten: Sie richtet den Raum her, sorgt für bequeme Sitzgelegenheiten, eventuelle Erfrischungen und eine gute Atmosphäre. Die ratsuchende Person ist die wichtigste Person während der Sitzung: Um sie und um die Klärung ihres Problems dreht sich das ganze Geschehen. Im Beratungsprozess darf nichts ohne ihre Zustimmung passieren, das Tempo, die Intensität und die Inhalte bestimmt sie. Weitere Rollen sind beispielsweise die Logbuchführerin, die Wadenbeißerin, die Sekretärin oder die Verwalterin des Fragenspeichers. Die Verteilung der Aufgaben trägt dazu bei, dass sich jedes Gruppenmitglied in die gemeinsame Arbeit einbringt und sich dadurch jederzeit für das Geschehen verantwortlich fühlt. Die Aufgaben werden für jedes Treffen neu vergeben, so dass alle Mitglieder alle Aufgaben mit gleicher Häufigkeit ausführen können.

Sicherheit und Vertrauen als Basis

Das Verfahren der Kollegialen Beratung besteht aus zwei aufeinander aufbauenden und sich gegenseitig ergänzenden Phasen. Schlee nennt sie „Sicherheit und Vertrauen“ und „Skepsis und Konfrontation“. Das Zusammenwirken dieser beiden unterschiedlichen Schwerpunkte kann schließlich zu einer Veränderung von Sichtweisen und Einstellungen führen. In der ers-

ten Phase geht es zunächst um die Klärung der Vorstellungen und subjektiven Theorien der ratsuchenden Person. Durch deren Verbalisierung sollen der ratsuchenden Person ihre Gedanken und Gefühle im Hinblick auf eine Situation oder ein Problem bewusst werden. Darüber hinaus soll der ratsuchenden Person durch Interesse und Empathie seitens der übrigen Gruppenteilnehmer ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen vermittelt werden. Auf dieser Basis kann dann die weitere Klärungsarbeit erfolgen. Um eine solche Atmosphäre zu erreichen, benötigen die Teilnehmenden – hier ebenso wie in ihrer Unterrichtstätigkeit – gute kommunikative Kompetenzen und personenzentrierte Haltungen wie Kongruenz, Akzeptanz und Empathie. Mit Kongruenz ist die eigene Echtheit und Authentizität der Teilnehmenden gemeint, mit Akzeptanz die bedingungsfreie Wertschätzung der anderen. Das bedeutet, dass man sich in der Gruppe grundsätzlich positiv gegenübertritt, heißt aber nicht, dass man alle Gedanken, Gefühle und Handlungen der anderen billigen oder unterstützen muss. Empathie meint schließlich das Bemühen, sich in die Empfindungen und Bedürfnisse des Gegenübers präzise und sensibel einzufühlen. Wichtig ist nun, dass die Sicherheitsgefühle, die in der ersten Phase erreicht wurden, auch während der nun folgenden Phase der Konfrontation erhalten bleiben. Dazu tragen die Transparenz des Ablaufs und das stetige Handeln im Einverständnis mit der ratsuchenden Person bei.

Überprüfung der subjektiven Theorien

In der zweiten Phase soll durch verschiedene Konfrontationsmethoden der ratsuchenden Person die Möglichkeit gegeben werden, ihre Situation unter einem neuen Blickwinkel zu betrachten und verschiedene Lösungsansätze zu entwickeln. Die Konfrontationsmethoden sind so konzipiert, dass sie dabei nicht unter Druck gesetzt wird oder meint, sich oder ihre eigene Sichtweise verteidigen zu müssen. Vielmehr geht es darum, dem Ratsuchenden zu helfen, mögliche Widersprüchlichkeiten seiner Sichtweise zu entdecken und kritisch zu überdenken. Manche Methoden lenken den Blick eher nach außen, manche nach innen. Fast alle Konfrontationsmethoden sind ritualisiert. Pro Sitzung werden etwa vier bis sechs passende Konfrontationen aus dem Pool von insgesamt zwanzig Methoden ausgesucht und durchgeführt. Beispielhaft genannt seien hier: Auftauchende Bilder und Assoziationen, Relativierungen durchdenken, sechs Fragen stellen und Ressourcen klären. In der ersten der oben genannten Methoden beschreiben die Teilnehmenden beispielsweise die inneren Bilder und Assoziationen, die ihnen spontan zu der vorgestellten problematischen Situation einfallen. Das können Kunstwerke, Filme, Bücher oder Kindheitsgeschichten sein. Bei der Methode Relativierungen durchdenken stellen die Gruppenmitglieder der ratsuchenden Person mehrmals dieselbe Frage: „Was wäre noch schlimmer, als das, was Du berichtest hast?“ Dadurch, dass der Ratsuchende den schlimmsten möglichen Verlauf beschreibt, trägt diese Methode zur Klärung der Bezugspunkte und gegebenenfalls zur Relativierung der Situation bei. Bei der Konfrontation sechs Fragen stellen wird gefragt: „Was fühlst Du? Was willst Du? Was tust Du? Was vermeidest Du? Was erwartest Du? Was befürchtest Du?“ Jedes Gruppenmitglied stellt jeweils eine dieser Fragen. Auswahl, Häufung und Folge der Fragen ist dabei frei. Das wiederholte Stellen der gleichen Fragen kann bei der ratsuchenden Person zur Klärung der eigenen Unklarheiten beitragen. Sollte sie sich durch das Verfahren bedrängt fühlen, kann sie den Prozess jederzeit abbrechen. Bei der Methode Ressourcen klären wird gefragt: „Wo verfügst du für dieses Problem über Ressourcen und Kompetenzen?“ Bei genauer Betrachtung stellt sich oft heraus, dass die Person über noch nicht genutzte Reserven verfügt, die dann aktiviert werden können.

Verlauf einer Sitzung

Ein übliches Modell kann so aussehen, dass sich eine Gruppe von vier bis sechs Kolleginnen und Kollegen einmal im Monat zu einer gemeinsamen Beratungssitzung trifft. Nach einer kurzen Begrüßung folgen zwei 45-minütige Arbeitsphasen, die durch eine 15-minütige Pause aufgelockert werden. Zu Beginn der Sitzung beschreiben die Teilnehmenden reihum aktuelle, als problematisch oder schwierig erlebte Situationen.

Typische Themen können sein:

Eine erwachsene Schülerin zeigt sich sehr motiviert, übt ihrer Meinung nach viel. Gleichzeitig hat diese Schülerin sehr hohe Erwartungen: Sie vergleicht ihr Musizieren mit den Aufnahmen berühmter Pianisten und ist dabei frustriert. Die Pädagogin hat schon vieles ausprobiert, um der Schülerin den inneren Druck zu nehmen, es ist ihr bis jetzt jedoch nicht gelungen.

Eine Instrumentalpädagogin kann nach einem Arbeitstag nicht abschalten: Sie denkt immer weiter an ihre Schüler, an die Elterngespräche, an ihre Arbeitsstrategien beim Unterrichten, an weitere Musikliteratur, die sie im Unterricht noch verwenden könnte. So vergehen ihre Nachtstunden ohne Schlaf und Erholung.

Ein Musikpädagoge ist sehr bemüht, immer „perfekte“ Stunden zu halten. Er bereitet seinen Unterricht sehr gründlich vor, bemüht sich, ein netter, verständnis- und humorvoller Lehrer zu sein. Dabei fühlt er sich nach fast jedem Arbeitstag völlig erschöpft. Da er auch Schüler unterrichtet, die sich nicht sehr emotional bezüglich der erlebten Musikstunden äußern und keine oder nur sehr wenig Begeisterung zeigen, ist der Pädagoge enttäuscht und fühlt sich und seine Arbeit nicht geschätzt.

Für diese erste Runde sollten etwa zehn bis fünfzehn Minuten eingeplant werden. Der am Anfang der Sitzung bestimmte Zeitwächter achtet darauf, dass die Zeit gut genutzt wird. Anschließend suchen die Anwesenden gemeinsam ein „Problem“ aus, das akut und dringlich scheint und im weiteren Verlauf bearbeitet wird. Auf diese Weise wird die ratsuchende Person bestimmt. Nach Bedarf werden jetzt noch weitere Aufgaben beziehungsweise Rollen verteilt. Die ratsuchende Person erhält nun etwa 30 Minuten Zeit zum genaueren Beschreiben der für sie problematischen Situation. Dabei hören die anderen Mitglieder aktiv zu, paraphrasieren und reflektieren den Bericht. Nach einer kurzen Erfrischungspause, in der nicht über das Problem gesprochen werden darf, werden die passenden Konfrontationsmethoden ausgewählt und durchgeführt. Im Rahmen eines „Abschluss-Blitzlichtes“ kann sich schließlich jedes Gruppenmitglied zum Verlauf der Sitzung oder zum eigenen Befinden äußern, bevor noch der Termin für das nächste Treffen gemeinsam festgelegt wird.

Fazit

Die Erfahrungen in bestehenden Gruppen zeigen, dass dieses Verfahren von Musikpädagoginnen und Musikpädagogen mit Erfolg angewendet werden kann. Die Teilnehmenden berichten, dass sie insbesondere kollegiale Solidarität erlebten und durch die Diskussionen mit den Kollegen neue Impulse, manchmal Mut zur Durchsetzung, manchmal zum Kompromiss erhielten. Der Austausch in den Sitzungen führte zur Überprüfung der eigenen Sichtweisen, förderte Klarheit und ermöglichte Reflexion von Arbeitsprozessen in freundlicher kollegialer Atmosphäre: ein wesentlicher Baustein zur beruflichen Zufriedenheit und dauerhaften Gesundheit und Belastbarkeit in einem zuweilen anstrengenden Alltag. 

Literaturempfehlungen:

  • Schlee, Jörg (2012): Kollegiale Beratung und Supervision für pädagogische Berufe. Hilfe zur Selbsthilfe. Ein Arbeitsbuch. Kohlhammer, Stuttgart
  • Cohn, Ruth (1975): Von der Psychoanalyse zur Themenzentrierten Interaktion. Klett, Stuttgart
  • Rogers, Carl R. (1985): Die nicht-direktive Beratung. Fischer, Frankfurt/M.
  • Schulz von Thun, Friedemann (1981): Miteinander reden 1: Störungen und Klärungen. Psychologie der zwischenmenschlichen Kommunikation. Rowohlt, Reinbek
  • Watzlawick, Paul/Weakland, John H./Fisch, Richard (2009): Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels. Huber, Bern

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